Kapitel 7: Herzlich willkommen, Mr Harper!

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Eath

Der erste Morgen meines neuen Lebens gestaltete sich ganz normal, genauso wie jeder andere auch. Sofern man bei einem Typen wie mir von normal reden konnte.
Im gedimmten Sonnenlicht, das durch den Spalt im undichten Rolladen durch das ganze Zimmer fiel, schlug ich die Augen auf. Wie immer dauerte es keine paar Sekunden, bis die Müdigkeit des Schlafs komplett aus meinem Kopf verschwunden war. Ich musste mir nie Sorgen machen, dass ich frühs nicht rechtzeitig aus dem Bett kam. Einen den Wecker brauchte ich schon lange nicht mehr. Mein Geist schien sich daran gewöhnt zu haben, mich automatisch dann aus dem Land der Träume, oder in meinem Fall der Erinnerungen, zurückzuholen, wenn es nötig war. Träume hatte ich keine, bei mir spielten sich im Schlaf Erinnerungen aus meiner Vergangenheit in meinem Kopf ab. Und das war Albtraum genug, das könnt ihr mir glauben.
Ich wachte immer dann auf, wann es für mich günstig war. Ein Überbleibsel davon, wenn man schon als kleines Kind nie ruhig schlafen konnte, ohne Angst zu haben, von einem x-beliebigen Passanten zusammengeschlagen und ermordet zu werden, während man einen Moment lang nicht aufmerksam war.
Ich sah mich in meiner mir bis jetzt alarmierend unbekannten Umgebung um. Der Raum um mich herum war schäbig, ungepflegt und leer. Bis auf einen monströsen, grünen Kissenberg in der Mitte, der die Bezeichnung "Sofa" nicht so richtig zu verdienen schien. Die graue Tapete blätterte an den meisten Stellen von der Wand ab und die gedimmten Sonnenstrahlen, die Teile des Raumes in schwaches Licht tauchten, beleuchten deutlich einige dichte Staubwolken. Kurz, mein neues Zuhause, als das ich es jetzt wiedererkannte, wirkte absolut nicht einladend.
Ich hatte auch nichts Besseres erwartet. Mittlerweile war ich an solche Umstände gewöhnt. Es war schon mal positiv, dass ich überhaupt ein Dach über dem Kopf hatte und dafür nur so viel zahlte, wie ich mir auch wirklich leisten konnte. Jetzt erinnerte ich mich auch genau an alles, was mich hierher gebracht hatte. Es war nur ein weiterer der gefühlt 1000 Umzüge gewesen, die ich in den letzten Monaten unternommen hatte. Ich hasste es, zu lange an einem Ort zu bleiben. Nur diesmal hatte mich dieser Ortswechsel in unbekannte Gewässer geführt. Ich war noch nie zuvor im Leben aus Kalifornien herausgekommen. Allerdings hatten bestimmte Umstände mich kürzlich gezwungen, diese bekannte Umgebung aufzugeben und mitsamt meiner und sieben Sachen Hals über Kopf von Hollywood nach Boston in Massachusetts zu ziehen.
Es hatte nicht lange gedauert, hier eine Schule aufzutreiben, die mich aufnahm, und auf der ich die Kurse belegen konnte, die meinen Vorstellungen entsprachen. Meinen Abschluss in knapp zwei Jahren auf der Brooklyn-High School zu machen, schien erträglich zu sein.
Das gleiche galt auch für meine Unterkunft, die wie gesagt meinen Geldmitteln entsprach. Die Wohnung, in der ich mich befand, ein winziges Dachappartement in East Cambridge in der Carleton Street, nicht weit entfernt von der Brooklyn-High, gehörte einer netten, alten Junggesellin namens Miss Elaisa Berny.
Sie vermietete mir die Wohnung freundlicherweise zu einem echten Spottpreis, auf den ich in einer Großstadt wie Boston als letztes gehofft hätte. Was da hieß, dass ich nicht für die nächsten paar Jahre hoffnungslos hungern musste. Denn Teilzeitjobs, die für meine Zwecke taugten, hatte ich in Boston leider noch nicht sonderlich viele finden können.
Trotz alledem und obwohl Miss Berny mir bestimmt tausendmal versichert hatte, dass der Mietpreis, den sie mir genannt hatte, in unser beider Interesse wäre, fühlte ich mich ihr gegenüber ein bisschen schuldig. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die es genossen, andere auszunutzen, selbst wenn das hier kein solcher Fall war. Bei meiner Vorgeschichte sollte man meinen, ich sei ein unausstehlicher, misstrauischer, Menschen verabscheuender, gemeiner Geizkragen und litte obendrein noch an Verfolgungswahn.
Gut, ich muss zugeben, misstrauisch zu sein war zweifellos eine meiner hervorstechenden Eigenschaften, unausstehlich konnte ich auch durchaus sein, genauso wenig wie sich in mir auch nur die geringsten Anzeichen eines Menschenfreundes versteckten, aber was die anderen Beschreibungen betraf, so bezeichnete ich mich doch selbst als das Gegenteil davon. Obwohl, wenn man es darauf anlegte, mich zum Feind zu haben, dann konnte ich durchaus sehr ungemütlich und gemein werden. Ich hatte schon als kleines Kind gelernt, mich selbst gegen andere zu wehren und wusste sehr genau, wie man sich verteidigte.
Bei der guten Miss Berny war das zum Glück nicht nötig gewesen. Wir hatten bereits zuvor telefoniert, und uns auf die Miete und den Übergabezeitpunkt der Wohnung geeinigt. Hierbei ging es nicht so streng zu, wie bei einigen anderen Mietverträgen, schließlich war sie sehr alt und ich sehr jung, was dem ganzen Geschäft irgendwie den Ernst nahm. Dazu kam noch, dass ich sie anscheinend an ihren Großneffen erinnerte, was ich doch stark zu bezweifeln wagte. Des Weiteren bezeichnete sie mich als armes, unschuldiges, hart arbeitendes Jüngelchen mit Engelsgesicht, dass die Last der Welt auf seinen Schultern trägt. Haha, dass ich nicht lachte. Aber auch, wenn das nur die Hirngespinste einer einsamen, alten Dame waren, verstanden wir uns recht gut. Sie schien einfach zu den Menschen zu gehören, bei denen man einfach nicht anders konnte, als sie lieb zu gewinnen.
Ich war gestern erst spät abends mit meinem Motorrad und meinem sehr bescheidenen Eigentum, das problemlos in meinen alten, schwarzen Rucksack passte, in Boston angekommen, komlett gerädert von der tagelangen Fahrt. Generell hatte ich meinen Besitz schon immer so klein wie möglich gehalten. Es machte mich flexibler und ich mochte außerdem das Gefühl nicht, an Gegenständen zu hängen.
Zurückgelassen hatte ich nicht viel, schon gar nichts, worum man trauern sollte. Eine graue Schule voller Leute, die mich nicht ausstehen konnten; ein trostloses, schmutziges Viertel voller Straßendiebe, Straftaten und Müllberge; und eine ganze Menge viel zu unnatürlich glänzender, nagelneuer Möbel (ich hatte wie immer mit der Vermieterin meiner letzten Wohnung einen Diel geschlossen, dass die diese behielt und mir stattdessen einige Raten erspahrte, bei mir klappte das aus unerfindlichen Gründen immer).
Das einzige, was ich vielleicht vermissen würde, war mein bester Freund Sydney, den ich schon seit Ewigkeiten kannte, und der in Kalifornien zu Hause war. Sein Name war auch der einzige, den ich auf meinem natürlich möglichst billigen Handy als Kontakt mit Telefonnummer eingespeichert hatte.
Ich hatte noch nie zu den Leuten gehört, die sonderlich beliebt gewesen waren. Oder besser gesagt, hatte ich nie zu den Leuten gehört, die akzeptiert hatten, dass sie bei anderen beliebt waren. Denn aus irgendeinem Grund war ich bei meinen Mitschülern stets relativ gut anzukommen. Ich persönlich sah allerdings keinen Grund, sie in mein Leben zu lassen. Ich denke, ich bin ganz gut darin, die wahren Freunde von den Heuchlern zu unterscheiden. Auch das hatte ich schon gelernt, als ich mir noch selbst das Laufen beigebracht hatte.
Schon mein Leben lang hatte ich mich selbst versorgt und daher schnell gelernt, an allen Ecken zu sparen. Es war nicht so, dass ich arm war, nein, ich hatte eigentlich sogar ziemlich viel Geld durch die vielen Teilzeitjobs, in denen ich in den letzten Jahren geglänzt hatte (jedenfalls schien es so, bei dem vielen Geld, das ich eingenommen hatte), und trotzdem gab ich mir Mühe, auf legale Weise so viel Geld wie möglich zur Seite zu schaffen, für bessere Zeiten, in denen ich es vielleicht brauchen würde. Natürlich hielt ich mich dabei immer im Rahmen des Gesetzes. Ich hasste den Gedanken, andere Leute zu betrügen oder zu bestehlen. Vor allem, wenn sie es nicht verdient hatten.

Pakt mit dem Teufel - Der Dämon meiner Träume ⏸Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum