Kapitel 6: Ein neuer Schüler?

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Sapphire

"*Pffft...pffft...zwitscher...pffft...zwitscher...pffft*" Genau das war das Geräusch, dass mein Wecker am Montagmorgen von sich gab und mich damit unsanft aus dem Schlaf riss. Ich stöhnte laut und wütend auf. "IVY!", brüllte ich zutiefst verärgert, während ich gleichzeitig agressiv mit der Hand meinen Nachttisch nach diesem zwitschernden Höllengerät abtastete. Ziemlich schnell, allerdings zu langsam, um das Pfeifen in meinem Ohr zu verhindern, dass das mechanische Vogelgezwitscher mit sich brachte, wurde ich fündig. Ich rammte die Hand auf das Gehäuse und das Geräusch verstummte augenblicklich. Ich stöhnte erleichtert und ließ mich erschöpft zurück auf die Matratze sinken.
Natürlich wusste ich genau, dass ich diesen bemerkenswerten Start in den Tag meiner wundervollen, besten Freundin zu verdanken hatte. Irgendwann im ersten Jahr der High School hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, mich jeden Morgen zu variierenden Uhrzeiten mit den verschiedensten Klängen zu erfreuen. Dummerweise kannte sie mich mittlerweile lange und gut genug, um genau zu wissen, welche davon absolut nicht meinem Musikgeschmack entsprachen. Das und die Tatsache, dass ich das frühmorgendliche Aufstehen mehr hasste als alles andere, garantierten ihr dabei eine ganze Menge Spaß auf meine Kosten. Ich konnte es nicht ausstehen, die Vögel morgens noch im Halbschlaf bei ihrem Sonnenkonzert zu hören. Wer immer festgelegt hatte, dass sie die Sonne zu ihrem Aufgehen um fünf Uhr früh (so fühlte es sich jedenfalls an) von tausenden dieser Nervensegen begrüßt wurde, musste ein Sadist der allerschlimmsten Sorte sein.
Aber heute war Ivy nicht da, um zu überprüfen, ob sie mich mit der Vogel-Aktion erfolgreich zur Weißglut getrieben hatte. Sie besuchte ihren Kotzbrocken von einem Freund bei diesem zuhause, wofür sie sich sogar zu einem noch frühen Zeitpunkt aus den Kissen gequält hatte, als mein Wecker für seinen Zwitscheralarm auserkoren hatte. Schon das allein war ein Wunder auf Erden. Es überraschte mich immer wieder aufs neue, wie weit sie ihr Liebe zu Milan gehen ließ.
Mit den Zeiten, zu denen ich nun tatsächlich aufstand, hatte das jedoch absolut nichts zu tun und da ich mich von gestern immer noch wie gerähdert fühlte, kuschelte ich mich entschlossen in meine Kissen, kniff fest die Augen zusammen und war fast sofort wieder ins Land der Träume entschlummert.
Als ich das nächste Mal zu mir kam, war die Sonne vor dem Fenster vollends aufgegangen und echte Vögel lieferten sich draußen ein Gesangsduell. Mit einem Schlag war ich hellwach, warf die Decke von mir und sprang mit einem entsetzten Gesichtsausdruck auf die nackten Füße. Mein stark lädierter Wecker auf dem Nachttisch neben dem Bett zeigte sieben nach sieben an. Ich rieb mir hoffnungsvoll die Augen, doch leider bildete ich mir dieses Bild nicht ein. Ich hatte verdammt nochmal schon wieder total verschlafen und wenn ich mich jetzt nicht sehr beeilte, konnte ich mir den Bus um halb acht komplett abschminken. Ich würde viel zu spät kommen. Mal wieder.
Ich fluchte laut, während ich meine sieben Sachen zusammenraffte und ins Bad stürzte. Eine knappe Dusche und ein kleines bisschen mehr Make-Up als sonst genügten, um mich wieder halbwegs wie einen lebenden Menschen aussehen zu lassen und nicht wie die todmüde Wasserleiche mit einem Vogelnest als Haare von gestern, die vergessen hatte, sich abzuschminken. Was nicht hieß, dass das mit dem "todmüde" nicht zutraf. Denn das war gerade das beste Wort, um mich zu beschreiben. Meine Augenringe reichten mittlerweile gefühlt bis zu meinem Unterkiefer. Auch wenn man das ja auf den ominösen ersten Blick nicht zeigen musste.
Ich streifte mir einen braun karierten Rock und einen dünnen, schwarzen Pulli über, genehmigte mir einen überlebenswichtigen Kaffee, putzte meine Zähne und schnappte mir Rucksack, Kopfhörer und Handy (es war von gestern ja bekanntlich am Ladekabel verblieben). Meine hellbraunen Zotteln mussten sich heute mit ein paar flüchtigen Bürstenhieben zufriedengeben.
Die Treppe bretterte ich mit der Lautstärke und Eleganz einer Elefantenherde beim Wettlauf herunter, riss um Punkt sieben Uhr 29 die Haustür auf, ließ sie hinter mir ins Schloss knallen und stürmte mit einem olymiawürdigen Tempo in Richtung der mit normaler Geschwindigkeit circa fünf Minuten entfernten Bushaltestelle.
Ich verpasste meinen Bus haarscharf. Und wenn ich sage haarscharf, dann meine ich das auch. Die Türen krachten direkt vor meiner Nase zu und der Busfahrer drückte sofort aufs Gaspedal, ohne eine Sekunde Mitleid mit dem verzweifelt winkenden Mädchen im Ruckspiegel zu haben. Im Vorbeifahren erwischte er mich voll, indem er mit einem seiner Reifen durch eine Pfütze im Rinnstein von der letzten Nacht preschte, natürlich direkt vor meiner Nase, und mich so komplett einsaute. "Na toll", dachte ich mir, als ich mir so gut wie möglich den Schlamm von den Waden wischte. Die Welt schien sich mal wieder gegen mich verschworen zu haben. So viel zum erfüllten Start in die Woche.
Knappe fünfzehn Minuten (Verspätung eingeschlossen) später kam der nächste Bus in Richtung North Cambridge und damit der Brooklyn High. Mit guter Hoffnung auf eine Besserung des Tages stieg ich ein und verdrückte mich in die hinteren Reihen. Dort ließ ich mich nieder, entschlossen, die Außenwelt ab jetzt für die Zeit bis zur Endhaltestelle komplett zu ignorieren und einfach die Seele baumeln zu lassen. Ich kramte mein Handy und die Ohrstöpsel aus meinem Rucksack, steckte letztere in die Ohren und drehte Feel Alive von Sunrise Avenue gerade laut genug auf, dass meine Ohren nicht protestierten und es keiner der anderen Fahrgäste um mich herum mitbekam.
Diese Band passte einfach zu jedem Zeitpunkt bei jedem Gefühlszustand. Auch zum Seele baumeln lassen und sich abregen. Kaum etwas war besser dazu in der Lage, mir den Tag zu retten als die tiefe Stimme ihres Liedsängers Samu Haber und seiner bedeutungsvollen, wirklich schönen Texte und die Botschaften dahinter.
Und nichts half besser, um alles um mich herum zu vergessen. Ich liebte Musik wie diese, auch wenn sonst eher Pop, meist gemischt mit Techno mein Fall war. (Solange Lautstärke und Text stimmten.) Sunrise Avenue selbst produzierte hauptsächlich Soft Rock. Ich erlaubte mir, die Augen zu schließen, mich entspannt zurückzulehnen und einfach nur die Musik und die damit verbundene Ruhe zu genießen.
"You're not living if you don't feel alive", sang Samu, nur um sich dann eine kleine Atempause zu gönnen und den Hintergrundstimmen das Feld zu überlassen. "Hey iey hieyyy...", stieg ich automatisch mit ein, ohne zu merken, dass ich es ausversehen laut aussprach, oder besser aus vollem Halse krakehlte. Im nächsten Moment spürte ich deutlich sämtliche sehr ungehaltene und befremdliche Blicke der anderen Businsassen auf mir ruhen, was mich dazu veranlasste, langsam und peinlich berührt aufzusehen. Die außerst streng wirkende Frau (vermutlich Mitte 30) in der Reihe vor mir, die mein Gesang offenbar von ihrer Zeitung hatte aufschauen lassen, musterte mich mit gerümpfter Nase über ihre Sitzlehne hinweg. Ich schenkte ihr an peinlich berührtes, entschuldigendes Lächeln und machte, dass ich Meine Musik aus schaltete, eine Kopfhörer einstecke, und mich aus dem Staub machte, bevor ich noch unangenehmer auffallen konnte. Hinter mir hörte ich die Frau abwertend "High School" murmeln. Doch noch bevor ich meinen sicheren Rückzugsort an der hinteren Bustür erreicht hatte, stellte sich mir jemand in den Weg. "Wenn das nicht unser Sunrise Avenue-Freak ist", spottete die Person in ganz ähnlicher Tonlage wie meine Sitznachbarin zuvor, "Dass du diesen Schwachsinn noch hörst, Jowett. Und ich dachte, du würdest langsam ein Interesse daran entwickeln, dich in unsere Gesellschaft einzugliedern."
Ich stöhnte leise in mich hinein. Wenigstens für einen Moment hatte ich mir du gestanden, darauf zu hoffen, dass ich in einen halbwegs freundlichen Menschen gerannt war. Bei mir stand Taryn Scott, einer von Drakens besten Kumpels und damit Teil des Fluches meines Lebens. Für meinen Geschmack sah er um einiges besser aus als Draken selbst, mit seiner dunklen Haut und dem stacheligen schwarzem Haar, doch der tückische Ausdruck in seinen stahlgrauen Augen gefiel mir ganz und gar nicht. Er war weniger muskulös als andere Jungs seines Alters, Milan und Draken eingeschlossen, was ihm aber nicht weniger stand. (Überflüssig zu sagen, dass er ebenfalls ein Basketballspieler war, der seinem Captain, der seit Beginn des Schuljahres ebenfalls niemand anderes war als Draken, treu ergeben war.)
"Was willst du, Taryn?", harkte ich leicht genervt nach, der Morgen war wirklich schon mies genug, auch ohne dass er mich in ein Gespräch verwickelte, das vermutlich ausschließlich meine Inkompetenz behandeln würde.
"Aber, aber, Kleines, warum denn gleich so gemein werden? Ich habe dir nur einen freundlichen Rat gegeben", antwortete er grinsend und fixierte mich wachsam.
Zu schade, dass er so gemein war, in einem guten Film hätte man sich durchaus in ihn verlieben können (Vielleicht lag das aber auch nur an meinem unbestreitbaren Fable für Film-Bad Boys). Andererseits könnte er vielleicht sogar einen guten Freund abgeben. Allerdings nicht auf diese Art.
"Ja genau", erwiderte ich skeptisch und mit einem leisen Schnauben, "Als ob ich dir das glauben würde. Wenn du mich jetzt entschuldigst." Ich weiß, ich war vielleicht etwas gemein für meine Verhältnisse, aber ich kannte ihn, und aufgrund seines Verhaltens in der Vergangenheit war diese Einstellung von meiner Seite durchaus gerechtfertigt.
Genau in diesem Moment hier der Bus zu meiner großen Erleichterung an der Haltestelle vor der Brooklyn-High School. Ohne einen weiteren Blick an ihn zu verschwenden, drängte dich mich an Taryn vorbei, aus dem Bus und machte mich hastig auf den Weg über den bereits gut gefüllten Schulhof in Richtung des Schulgebäudes. Wenn ich für die erste Stunde (Englisch bei Mrs Haylyn, unserer Jahrgangsstufen-Betreuerin) noch einen Platz neben einer meiner Freundinnen ergattern wollte, musste ich mich wirklich beeilen. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es bereits einmal gegongt haben musste, und mir dafür daher nur noch knapp zehn Minuten blieben. Obwohl ich geradewegs und ohne die anderen Schüler anzusehen über den Betonplatz Schritt, konnte ich nicht vermeiden, dass ich unweigerlich etwas von ihren Gesprächen aufschnappte. Nur handelte es sich dabei diesmal nicht um eine plötzlich Gestalt annehmende Flut aus Beleidigungen zu meiner Person, sobald ich an ihnen vorbeilief. Es schien nichtmal etwas mit mir zu tun zu haben, was mich so sehr überraschte, dass automatisch mein Interesse geweckt wurde.
"Habt ihr schon das neueste gehört? Es wurde heute überall herum erzählt!", flüsterte ein zierliches, aufgeregtes Mädchen aus dem Jahrgang unter mir, dass ich nur vom Sehen her kannte, ihren giggelnden Freundinnen zu. "Was denn, dass die Juniors einen neuen Schüler bekommen und dass er unheimlich heiß sein soll?", kicherte eine andere, die mir komplett unbekannt war, zur Antwort. "Ja, davon hab' ich auch gehört!", erwiderte eine dritte mit leuchtenden Augen.
Ich traute meinen Ohren nicht. Ein neuer Schüler? In meinem Jahrgang?(Die Juniors bezeichneten die elfte Klasse, beziehungsweise die dritte Klasse der High School.) Und das im November, mitten im Schuljahr?
In diesem Moment allerdings bemerkten die Mädchen, dass ich immer noch neben ihnen stand und perplex ihrem Gespräch lauschte. Der befremdete Blick, den mir die erste zuwarf, glich dem der Frau im Bus. "Was willst du den?", wollte sie angewidert wissen und musterte mich von oben bis unten, wobei sich ihr Tonfall in ihrer Miene wiederspiegelte. Ganz schön mutig für so eine Pimpfin.
Trotzdem lächelte ich höflich und entschuldigend wie eigentlich sonst immer. "Entschuldigt bitte, ich wollte nicht den Eindruck erwecken, als würde ich lauschen. Tut mir leid, wenn ich euch gestört habe", antwortete ich. Als ich mich abwendete und erneut hastig auf die Eingangstür des Schulgebäudes zulief, hörte ich das Mädchen hinter mir deutlich etwas wie "Worauf du Gift nehmen kannst, B*tch." murmeln. Ich verkniff mir einen ebenso netten Kommentar und lenkte meine Gedanken wieder zum Englischunterricht. Jedenfalls versuchte ich es.
Aber auch auf dem Schulfluren waren heute ungewöhnlich viele Schüler versammelt, die in kleinen Grüppchen zusammen standen und allesamt mit äußerst ungewöhnlichem Enthusiasmus ausnahmslos alle über dasselbe Thema redeten: den neunen Schüler.
Ich verdrehte nur die Augen und versuchte, es so gut wie möglich zu ignorieren. Doch ich musste zu meinem Leidwesen feststellen, dass es mir in diesem Fall aufgrund der Fülle an Gesprächen, die von allen Seiten auf mich eindrängten, ziemlich schwer fiel, mich taub zu stellen.
Ein paar Minuten später erreichte ich meinen Spint und während ich die Kombination in das Schloss tippte und die Bücher in meinem Rucksack gegen meine Englischutensilien austauschte, hörte ich zwei weitere Mädchen, zwei Seniors (zwölfte Klasse), die sich mir gegenüber an die Metallschränke lehnten, die sich ebenfalls über das einzige Thema unterhielten, die diese Schule an diesem Montag zu kennen schien.
"Jones aus der zehnten behauptet, ihn persönlich gesehen zu haben, wie er das Büro des Direktors betreten hat! Ich sag' dir, Jones hat so richtig gesabbert, und das von einer, der alle Jungs ihres Chemie-Kurses zu Füßen liegen! Der Neue muss heißer sein als MCee!", erzählte die größere der beiden. "Nein", erwiderte die andere baff und starrte ihre Freundin mit großen Glupschaugen an. "Doch!", quiekte die erste voller Begeisterung, "Wie meinst du steht er zu einer Beziehung mit älteren Mädchen?!"
Ich stöhnte leise. Das war so typisch. Heutzutage wurden die Menschen nur noch auf ihr Äußeres reduziert und darauf, was sie im Bett taugten. Diese Jones hatte vermutlich nichtmal einen Gedanken daran verschwendet, ob der Charakter dieses Kerls mit seinem Aussehen übereinstimmte. Mit ziemlicher Sicherheit war er nur ein weiter von diesen arroganten, selbstverliebten Muskelprotzen und würde entweder in Drakens oder Milans Gang enden. Wobei ich nicht wusste, was mir davon mehr gegen den Strich gehen würde. Je nachdem, in welcher von beiden sich seine Beleidigungen mir gegenüber, die sicher kommen würden, mehr in Grenzen hielten. Jedenfalls hätte ich auf einen weiteren Peiniger in meinem ohnehin so chaotischen Leben sehr gut verzichten können.
Ohne die beiden Mädchen noch eines Blickes zu würdigen, packte ich meine Schulsachen in meinen Rucksack, zog den Reißverschluss zu, schwangen auf den Rücken, und machte mich auf den Weg zu Englisch. Als ich im zweiten Stock des linken Flügels ankam, dort wo sich auch besagtes Klassenzimmer befand, waren wie erwartet schon fast alle Schüler dieses Kurses im Raum anwesend. Ich konnte eigentlich alle von ihnen flüchtig, was jedoch nicht hieß, dass ich mich auch mit ihnen verstanden. Wenigstens gehörte Draken nicht in meinen Englischkurs. Was jedoch nicht für Milan galt, der, wie vorauszusehen war, meinen Stammplatz in der zweiten Reihe am Fenster neben Ivy eingenommen hatte.
Da von Mrs Haylyn noch jede Spur fehlte (vermutlich war sie immer noch zugange mit dem Neuen), ging ich rasch an den anderen Schülern, den Lehrerpult und der Tafel vorbei, auf die beiden zu, und stimmte verärgert meine Hände vor Milan auf den Tisch.
"Das ist mein Platz, Kotzbrocken!", erinnerte ich ihn wütend, "Und ich bin nicht bereit, ihn noch einmal an dich abzutreten!" Milan hob lediglich eine Augenbraue. Ihm war genauso klar wie mir, dass ich gerade absolut nicht in der Position war, irgendetwas von ihm zu fordern, geschweige denn einen Sitzplatz. Es war praktisch eine unausgesprochene Regel zwischen uns, dass derjenige, der den Platz zuerst für sich beanspruchte, ihn auch behielt. Jedenfalls bis der andere ihm nächstes Mal zuvorkam. Und heute schien es, als hätte ich bei diesem Prozess verloren.
"Entschuldige, Freak, aber ich glaube, ich habe mich gerade verhört", gab er selbstgefällig zurück, "Ich hatte tatsächlich den Eindruck, du wolltest meinen Platz einfordern. Neben meiner Freundin. Falls du es immer noch nicht gemerkt hast, oder es einfach schlicht nicht in deinen Dickschädel und dein Erbsenhirn hineingeht, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Oder der frühe Vogel fängt den Wurm, aber von solchen Sprichwörtern hast du vermutlich noch nie gehört bei deiner geringen Bildungsstufe." Ich biss wütend die Zähne zusammen, wendete mich mit geballten Fäusten ab und stapfte kochend vor Zorn zu meinem Notfalltisch in der letzten Reihe. (Ina und Olive, die ebenfalls Teil dieses Englischkurse ist waren, hatten sich natürlich nebeneinander gesetzt und um sie herum war ebenfalls irgendwo mir ein Platz frei.) Ich wusste, dass ich diese Runde verloren und dem nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Das hieß wohl, es stand eins zu null für Milan. Für den Moment. Und weiteres Mal würde ich ihm diesen Triumph sicher nicht gönnen.
Während ich meine Sachen auspackte, lauschte ich heimlich dem, was Ivy zu Milans Art sagte, auf ihre beste Freundin loszugehen. "Das war aber wirklich nicht nötig, Babe! Ist es so schwer für euch beide, euch einmal zu vertragen? Für mich?", meckerte sie lauter als nötig. Milan sah nun eindeutig betroffen aus. Jetzt wird er gleich etwas erwidern von wegen, dass unser Streit einschließlich auf mich zurückzuführen war und er daran keine Schuld trug. Was für ein ausgemachter Blödsinn.
"Ich versuche es ja, Süße, aber hast du nicht mitbekommen, wie Jowett mich angegangen hat? Wie soll ich mich mit so einer vertragen? Ich verstehe ja überhaupt nicht, wie du mit ihr klarkommst!", protestierte Mister-arroganter-Besserwisser-hoch-1000 und klang dabei tatsächlich wie ein armes Opfer und nicht wie das ekelhafte Übel, dass er mir gegenüber verkörperte.
"Aber lass uns nicht darüber streiten", schlug Ivy vor, ihre Wut war in Sekundenschnelle verraucht (na vielen Dank, beste Freundin), "Hast du schon von dem Neuen gehört, der in unseren Jahrgang kommen soll? Es hieß, das Mrs Haylyn ihn gerade betreut und das noch geklärt wird, welche Fächer er belegt. Vielleicht kommt er sogar in einem unserer Kurse! Die ganzen Mädchen haben erzählt, er soll abnormal heiß sein!"
Milan stöhnte hörbar auf, womit er mir ausnahmsweise mal aus der Seele sprach. "Hat diese Schule denn heute kein anderes Gesprächsthema zu bieten, als diesen neuen Kerl?" Dafür, dass er mich nicht ausstehen konnte, konnte er aber ziemlich gut meine Gedanken lesen.
"Redet ihr über den Neuen?" Das war Cadin Weets, eine braungebrannte Blondine mit überteuerten, modischen Klamotten, die ich noch als eine der nettesten aus der Klasse bezeichnen konnte. Für die anderen beiden Mädchen, die hinter ihr an den Tisch meiner besten Freundin traten, konnte man das allerdings absolut nicht behaupten. Eugeanea Marywoods, kurz Gean und die größte Zicke und die war aus der Klasse (sie war einfach unausstehlich), und Jennifer Dutters, ihr Schatten, waren mit die weiblichen Schüler dieser Schule, die am wenigsten von mir hielten. Und natürlich hatte Gean riesiges Interesse an dem angeblich so gut aussehenden Neuen, schließlich handelte es sich dabei um ein weiteres männliches Wesen, dass sie abschleppen könnte.
Urgh, all diese Aufregung war mehr, als mein Kopf an einem Montagmorgen vertragen konnte. Ich hatte absolut keine Ahnung, warum alle überhaupt so einen Wirbel um diesen neuen Schüler machen. Schließlich war es doch einfach nur ein x-beliebiger Kerl, ganz egal wie gut oder schlecht er aussah.
Gerade als ich überlegte, den Kopf auf den Tisch zu legen, um den verpassten Schlaf nachzuholen, bis Mrs Haylyn sich doch mal bequemte, sich in ihrer Klasse blicken zu lassen, öffnete sich die Tür zum Klassenraum erneut. Da bereits alle Schüler anwesend waren, konnte es sich dabei nur um die fünf Minuten verspätete Lehrkraft handeln. Mrs Haylyn, eine hübsche, elegante Brünette Ende 20, und eigentlich viel zu nett für eine Lehrerin, trat in den Raum und strahlte uns an. Sie wirkte sogar noch enthusiastischer als sonst, was ich eigentlich für unmöglich gehalten hatte.
"Guten Morgen, Klasse", begrüßte sie uns fröhlich und legte ihre Tasche auf dem Pult ab, während wir ihr im Chor ebenfalls einen guten Morgen wünschten, "Wie Sie sicher schon gehört habt, haben wir heute die Freude, einen neuen Schüler in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Eathen, du kannst jetzt reinkommen." Ein Raunen ging durch die Menge der versammelten Schüler. Natürlich schienen sie alle schon darauf gehofft zu haben, den Neuen in diesem Kurs willkommen heißen zu können. Noch vor wenigen Minuten hätte ich mich darüber sicherlich aufgeregt, doch nun spürte ich aus unerfindlichen Gründen und leichtes Kribbeln in meiner Magengegend und Spannung, die in mir aufstieg.
Eathen... das war ein ungewöhnlicher Name. Er klang nicht nach einem Mobber. Und irgendwie aus einem Grund, den ich selbst nicht erklären konnte, weckte er meine Neugier.
Das galt auch für den Jungen, der gleich darauf das Klassenzimmer betrat. Zuerst sah ich nur die Spitzen seiner schlichten, komplett schwarzen Schuhe, dann eine schwarze Hose, einen gleichfarbigen Kapuzenpulli mit teilweise grauen Mustern, dann einen eisgrünen Haarschopf und smaragdgrüne, von eisgrünen Sprenkeln durchzogene Augen, deren Leuchten mich von der ersten Sekunde an so in seinen Bann zog, wie ich es noch nie erlebt hatte. Und mir war vom ersten Moment an klar, dass dieser Anblick mich absolut nicht wie erwartet kalt ließ.
Ich war verwirrt, aber nicht verwirrt genug, um mir nicht über alles klar zu sein: dieser Junge war genau das Gegenteil von dem, was ich mir in den neuen Schüler vorgestellt hatte.

Irgendwie finde ich es gegen Ende recht schwach...was meint ihr dazu? (Und natürlich ist es wieder länger geworden, als erwartet.)

Pakt mit dem Teufel - Der Dämon meiner Träume ⏸Where stories live. Discover now