71|Er gefiel ihr

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„Wusstest du es?", fragte er sie. Meine Mundwinkel sanken. Er sah sie todernst an und auch ihr Ausdruck veränderte sich. „Über meine Eltern. Über mich." Sie hielt den Atem an und das schien Kenan zu reichen. „Erzähl mir was du weißt."
Emin sah zu mir und ich atmete tief durch. Ob das eine gute Idee war wusste ich nicht.

~

1997

Die Sonnenstrahlen schienen durch das verglaste Dach in das Atelier und ließen all die Gemälde noch schöner wirken, als sie sowieso waren.
Ezgi war eine herausragende Künstlerin. Genau wie Asya. Die Kunst war ihre Leidenschaft und sie taten nichts lieber als den gesamten Tag im Atelier in Ezgis Garten zu verbringen und zu zeichnen.

„Kuckucksblumen, Veilchen und Gerbera!", zählte Asya mit strahlendem Lächeln auf und tippte mit dem Pinsel an ihre Schläfe,„Und auch noch.. hm.." Ezgi sah von ihrer Staffelei zu ihrer Freundin, die verschiedenste Blumenarten für ihr Gemälde aufzählte. Asya sah selbst mit Farbe im Gesicht atemberaubend aus. Ihr blaues Kleid hatte alle möglichen Farbkleckse, doch das machte ihr nichts.

„Narzissen.", ergänzte Ezgi und Asya sah sofort zu ihr. „Oh ja! Die sollten um den Wasserfall sein. Das würde wundervoll aussehen!" Ezgi nickte freudig und mischte die Farben auf ihrer Palette, um den perfekten Ton zu bekommen.

„Stell dir nur vor wie schön es wäre an so einem Ort zu sein.", träumte Asya vor sich hin und tunkte ihren Pinsel in die rotbraune Farbe um ihre Brücke über einer Schlucht zu detaillieren. Viel Mühe brauchte sie nicht, denn Asya war so talentiert im Zeichen und Malen, dass sie nicht viel Übung brauchte. „Ein Ort, an dem man alles vergessen kann." Asya lächelte weiterhin, wobei Ezgis Lächeln kurz verschwand ehe sie es sofort wieder aufsetzte, dass ihre Freundin es nicht sah.
Asya lebte nicht in guten Verhältnissen und das wusste Ezgi, doch Asya wollte nie darüber sprechen. Ihr Vater verstarb an einem Herzinfarkt als sie sechzehn war. Ihre Mutter lernte vor zwei Jahren einen anderen kennen und war seitdem kaum zuhause. Es lag an Asya für ihre zwei jüngeren Geschwister zu sorgen. Und das tat sie. So gut sie es schaffte, neben ihrem Studium und den Nebenjobs.

„Hörst du das?", fragte Asya und sprang sofort auf. Ezgi verfolgte sie mit den Augen, wie sie durch den Chaos an Leinwänden und Regalen stürmte und das Radio auf dem Schrank lauter drehte. Ezgi fing an zu lachen und Asya kreiste ihre Hüften. „Ich habe das Lied schon so lange nicht mehr gehört!" Sie hüpfte freudig auf und ab und drehte sich im Kreis zwischen den Staffeleien. „Liegt das vielleicht daran, dass das Lied aus den Achtzigern ist?" Asya zuckte nur mit den Schultern und tanzte weiter zu der freudigen Musik. Es ließ sie den aufkommenden Frühling spüren.
Ezgi stand auf und holte ihr Zeichenblock hinter den ganzen Mappen hervor und nahm ihren besten Bleistift zur Hand.
Sie setzte sich wieder auf ihren beschmutzten Hocker und fing an ihre Freundin beim Tanzen zu malen.

„Du kommst nächste Woche zu meinem Geburtstag doch oder?", warf Ezgi ein und fing an ihr schwebendes Kleid zu zeichnen. Asya blieb stehen und ihre Haare fielen ihr platt über die Schulter. Sie strich sie an die Seite und war außer Atem vom Tanzen.

„Ich versuche es, das habe ich dir doch schon gesagt. Wenn meine Mutter wieder mit ihrem Neuen abhaut muss ich auf die Kleinen aufpassen.", erinnerte sie sie daran. Ezgi sah von ihrer kurzen Skizze auf und ließ die Schultern hängen, doch sie konnte nichts machen und das wusste sie.
Asya setzte wieder das strahlende Lächeln auf, welches sie sonst auch immer trug und drehte sich nochmals im Kreis, stolperte dabei gegen den kleinen Schrank und fiel gemeinsam mit den Flaschen hinunter.

„Oh mein Gott geht es dir gut?", fragte Ezgi erschrocken und stand sofort auf. Asya hob den Kopf an und sah auf einen riesigen roten Fleck mitten auf ihrem Kleid. Sie sah langsam zu Ezgi und beide brachen gleichzeitig in schallendes Gelächter aus. „Meine Mutter wird mich umbringen, wenn sie das sieht!" Sie tunkte ihren Zeigefinger in den Farbklecks und lachte noch lauter.
Sie versuchten den Fleck aus ihrem Kleid zu bekommen, was nicht ganz klappte, doch es verblasste und das reichte ihr.
Sie malten ihre Gemälde mit dem Motto »Wo du immer Frieden finden würdest.« fast fertig, legten dennoch kurz vor Ende eine Pause ein.

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