Kapitel 18

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Durch ein Rumpeln wache ich auf. Regen peitscht gegen die Wände der Morgenröte. Seufzend richte ich mich auf der Hängematte auf und strecke mich. Seit Gael hier ist, schlafe ich in einer Hängematte, damit die zwei jüngeren Mädchen das Bett beanspruchen können. Schon seit Tagen stürmt es. Die Mannschaft hat alle Hände voll zu tun die Segel zu sichern und auf Kurs zu bleiben. Manche Männer verlieren schon ihre Hoffnung jemals nach Narnia zurückzukommen. Ich sehe zu Eustachius rüber, der an seinem Tagebuch schreibt. Ich habe nur einmal darin lesen dürfen, als wir in Narnia waren. Er schreibt, um sich abzulenken. Vielleicht auch, um zu realisieren, was geschieht. 

,,Wie geht es dir?", fragt Eustachius, nachdem er bemerkt hat, dass ich wach bin. Schulterzuckend springe ich die Hängematte hinunter und gehe zu ihm. Durch die Wellen wird das Schiff immer wieder zur Seite geworfen. Ich erinnere mich an Erzählungen meines Vaters, wenn er auf See war. Natürlich nicht auf Segelboten. Trotz der Gefahr war er immer überzeugt davon, dass man überleben kann, wenn man zusammenarbeitet. 

,,Ich habe Angst.", gestehe ich ihm ehrlich. Gestern Abend habe ich ihm alles von meinem Vater erzählt. Ich musste mit jemandem darüber reden, der meinen Vater kannte. Und das ist nur Eustachius. Obwohl er ein paar Jahre jünger ist als ich, versteht er meine Situation gut. Er selbst kann sich auch noch daran erinnern, wie aufgelöst und traurig ich nach dem angeblichen Tod meines Vaters war. Eustachius streicht mir beruhigend über den Arm. 

,,Wir sind hoffentlich bald aus diesem Unwetter heraus.", meint er und nimmt mich in den Arm. Nach wenigen Minuten richte ich mich wieder auf.

,,Ich suche uns etwas zu Essen. Bin bald wieder da.", sage ich nachdenklich. Mit einem Ruck stoße ich die Luke auf und spüre sofort das kalte Salzwasser in meinem Gesicht. Geschickt klettere ich aus der Luke und schließe sie wieder. Schon nach wenigen Sekunden bin ich völlig durchnässt. Ich erkenne, dass viele damit Probleme haben, gerade zu stehen. Auch ich stehe wacklig auf den Beinen. Am Ende vom Deck erkenne ich Reepicheep, der mit einem Tau Probleme hat. Schnell bin ich bei ihm.

,,Was soll ich tun?", frage ich, da ich nicht weiß wozu das gut sein soll.

,,Das Tau muss losgemacht werden, damit wir das Segel nach oben ziehen können. Sonst zerstört der Sturm es nur.", antwortet er gestresst. Mit flinken Fingern habe ich das Tau gelöst, während Reepicheep mit Befehle zuruft. Glücklicherweise kommt mir Rhince zur  Hilfe, da ich alleine das Tau kaum halten kann. Gemeinsam schaffen wir es, das Segel am oberen Ende zu befestigen. Da ich eher die Arbeiten behindere als helfe, gehe ich ins Schiffsinnere. Meine Haare kleben an mir und meine Klamotten sind durchnässt. Ich wringe sie kurz aus, doch es hilft nichts. Aufgrund der Kälte zittere ich auch ein wenig. 

Mit schnellen Schritten gehe ich wahllos in eines der Zimmer in der Hoffnung jemanden zu finden, der mir sagen kann, wie lange dieser Sturm noch anhalten sollte. Bei jedem Schritt quietschen meine Schuhe. Zaghaft klopfe ich an Kaspians Tür, worauf seine raue Stimme ertönt. Langsam öffne ich die Tür, während Kaspian, Drinian und Edmund um den Tisch stehen. 

,,Du bist ja komplett durchnässt!", stellt Drinian grimmig fest. Sofort fühle ich mich unwohl, doch der Kapitän zieht die Aufmerksamkeit wieder auf sich.

,,Wir sollten umkehren, solange unsere Vorräte noch reichen. Jetzt würden wir es noch zurückschaffen. Die Mannschaft wird unruhig.", sagt er ernst. Kaspian wirft Edmund einen undefinierbaren Blick zu. Dieser nickt darauf kurz. Edmund kommt auf mich zu und schiebt mich vorsichtig nach draußen. Fragend blicke ich ihn an, doch er weicht meinem Blick aus.

,,Wird Kaspian wirklich umkehren?", frage ich besorgt. Wenn mein Vater noch lebt, würde das heißen, dass ich ihn nie wieder sehen könnte. Sofort bildet sich Gänsehaut auf meinen Armen. Als Edmund antworten will, bemerkt er dies und stoppt sofort.

,,Komm mit.", sagt er knapp und zieht mich am Arm weiter. Er führt mich in das Zimmer in dem ich erst wenige Tage zuvor gelesen habe. Er drückt mich behutsam in den Raum und rennt dann hektisch im Zimmer umher. Kurze Zeit später legt Edmund mir vorsichtig eine Decke über die Schultern. 

,,Wage es ja nicht, krank zu werden, Evan.", droht er grinsend, ,,Warte hier. Ich bin gleich zurück." Etwas überwältigt bleibe ich wie angewurzelt stehen und blinzle ein paar Mal. Ich ziehe die Decke enger an mich, um mich zu wärmer und nur wenige Augenblicke später kommt Edmund mit einem Stapel Klamotten zurück. Er drückt sie mir in die Hände und sieht mir in die Augen.

,,Ich warte vor der Tür, dass niemand rein kommt, okay?", fragt er, doch er schließt schon die Tür hinter sich. Damit er nicht zu lange warten muss, streife ich -bis auf meine Unterwäsche- meine nassen Klamotten ab und lege sie auf einen Stuhl, damit sie trocknen können. Mit einem schnellen Blick in den Spiegel, der an der Wand lehnt, stelle ich fest, dass nur noch ganz feine Narben von den Schlägen meiner Mutter übrig sind. Tränen treten in meine Augen, doch ich wische sie schnell weg. 

Mit zittrigen Händen ziehe ich mir die viel zu großen Sachen an. Das Hemd stricke ich soweit auf, dass die Ärmel nicht herunterrutschen können. Die Hose muss ich vier mal überschlagen, sodass ich nicht darauf steige, wenn ich gehe. Mit einem Rufen mache ich Edmund klar, dass er wieder kommen kann. Er schließt die Tür hinter sich und betrachtet mich kurz. Währenddessen binde ich meine Haare flüchtig zusammen. 

,,Du zitterst immer noch.", stellt er fest, doch ich schüttle meinen Kopf, obwohl er recht hat. Er kommt näher, sodass er nur noch eine Armlänge entfernt ist und mein Herz beginnt zu rasen. Edmund legt vorsichtig seine Hand auf meine Schulter und zieht mich an sich, sodass ich an ihn lehne. Sein ruhiger Herzschlage beruhigt mich sofort und seine Wärme durchströmt meinen Körper. Ich ziehe seinen schlichten Geruch ein. Edmund legt behutsam seine Arme um mich und zieht mich fest an sich. Dann legt er sein Kinn auf meinen Kopf und wippt leicht hin und her.   

Lost Souls/Edmund PevensieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt