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Ich hatte in den letzten 2 Nächten nicht gut geschlafen. Ich konnte einfach nicht aufhören an den Streit mit Class zu denken. Es war so, als hätte sich dieser Tag in mein Gedächtnis eingebrannt.

Seit 3 Tagen hatte ich das Haus nicht verlassen. Übermorgen würden wir zur UK-Tour aufbrechen und ich hatte keine Ahnung, wie ich das schaffen sollte. Zwischen Class und mir herrschte komplette Funkstille. Etwas, womit ich gar nicht klar kam. Ich hatte noch die Hoffnung, dass ich vielleicht während der nächsten Woche auf Tour noch einmal die Möglichkeit hatte mit ihm zu sprechen. Ich wünschte mir so sehr, dass wir das schaffen und die Sache vernünftig klären können.
Doch das alles nahm mir nicht meine Schuldgefühle. Vielleicht wäre es alles anders gekommen, wenn ich es ihm schon viel früher gesagt hätte. Doch jetzt war es sowieso zu spät und nicht mehr rückgängig zu machen.

Und während ich stundenlang auf dem Sofa lag oder immer wieder auf und ab durch die ganze Wohnung ging, fiel mir eine Sache ein, die nicht mehr warten konnte. Ich musste es noch vor unserer Abreise erledigen. Ich wollte nicht noch einen Punkt mehr auf meiner Liste der verpassten Dinge haben, die mein schlechtes Gewissen nur verstärkten.

Also zog ich mich um, schnappte mir meine Sachen und machte mich auf den Weg. Ich entschied mich hinzulaufen, da der Weg nicht so weit war. Außerdem tat die frische Luft mir ziemlich gut, nachdem ich mich so lange drinnen verkrochen habe.
Ich kam am Tattoostudio an und ging hinein. Die erste Person, die ich sah, war Susi. „Hey Susi, ist Kira da?", fragte ich. „Ja die ist hinten, geh einfach durch.", meinte sie und widmete sich wieder dem Mädchen, der sie gerade ein Tattoo stach.
Ich ging durch den Laden durch und kam zu den hinteren Räumen, die eigentlich nur für das Personal war. Doch immerhin kannte mich hier jeder und durch Kira's Beziehung zu Class, durfte ich hier auch einfach herumspazieren.

Ich fand Kira an einem Schreibtisch sitzen. Sie zeichnete gerade an einer Tattoovorlage. Ich klopfte. „Ally!", rief sie, als sie mich sah. Sie strahlte, kam auf mich zu und umarmte mich.
„Wie geht es dir?". „Könnte besser sein. Hast du kurz Zeit?", fragte ich. „Klar!", sagte sie.

Ich setzte mich ihr gegenüber. „Du bist wegen Class hier, stimmt's?", fing sie an. „Unteranderem...", sie sah mich verwundert an. „Ich schätze mal, er hat dich darauf angesprochen, dass du von mir und Pi wusstest?", fragte ich. Sie nickte. „Hattet ihr Streit?", hakte ich vorsichtig nach. „Nein, hatten wir nicht. Ich meine, klar er war schon ziemlich angepisst, aber ich hab ihm die Sache aus meiner Sicht erzählt und ich denke das konnte ihn etwas beruhigen.", erzählte sie.
„Ich denke nicht, dass er bereit ist, mit mir darüber zu reden...er war ziemlich deutlich.", als ich wieder darüber nachdachte wurde ich wieder traurig. „Das stimmt nicht, Ally. Er war einfach nur ziemlich schockiert und auch verletzt.". Ich nickte und blinzelte meine Tränen weg.
„Ich wollte nicht, dass es soweit kommt."
„Gib ihm einfach etwas Zeit. Das wird schon alles wieder.", sagte sie und drückte meine Hand. Ich quälte mir ein kleines Lächeln ab. Kira stand auf und nahm mich in den Arm. Ich war heilfroh, das zwischen uns alles gut war. Und natürlich auch, dass zwischen ihr und Class alles gut war. Ich hätte es mir sonst nicht verzeihen können.

Und dann war es soweit. 2 Tage später ging es nach Großbritannien.
Wir trafen uns an der Anlegestelle der Fähre. Immerhin konnten wir den Anhänger mit den Instrumenten und der ganzen Technik nicht in ein Flugzeug stopfen.
Ich hatte Angst, Class zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, wie er wohl reagieren würde. Besonders, wenn er mich und Pi zusammen kommen sah.
Es stellte sich heraus, dass er uns zwar sah, aber uns regelrecht ignorierte. Pi versuchte mich etwas aufzumuntern und auf mich einzureden, doch es gelang nicht so gut wie erhofft. Und auch wenn es nicht im negativen Sinne war, doch man merkte allen an, dass sie wohl...wie soll ich es sagen...überrascht über die Sache mit Pi und mir zu sein schien. Natürlich hatte sich die Sache schnell herum gesprochen, was mich nicht sonderlich überraschte.

Später, als wir auf der Fähre waren, war die Stimmung ziemlich angespannt sobald Class in der Nähe war. Ich fand das echt ätzend. Ich wünschte wir könnten reden, doch bei jedem Versuch, den ich unternahm wich er zurück und ging.
Und irgendwann wurde es mir auch zu viel. Ich ging einmal über die gesamte Fähre, die leerer zu sein schien, als gedacht. Oben auf dem Deck setzte ich mich auf eine Bank, die günstig genug stand, um mir nicht den Sturm ins Gesicht zu wehen.
Ich blieb hier also wer weiß wie lange sitzen und starrte auf das Meer.

„Hey, darf ich mich setzen?", fragte jemand. Ich sah auf und sah Gared. Ich nickte. „Was machst du denn hier so allein?", wollte er wissen. „Ich hab einfach mal etwas Abstand gebraucht.", sagte ich, ohne ihn anzusehen. „Habt Class und du immer noch Stress?". „Kann man so sagen...", gab ich zurück. „Das wird schon alles wieder.", sagte er. „Gared, er redet seit fast einer Woche nicht mit mir! Und das macht mich fertig!", sagte ich traurig. Gared nahm mich in den Arm um mich zu trösten.
Genauso wie Chris kannte ich ihn mit am längsten und ich wusste, dass er mich aufmuntern konnte, wenn ich es brauchte.
Dann herrschte kurz Stille zwischen uns.

„Sei nicht traurig, okay? Sieh es mal so, du und Pi habt euer passendes Einhorn gefunden! Und meiner Meinung nach passt ihr wirklich perfekt zusammen. Ihr nervt beide ziemlich.", lachte er. „Stimmt dich gar nicht!", rief ich und gab ihm einen spielerischen Schlag an die Schulter. Wir beide fingen an zu lachen. Es tat gut mal wieder zu lachen!

„Nein, aber mal im Ernst...", begann er, „Ich kenne jetzt Pi schon eine ganze Weile und ich bin froh, dass er endlich mal eine Freundin hat. Ich weiß seine letzte Beziehung lief nicht so gut und hat auch nicht gerade schön geendet.", sagte er.
Das hatte mir Pi nie erzählt. Er hat also fast das Gleiche durchgemacht wie ich. Wir waren uns wohl doch ähnlicher, als gedacht...

„Jedes Mal, wenn ich ihm jemand vorgestellt habe, hat er immer eine Ausrede gefunden um sie nicht treffen zu müssen. Ich dachte ja sogar mal 'ne Zeit lang er wäre schwul.", sagte er, was mich wieder zum lachen brachte.

„Wer ist schwul?", hörten wir jemand hinter uns. Es war Pi. Er kam auf uns zu. „Du natürlich.", rief Gared lachend. „Haha, sehr witzig Gared.", sagte Pi mit sarkastischem Unterton. Ich kicherte. Pi setzte sich neben mich auf die Bank und legte den Arm um mich. „Gut, ich lass euch mal allein.", sagte Gared und stand auf. Als er ging sagte ich: „Hey Gared! Danke.". Er lächelte mich an und nickte kurz. Dann war er um die Ecke verschwunden.

„Alles okay?", fragte Pi. Ich sah ihn an. Er sah etwas verunsichert aus. Ich nickte lächelnd. „Ja, alles bestens.", sagte ich kurz und gab ihm einen kurzen Kuss.

Auch wenn es nur für einen kurzen Moment war, ich war wieder fröhlich. Und ich dachte mir, dass diese UK-Tour womöglich besser verlaufen wird, als ich zuerst annahm...

My NightingaleWhere stories live. Discover now