Kapitel 35

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Mein Vater drückt mich sanft von sich weg. Mit einer Hand fährt er über meine Wange und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Es wäre eine wunderschöne Situation gewesen, doch Tränen fließen unkontrolliert über meine Wangen. 

,,Ich will mich nicht entscheiden.", flüstere ich kraftlos. Mein Vater schüttelt den Kopf, während er meine Hände hält. 

,,Habe ich dir je erzählt, warum ich mich in deine Mutter verliebt habe? Ich weiß es nicht. Vielleicht wegen ihrem eisernen Humor, oder ihren neugierigen, gütigen Augen. Die schwerste Entscheidung für mich war es, ob ich sie heiraten soll. Ich liebe sie, aber ich war mir bewusst, dass ich ihr nicht das Leben bieten konnte, das sie sich wünschte. Wir waren arm, aber wir hatten uns, wir hatten dich. Es war die richtige Entscheidung, weil mein Herz sie wollte." 

,,Mein Herz aber bricht gerade.", weine ich und halte fester an ihn fest. 

,,Erinnere dich daran, dass auch die schönsten Mosaike aus zerbrochenen Teilen bestehen. Du wirst die richtige Entscheidung treffen.", sagt er und lässt mich los. Als ich mich umsehe, merke ich, dass sich die anderen mit Aslan unterhalten. Dann umarmen sie sich alle und wenden sich den Wellen zu. Und somit drehen sie mir den Rücken zu. 

Ich wende mich wieder zu meinem Vater und wünschte ich könnte mit ihm gehen. 

,,Es wäre egoistisch von mir.", flüstere ich mir zu, doch mein Vater hört mich. Stolz grinst er mich an und streicht meine Haare hinter meine Ohren. 

,,Ich kann Mutter nicht im Stich lassen. Ich kann mein Leben nicht einfach wegwerfen. Ich darf meine Freunde nicht verlassen.", rechtfertige ich mich, doch mein Vater unterbricht mich.

,,Ich hätte an nichts anderes denken können, wenn du dich für mich entschieden hättest, als das ich dein Leben zerstört hätte.", widerspricht er mir. 

,,Ich habe dich lieb.", flüstere ich und umarme ihn noch einmal. Ich wollte ihn nicht loslassen. Nicht schon wieder. Doch ich wusste auch, das ich Edmund nicht verlieren kann. 

Nur dieses Mal fühlt sich der Abschied um einiges Schlimmer an. Ich weiß, dass ich ihn wieder sehen werde, doch es zerbricht mir das Herz ihn auf die Wellen zugehen zu sehen. Mein Vater dreht sich noch einmal um und das Wasser zieht an seinen Haaren. Mit einem Schlag wird mir bewusst, dass das die Bestimmung meines Vaters ist. Sorglos winkt er mir zu, worauf ich nur schwach meine Hand heben kann. Als ich meinen Vater nicht mehr hinter den Wellen sehen kann, breche ich auf dem warmen Sand zusammen. 

,,Du hast das richtige getan, Liebes.", höre ich Aslan hinter mir sagen. 

,,Auch wenn es mich zerstört?", frage ich ungläubig, worauf Aslan mich anblickt. Er legt eine seiner riesigen Tatzen auf meine Schulter. 

,,Du brauchst nur jemanden, der dir hilft, dich wieder zusammenzubauen.", antwortet er schmunzelnd.  Fast sofort drehe ich mich um und suche nach den anderen, doch sie sind verschwunden. Nur Kaspian steht vor den Wellen. 

,,Wo sind sie?", frage ich verblüfft.

,,Dort, wo du auch hingehen wirst. Vergiss uns nicht.", brummt Aslan, worauf sich ein Tunnel aus den Wellen hervorhebt. Kaspian schreckt zurück und sieht zu uns. 

,,Ich werde Narnia und dich vermissen.", sage ich zu Aslan. 

,,Dann wirst du dich umso besser freuen, wenn du wieder hier bist." 

Langsam gehe ich auf Kaspian zu und springe letztendlich in seine offenen Arme. Erleichtert streicht er über meinen Rücken und hebt mich problemlos in die Luft.  

,,Ich dachte schon, du gehst mit deinen Vater."

,,Ich kann euch nicht allein lassen.", flüstere ich. Wir lösen uns voneinander und blicken uns noch einmal an.

,,Komm gut nach Hause, Schwesterchen.", sagt er und drückt mich noch einmal. 

,,Pass auf dich auf, Kaspian.", sage ich schwach lächelnd, ,,Leb wohl."


Die Wassermassen brechen über mir zusammen und ich zucke zurück. Meine Angst vor dem Wasser konnte ich verdrängen, doch trotzdem fühle ich mich eingeengt. Es zieht an meinen Haaren, reißt an meiner Kleidung. Ängstlich halte ich an der Kette meines Vaters fest. Einen letzten Blick werfe ich zu Kaspian, doch dann schließt sich auch eine Wasserwand um mich. Ich hole tief Luft und lasse mich vom Wasser treiben. Plötzlich spüre ich keinen Druck mehr und öffne die Augen. 

Ich keuche erschrocken, als ich feststelle, dass ich mich wieder im Kinderzimmer von Eustachius befinde. Das Bild des Meeres hängt an der Wand und alles sieht genau so aus wie zuvor. Alles ist trocken und sauber, auch mein gelbes Kleid trage ich wieder. Als ich in den Spiegel blicke, schrecke ich zurück. Ungläubig fasse ich nach meinen Haaren. Sie sind wieder so lang wie sie es zuvor waren. 

Doch als mir wieder in den Sinn kommt, dass ich Edmund finden muss, lasse ich sie los. Meine Haare sind unwichtig. Ich stürme aus dem Zimmer und die Treppen hinunter. Mr. Scrubb liest noch immer unverändert seine Zeitung und sieht nicht einmal auf, als ich vorbeirenne. Fast unheimlich, wie normal alles scheint. Wie lange waren wir verschwunden? 1 Monat in Narnia. Hier waren es vielleicht wenige Stunden. 

Ich eile in den Garten raus und sehe Lucy und Eustachius auf der Bank sitzen, die auf der Terrasse steht. Ich kann mich nicht zurückhalten und renne zu ihnen. 

,,Eve?", ruft Eustachius und springt auf. Fast könnte ich schwören Tränen in seinen Augen zu sehen. Auch Lucy steht auf. Wir drei rennen uns gegenseitig in die Arme. Vereinzelt höre ich Eustachius schluchzen.

,,Ich wusste es.", meint Lucy siegessicher.

,,Was?"

,,Edmund wollte mir nicht glauben, als ich sagte, dass du uns nicht im Stich lassen würdest. Er war zu stur und zu verletzt, um an dich zu glauben. Er meint wirklich, dass du mit deinem Vater mitgegangen bist.", erklärt Lucy diesmal mit ernstem Blick. 

,,Wo ist er?", frage ich sofort. Meine Gedanken spielen verrückt. Hat er wirklich geglaubt, ich würde ihn nicht so sehr lieben, sodass ich ihn loslassen könnte? 

,,Er ist sofort in den Wald gegangen, um dort ,nachzudenken'.", antwortet Lucy und deutet in Richtung Wald. 

,,Ich bin gleich wieder da.", sage ich nur und renne dann schnurstracks in den Wald hinein. Hinter mir kann ich noch Lucy rufen hören, doch ich bin zu weit weg. In den Wald führt ein schmaler Pfad einen Hügel hinauf. Meine Beine schmerzen vom Laufen, doch plötzlich sehe ich eine vertraute Person an der Kuppel des Hügels.

Lost Souls/Edmund PevensieOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz