Kapitel 21

3K 120 3
                                    

Lucy setzt sich neben mich, während wir auf die anderen warten. Gemeinsam sehen wir auf das Meer, das jetzt ruhig vor uns liegt. 

,,Der Stern ist nicht in Sicht.", spreche ich laut unsere Gedanken aus. Lucy sieht auf ihre Hände, als würde ihr etwas auf der Seele brennen.

,,Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.", sagt sie und zwingt sich ein Lächeln auf. Sie greift nach meinen Haaren, die stumpf herabhängen. ,,Ich könnte sie dir später schneiden, sodass sie wieder -naja- besser aussehen?" Aufgrund ihrer Frage müssen wir zum Lachen anfangen, doch sie sieht mich nachdenklich na, worauf ich verstumme. 

,,Was ist los, Lucy?", frage ich sanft und lege meine Hand auf ihre Schulter. Mit der anderen nehme ich ihre Hand in meine und drücke sie kurz. Lucy sieht mich dann doch an. 

,,Es geht um Edmund. Seit du hier bist hat er sich verändert. Zum positiven natürlich! Er ist gern in deiner Nähe und würde alles tun, um dich zu beschützen. Er ist wütend auf sich selbst, weil er dich weggestoßen hat, sodass deine Haare in Gold verwandelt wurden. Er hasst sich selbst, weil er seine eigene Furcht nicht überwinden konnte, um dich zu schützen.", sagt sie ehrlich. 

,,Er hat nichts falsches getan. Ich versuche mit ihm zu reden, okay?", sage ich ernst und blicke zu den Steinhängen, um auf die Ankunft von Edmund, Eustachius und Kaspian zu warten. Doch sie sind noch nicht hier. 

,,Darf ich dich etwas fragen, Angie?", fragt sie amüsiert, worauf ich misstrauisch nicke. ,,Was fühlst du gegenüber meinem Bruder?" Ich spüre wie mir Röte ins Gesicht schießt und wie ich meinen Finger wie gewohnt um meine Haare wickeln will, doch dafür sind sie nun zu kurz. 

,,Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich war noch nie in jemanden verliebt. Aber ich weiß, dass ich mich bei niemandem wohler und sicherer gefühlt habe als bei ihm. Immer wenn wir miteinander reden, habe ich das Gefühl, dass ich wichtig bin. Auch habe ich das Gefühl, dass ich ihm alles anvertrauen kann. Ich habe mich noch nie so glücklich in der Gegenwart eines Jungen gefühlt.", antworte ich ihr. Ich weiß nicht woher meine Worte kommen, aber ich weiß, dass ich jedes einzelne Wort ernst gemeint habe. Ich sehe nervös zu Lucy, um ihre Reaktion zu testen. Genau genommen habe ich ihr gerade gesagt, dass ich mich in ihren Bruder verliebt habe. Doch auf ihrem Mund liegt nur ein breites Grinsen.

,,Ich denke, dass mein Bruder und du das perfekte Paar abgeben würdet. Ich glaube, dass eure Beziehung wunderschön sein wird, weil ihr beide die Liebe neu erlebt.", meint sie lachend. 

,,Warst du schon einmal verliebt?", frage ich lachend, ,,Du hörst dich an, als würdest du aus Erfahrung sprechen." Lucy winkt nur lachend ab und schüttelt den Kopf. 

,,Nein. Ich habe nur viele Bücher gelesen. Hast du keine Liebesromane gelesen?" 

,,Nicht wirklich. Ich war mehr Fantasie orientiert. Die einzige Liebesgeschichte, an die ich mich orientiere, ist die meiner Eltern. Ihre Liebe ist beispiellos.", antworte ich ehrlich. Obwohl meine Mutter noch jung ist, heiratet sie nicht noch einmal, sondern trägt ihren Ehering jeden Tag. Sie ist meinem Vater so treu, als würde sie Angst haben ihn im Jenseits nicht mehr zu treffen. Lucy nickt nur kurz. 

Die Seemänner haben inzwischen alles eingeräumt, doch die anderen sind noch immer nicht zurück. Eine leichte Unruhe breitet sich über der Mannschaft aus. 

,,Wir fahren schon einmal vor. Wir müssen die Vorräte sortieren. Zwei von euch bleiben hier, sodass ihr Rudern könnt.", bestimmt Drinian ernst und sofort machen die Männer sich bereit die Boote zu Wasser zu lassen.

,,Ich warte lieber auf sie. Ich bleibe hier."; sage ich zu Reepicheep, welcher nur ermutigend nickt. Auch Lucy steigt ins Boot und rudert los. Quälend langsam geht die Zeit vorüber. Erst als die Boote der anderen die Morgenröte schon erreicht haben, sehe ich die Gestalten über die Kuppel laufen. Neugierig und hoffnungsvoll springe ich auf und will ihnen entgegen rennen. Doch dann fällt mir auf, dass nur Kaspian und Edmund zurück kommen. 

Geduldig warte ich bis die beiden in Rufweite sind und gehe ihnen dann entgegen. Kaspian sieht mich nicht an, sondern starrt untypischerweise auf den Boden. Mein Blick jedoch heftet sich an Edmund. Er hält zwei Sachen in den Händen, welche ich sofort erkenne: Ein Buch -Eustachius' Tagebuch- und ein verbrannter Lederschuh. Edmund hält meinem Blick stand. In seinen Augen stehen Tränen. Besorgt bleibe ich stehen, denn meine Füße kommen nicht mehr weiter. 

,,Was-", fange ich an, doch meine Stimme bricht ab. Edmund laufen mehr Tränen über die Wange. Obwohl auch ich spüre wie Tränen in meine Augen steigen, habe ich das Gefühl ihn trösten zu müssen. 

,,Wir haben den Schuh und seine Klamotten neben einem Schatz gesehen. Verbrannt.", beantwortet Kaspian meine unausgesprochene Frage schluckend. Er geht an Edmund und mir vorbei auf das kleine Boot zu.

Edmund und ich stehen uns nur noch wenige Meter gegenüber. Ich fühle mich, als hätte jemand meinem Herz tausend kleine Messerstiche hinzugefügt. Eustachius war mein bester Freund. Er war wie ein kleiner Bruder für mich. Die einzige Person, die mich nicht wegen meiner Mutter oder der Geschichte meines Vaters verurteilt hat. 

Mir wurde die nächste Person genommen. Erst mein Vater, jetzt Eustachius. Ich würde alles tun, um ihn noch einmal schnarchen zu hören, um noch einmal zu erleben, wie er sich über Mathematik aufregt oder wie er mir über seine Sammlung erzählt. Ich fühle mich wie nach dem Tod meines Vaters. Mit einem Mal war es mir egal, ob wir das Böse in Narnia besiegen. Es gibt keinen Beweis, dass mein Vater überhaupt noch lebt. Ich bereue es, durch die Tür gegangen zu sein, um ihm Nachhilfe zu geben. Vielleicht wäre das ihm jetzt nicht passiert. 

Schluchzend sinke ich zu Boden, da meine Füße unter meinem Gewicht aufgeben. Mich kümmert es nicht, dass Edmund mich so schwach sieht. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Wenige Augenblicke später spüre ich Edmunds Arme sanft um meinen Oberkörper. Er zieht mich an sich, sodass wir aneinander lehnen. Gemeinsam weinen wir, während wir uns verzweifelt aneinander festhalten. Ich will mir einreden, dass alles gut wird, doch ich schluchze nur noch heftiger. 

Wir reden nicht miteinander, doch das kümmert uns nicht. Obwohl ich mich so elend fühle, habe ich das Gefühl, dass Edmund mir hilft. Ich lehne meine Stirn gegen seine und spüre wie er mit seiner Hand meine Tränen wegwischt.

Für einen kurzen Moment halten wir beide unseren Atem an. Meine Lippen trennen sich, um etwas zu sagen, doch ein bestialisches Brüllen reißt uns auseinander. Geschockt springen Ed und ich auf und blicken auf den riesigen Drachen, der am Horizont erschienen ist.

Lost Souls/Edmund PevensieWhere stories live. Discover now