Kapitel 2: Verloren in der Menschenmenge

103 17 10
                                    

Ivy zwang mich regelrecht, mich für die Party noch einmal völlig neu zurechtzumachen. Nicht, dass ich vorgehabt hätte, Milan in meinem rosanen, überaus flauschigen Einhorn-Jumpsuit unter die Augen zu treten, aber mich komplett mit Make-up einzupudern, hatte ich auch nicht beabsichtigt, zumal ich mich normalerweise nicht so in Schale warf. Es hatte schließlich bis zur High School gedauert, bis ich mich überhaupt das erste Mal geschminkt hatte. Und selbst dann gelang mir das stets so unscheinbar, dass man mich erst eines zweiten Blickes widmen musste, um es zu bemerken. Und wer schaute bei mir schon zweimal hin?
Exakt in dieser Menge trug ich mein Make-up auch heute auf, schließlich sollte ja keiner auf die Idee kommen, ich hätte mir extra Mühe gegeben. Das passte einfach nicht zu mir. Auch die Zeit, die ich zur Klamottenauswahl aufwandte, war wie immer ziemlich kurz. Kleider hatte ich sowieso keine. Kaum hatte ich meinen Schrank geöffnet, hatte ich auch schon entschieden, das ich das Anwesen von Milans Eltern in einer hochgeschlossenen, weißen Bluse, dunkelgrauer Hose mit schwarzem Ledergürtel und silberner Schnalle und Schwarzen Stiefeln mit zwei Zentimeter-Absatz besuchen würde. Unscheinbar wie immer, aber trotzdem irgendwie sexy. Nicht, dass es mich kümmern würde. Aber zumindest ein bisschen sollte man doch auf sein Aussehen achten. Wer wusste schon, wem man begegnen könnte?
Vor dem Badezimmerspiegel verharrte ich kurz. Ja, man sah die Schminke wirklich kaum. Um zu bemerken, dass ich meine riesigen, schwarzen Augenringe damit kaschiert hatte, von denen Ina immer behauptete, sie würden meine großen, offenen, tiefblauen Augen betonen, genügte ein Blick jedenfalls nicht. Ich konnte mich noch nie entscheiden, ob ich deren Farbe, die tatsächlich dem Blau des Nachthimmels glich, mögen sollte. In meiner Familie, deren letzte Vertreterin ich mittlerweile war, waren sich komplett einzigartig. Keiner meiner Vorfahren hatte diese Augenfarbe besessen. Ich wusste nicht, wo sie herkam. Meine schulterlangen, dunkelblonden Haare, die sich in den kommenden Jahren wohl kastanienbraun färben würden, hatte ich dagegen von meiner Mutter geerbt, ebenso wie mein recht zierliches, freundliches Gesicht, die kleine, gerade Nase, die hohen Wangenknochen und die regelmäßigen, hellen Augenbrauen.

Ohne mich noch lange aufzuhalten, schloss ich die Badezimmer auf, um Ivy gegenüberzutreten. Sie lehnte mit ungeduldiger Miene am Treppengeländer des weißen Flurs unserer gemeinsamen Drei-Zimmer-Wohnung und puderte sich mit zitternden Fingern die Nase neu. Weißer Staub rieselte auf den hellbraunen Paketboden. Als ich aus der Tür trat, fuhr sie heftig zusammen und starrte mich aus ihren haselnussbraunen Augen eher amüsiert als gereizt an. "Schön, dass du dich zusammenraufen konntest, Saph. Traurig steht dir nicht, das habe ich schon immer gesagt", beteuerte sie grinsend. Oh, ich es konnte es nicht ausstehen, wenn sie mich bei diesem Spitznamen nannte. Trotzdem erwiderte ich ihr Lächeln beinahe mühelos, trat auf sie zu, bevor sie einen Kommentar zu meinem Outfit abgeben konnte, und schnappte ihr die Puderdose aus den Fingern. Ohne auf ihren zum Protest geöffneten Mund zu achten, klappte ich die Dose zu und ließ sie in eine Seitentasche meines mahagonibraunen Rucksacks gleiten. Eben diesen hatte Ivy übrigens erst gestern als komplett veraltet und unpraktisch bezeichnet. Also ich fand, er erfüllte seinen Zweck recht gut.
"Hör auf mit dem Quatsch", wies ich sie streng an, "Sowas hast du nicht nötig. Erstens bist du hübsch genug und zweitens hast du schon mehr als genug Puder auf der Nase." Das stimmte wirklich. Vor allem ersteres. Wenn man mich fragte, hätte Ivy mit ihrem elfenhaften Gesicht, den hüftlangen, blonden Locken und den Modelmaßen jederzeit an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen können und sei es morgens um sechs Uhr (Eine Zeit, die für Morgenmuffel wie uns eindeutig direkt nach Mitternacht lag).
Was machte dieser Kotzbrocken nur mit ihr, dass sie auf einmal so an sich zweifelte? "Meinst du wirklich?", hakte Ivy unsicher nach. Trotzdem ignorierte ich sie, angelte mir stattdessen die Autoschlüssel ihres Dodge vom Sideboard und warf sie ihr zu. "Du fährst", bestimmte ich, bereits auf der Treppe,"Wenn du mich schon mit auf die Party deines idiotischen Feundes schleppst."
Es hat einige Vorteile, in Ivys schwarz glänzendem Dodge Challenger zu einer Schulparty vorzufahren, was sowohl an den Auto als auch an der Gegenwart meiner besten Freundin lag. Erstmal fühlte ich mich dadurch nicht so klein und konnte das mulmige Gefühl gleich wieder verdrängen, das beim Anblick des Anwesens von Milans Eltern in mir aufstieg. Tja, selber Schuld, wenn bei mir bei dem Wort "Anwesen" nichts klingelte. Denn dieses Gebäude glich eher einem Schloss als einem Haus. Umrahmt wurde es von einem Zufahrtsweg, der mindestens 20 Meter messen musste, sowie einem englischen Garten voller regelmäßig geformter Blumenbeete, in denen struckturiert exotische Pflanzen wuchsen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Zusammengenommen wirkte das Grundstück auf mich wie die glasierte Oberseite eines Kuchens mit dem schneeweißen Schloss (bestimmt Marmor) in der Mitte. Ich war noch nie hier gewesen, da ich in dem Monat, das Ivy und Milan schon ein Paar waren nie den Drang verspürt hatte, ihn zuhause zu besuchen. Und davor erst recht nicht.
Staunend beobachtete ich, wie Ivy, die diese Pracht völlig kalt ließ, ihr Auto abschloss, den passenden Schlüssel verschwinden ließ und dafür einen anderen, dunkelgrünen und etwas altmodischen hervorholte. Mir war nicht klar, wozu er passte, bis sie ihn in das riesiege, kunstvolle, (natürlich) schmiedeeiserne Doppeltor vor uns steckte, das farblich genau zu dem Schlüssel passte und den dunkelgrünen Zaun, der das gesamte Anwesen von der Außenwelt trennte, in zwei Abschnitte unterteilte. Unfeierlich stieß sie es auf und bedeutete mir, ihr über die Zufahrt (das Pflaster bestand ebenfalls aus Mamor) zu folgen. Ich tat wie mir geheißen, merkte dabei aber, dass mir der Mund offen stand und klappte ihn schnell zu. "Milan hat dir einen Schlüssel zum Anwesen seiner Eltern überlassen?!", fragte ich völlig perplex. Meine Freundin zuckte nur mit den Schultern, als sei das keine große Sache.
Okay, vielleicht hatte ich Mr Kotzbrocken falsch eingeschätzt. Er war noch ein größerer Angeber als ich gedacht hatte.

Pakt mit dem Teufel - Der Dämon meiner Träume ⏸Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt