Bonus|12

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Kenan

Keine Ahnung was los ist.
Ich habe Sena vom Kindergarten abgeholt und sie hat kein Wort mit mir gesprochen. Weder in ihrer Gruppe noch auf der Fahrt nach Hause. Ich frage mich, ob ich sie verärgert habe, aber ich bin so perfekt, da gibt es kaum etwas, dass sie wütend machen würde.
„Alles gut da unten?", frage ich und sehe nach unten auf den kleinen Kopf, der stur auf die Haustür sieht, die noch verschlossen ist. Ich stecke den Schlüssel ein und öffne die Tür während ich auf eine Antwort warte, doch die bekomme ich nicht mehr, denn die kleine Dame schlägt die Tür auf und stampft ins Haus ohne zurückzusehen. Was habe ich auch erwartet bei den Genen, die sie von ihrer Mutter hat?
Sobald ich im Haus bin sehe ich den Zwerg in Windeseile die Treppen hochlaufen und vernehme zeitgleich den köstlichen Duft von Lasagne und lege meine Tasche und die Baupläne an die Seite, um in die Küche zu gehen. Seren steht, mit dem Rücken zu mir, in der Küche und summt leise vor sich hin, während sie irgendwas an der Arbeitsfläche tut. Leise schleiche ich mich an sie heran und als ich hinter ihr stehe, packe ich sie an den Hüften, dass sie zusammenschreckt.
„Bist du bescheuert?", faucht sie und dreht sich in meinen Armen zu mir um, ein Messer in ihrer rechten Hand,„Ich hätte mir den Finger abschneiden können!" Ich verdrehe die Augen. „Gott sei Dank sind alle zehn noch dran.", stelle ich fest und nehme ihr das Messer aus der Hand, denn sie ist viel zu nah an meinem Gesicht und meiner Frau traue ich zu, dass sie mir über die Wange schneidet um mir eine Lektion zu erteilen. Ich beuge mich vor und sie drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, bevor sie mir über die Schulter sieht.

„Wo ist Sena?", fragt sie und schaut hinter mich in den Flur, doch ich blocke ihre Sicht wieder.
„Habe ich verloren."
Seren sieht mich sofort wieder an und ich lehne mich vor um sie erneut zu küssen, doch diese Frau ist unfassbar, denn sie hält mir die Hand vor den Mund, dass ich sie nicht küssen kann.
„Für diesen schlechten Witz kriegst du jetzt keinen Kuss mehr.", beschließt sie und dreht sich wieder um, damit sie den Salat, wie ich sehe, fortsetzen kann.
Aufgebracht nehme ich die Arme von ihr.
„Deine Tochter redet nicht mit mir, Teufelchen.", lasse ich sie wissen und schnappe mir eine geviertelte Gurkenscheibe aus der Schüssel.
„Was hast du getan?", fragt sie und schiebt die Tomaten von dem Schneidebrett in die Schüssel.
„Nichts. Seitdem ich sie abgeholt habe, ist sie schlecht gelaunt. Sie sieht genau so aus wie du.", merke ich an, dass sie schnaubt.
„Sie sieht aus wie ich, wenn sie wütend ist?", wiederholt sie ungläubig,„Dann bist du sicher schuld." Ich ziehe ihr eine Grimasse und pikse sie in die Seite, dass Seren mich böse ansieht.
„Lass den Scheiß, Alter! Ich habe ein Messer in der Hand!", regt sie sich auf und verdreht die Augen,„Jetzt geh deine Hände waschen und hol mein Mini-Ich, damit wir essen können."
„Aye, Ma'am."

Summend nehme ich die Treppe nach oben und greife nach der Türklinke zu unserem Schlafzimmer, während ich mein Hemd beginne aufzuknöpfen, doch höre die gedämpften Schreie von Sena und sehe zu ihrer Zimmertür, die geschlossen ist. Wieso schreit sie denn jetzt?
Ich überlege, ob ich es einfach ignorieren und mich umziehen oder ein guter Vater sein und zu ihr gehen sollte. Es fällt mir schwer eine Entscheidung zu treffen, doch der Gedanke, dass sie sich gerade verletzt hat und deswegen schreit setzt sich fest und ich schlage ohne weiteres die andere Richtung ein.
Bevor ich in ihr Zimmer gehe klopfe ich einmal und ziehe die Tür langsam auf. Dabei schiebe ich drei Puppen und ein Auto an die Seite, weil meine Tochter es nicht für nötig hält aufzuräumen und es nicht mit uns tut. Mit ihren beinahe vier Jahren kann ich doch erwarten, dass sie mit mir zusammen ihr Zimmer aufräumt, oder etwa nicht?
„Klopf Klopf, dein gut gelaunter Papa ist da."
Als ich ins Zimmer sehe, welches aussieht als hätte sich eine Spielzeugfabrik drinnen übergeben, finde ich das Kind erstmal nicht.
„Niemand zuhause?"
Ich bin mir sicher, dass sie hier ist. Wo auch sonst?
Ich trete in ihre vier Wände und schließe die Tür wieder hinter mir, während ich umhersehe. In dem kleinen Himmelbett ist sie nicht, bei ihren Kleiderschränken, in denen sie sich manchmal versteckt, auch nicht und neben den Puppenhäusern auch nicht.
„Hm, Sena ist wohl verschwunden. Gut, dann spende ich mal all ihre Spielsachen an andere Kinder.", denke ich laut und vernehme ein Gequengel aus dem kleinen Zelt in ihrer Zimmerecke, welches genauso unordentlich ist, wie auch der Rest des Zimmers. Ein Haufen Kissen und Spielzeuge liegen darin und als ich es aufschlage, sehe ich den hellbraunen Zopf, der zu meiner Tochter gehört zwischen den Sachen vergraben.

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