24.

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„Ally, du hast fast 3 Tage schon nicht die Wohnung verlassen."

3 Tage.
War es wirklich schon so lang? Wow, die Zeit verging echt schneller als gedacht.
Mir fiel auf, dass es schon Samstag Morgen war. Krass, dass ich schon seit Mittwoch Abend wieder hier war!

Die Jungs würden vor Montag nicht wiederkommen. Ich hatte Angst einen von ihnen unter die Augen zu treten. Besonders Pi. Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich das schaffen sollte. Ich würde mich am liebsten für immer hier verstecken...doch das ging nun mal nicht!

„Geh mal wieder vor die Tür. Unternehme etwas, lenk dich ab!", sagte Lilith und setzte sich neben mich. Ich wusste, sie hatte recht. Ich zuckte mit den Schultern.
„Hör zu, du weißt ich hab dich lieb und ich freue mich wirklich, dass du hier bist. Aber du kannst dich nicht ewig hier vor der Welt verstecken. Und die ganze Zeit trägst du nur die gleichen Klamotten. Die Jacke ist dir außerdem viel zu groß!", sagte sie halb ernst, halb belustigt.

Ich sah an mir herunter. Ich ließ meinen Daumen wieder über den grauen Stoff der Jacke fahren. Fast schon automatisch kuschelte ich mich immer mehr rein, wenn das überhaupt möglich war. Ich wollte sie nicht ausziehen. Trotz das ich sie nun schon fast 3 Tage trug, roch sie immer noch nach ihm und es fühlte sich an, als wäre er hier bei mir.

Ich hatte Lilith nicht gesagt, dass ich Pi's Jacke mitgenommen habe. Ich wusste, sie würde womöglich versuchen mich davon loszukriegen. Auf der einen Seite verstand sie meinen Liebeskummer, doch gleichzeitig war Lilith der Typ Mensch, der immer gleich einen Schlussstrich unter sowas zog. Doch in dieser Hinsicht waren wir ziemlich unterschiedlich. Ich konnte es nicht. Ich kann Pi nicht so leicht vergessen, auch wenn ich es wollte. Meine Gefühle für ihn waren so stark, dass ich sie nicht einfach abstellen konnte.

„Ich muss jetzt los. Kommst du wirklich allein klar?", fragte sie. Ich nickte nur. „Viel Spaß.", sagte ich und lächelte leicht. Lilith fuhr übers Wochenende nach Hause zu ihrer Familie, die in einem Dorf weit weg von Hamburg wohnte. Sie hatte eigentlich nicht so wirklich Lust, doch freute sich trotzdem irgendwie darauf. Wir verabschiedeten uns und schon rollte sie ihren übergroßen Rollkoffer die Tür hinaus. Typisch für sie. Selbst für 2 Tage auf Reisen und sie machte eine Modenschau daraus.

Ja, und jetzt? Ich haute mir eine DVD rein und legte mich auf das Sofa. Nach dem dritten Film wurde es mir langweilig.
Vielleicht hatte Lilith recht...ich kann nicht hier drin sitzen und versauern. Ich musste raus, mich ablenken. Ich musste aufhören, andauernd an Pi zu denken.

Ich zog mir etwas schickes an und schminkte mich seit Tagen das erste Mal wieder. Als ich fertig war und mir meine schwarze Lederjacke vom Kleiderhaken schnappte erblickte ich mich selbst im großen Spiegel in Lilith's Flur. Ich lächelte. Ich hatte mich für ein dunkelrotes, bauchfreies Top mit Spitze entschieden, dazu eine schwarze Röhrenjeans und schwarze High Heels. Meine Augen waren passend zum Outfit geschminkt und meine roten Lippen blitzten mich im Spiegel an. Perfekt!
Zum ersten Mal sah ich aus, als würde ich nicht gerade innerlich an einem gebrochenen Herzen sterben...

Ich ging in eine Bar, in der ich schon öfters war. Die Möbel waren dunkel und passten gut zu den hellen Wänden. Ich ging an den Tresen und setzte mich auf einen der Barhocker. Die Barkeeperin kam auf mich zu und ich bestellte mir einen Drink.

Was ich hier so richtig vor hatte wusste ich selbst nicht. Einfach etwas Alkohol trinken und den Stress mal vergessen, schätze ich.

Es kamen viele Kerle an mir vorbei, die mich anstarrten und mich regelrecht mit ihren Blicken auszogen. Ich verdrehte genervt die Augen und versuchte es einfach zu ignorieren.

Je später es wurde, desto mehr füllte sich die Bar. Ich saß immer noch an der Bar und ließ gerade den Finger gedankenverloren über den Rand des Glases gleiten. Im Augenwinkel sah ich, wie sich jemand an die Bar drängte und sich etwas zu trinken bestellte. Ich hörte nicht auf das, was er sagte, doch als ich seinen Arm sah stockte ich.

Dieses Tattoo eines chinesischen Drachen würde ich überall wieder erkennen!

Ich sah in sein Gesicht. Und als hätte er meinen Blick auf ihm gespürt drehte er den Kopf zu mir. „Ally?".
„Noah."

Er schien überrascht zu sein, mich zu sehen. Und mir ging es nicht anders. „Wow, dich hätte ich hier nicht erwartet.", sagte er. „Das Gleiche kann ich von dir behaupten.", gab ich zurück und klang schon fast emotionslos.
„Du siehst gut aus.", fing er an und ließ seine Augen von oben nach unten und wieder zurück wandern. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Es war immerhin der Typ, der mich monatelang verarscht und betrogen hatte! Ich sollte nicht mal mit ihm reden! Doch selbst das war mir in Anbetracht der aktuellen Tatsachen egal.
Ich nickte nur und sah ihn nicht mal an.

„Bist du allein oder hast du deinen kleinen Schläger mit? Wie war sein Name? Di? Li?", in mir stieg immer mehr die Wut, als er das sagte. Doch ich versuchte cool zu bleiben. „Das geht dich nichts an. Und sein Name ist Pi.", sagte ich und nahm einen Schluck von meinem Drink.
Er lachte kurz auf. „Also nein. Stress im Paradies?". „Wie gesagt, es geht dich einen Scheißdreck an, Noah!", zischte ich und funkelte ihn böse an.
„War ja klar, dass du mit ihm anfängst, nachdem du mit mir Schluss gemacht hast.", sagte er.
Jetzt lachte ich auf. „Erzähl du mir nichts davon. Wer hat mir denn den Anlass gegeben?", sagte ich böse.

„Hey, ich will mich hier nicht mit dir streiten. Wie wärs, ich geb dir einen aus und wir stoßen drauf an? Wegen der alten Zeiten willen.", sagte er und schon hatte er den bestellten Vodka vor mich gestellt. Und ich tat es. Wir stießen an und kippten den Vodka hinter.

Irgendwann fand ich mich in alten Geschichten mit Noah wieder. Ich bestellte mir einen weiteren Cocktail und er sich einen Whiskey. Inzwischen waren wir beide wohl etwas angetrunken, denn ich wusste, er vertrug nicht viel mehr wie ich!
Wir saßen eine Ewigkeit da und redeten über die Dinge, die wir gemeinsam erlebt hatten. „Und weißt du noch, als ich versucht habe, bei unserem Date zu kochen?", ich fing an zu lachen, als er es erzählte. „Wie kann ich das vergessen?", ich kicherte wie ein kleines Mädchen. Das war wohl genug Alkohol für heute, dachte ich mir.

Doch dann traf es mich wieder. Es war nicht Pi, mit dem ich hier lachte. Er war nicht hier. Wieso musste er sich immer wieder in meinen Kopf schleichen?
Weil du ihn noch liebst!
Konnte meine innere Stimme nicht einfach mal ihre Klappe halten?!

Ich wollte ihn vergessen. Ich wollte nicht mehr ständig an unsere Trennung denken. Es machte mich fertig. Das hat es 3 Tage lang.

Ohne nachzudenken, was ich tat, fragte ich: „Wollen wir gehen?". Noah sah mich an und nickte schließlich. Wir bezahlten und verließen die Bar.
Meine Gedanken überschlugen sich. Doch ich stellte sie, so gut es ging ab. Heute Nacht wollte ich nicht über Richtig und Falsch nachdenken.
Ich wollte mich von meinem Liebeskummer ablenken. Ich brauchte nur eine kleine Hilfe. Und wenn Noah der Schlüssel dazu war, dann werde ich es riskieren.

Ich muss Pi vergessen. Ich musste aufhören, ständig an sein Lachen, an seine wunderschönen Augen oder an all die kleinen Dinge, die ich so an ihm liebte, zu denken.

Ich muss über ihn hinweg kommen!
Das ist das Beste...glaube ich...

My NightingaleWhere stories live. Discover now