Kapitel 10: Schmerzhaft, glücklich oder beides-Es liegt im Auge des Betrachters

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Wie sich herausstellte, hatte sich Ivy eine neue Gemeinheit einfallen lassen, um mich in den frühesten Morgenstunden auf Trab zu halten. Denn dummerweise hatte ich Idiotin den Fehler gemacht, ihr ganz genau mitzuteilen, welche Art von Liedern ich absolut NICHT ausstehen konnte.
Und so kam es, dass ich am Dienstagmorgen äußerst sanft von den unendlich friedlichen und melodischen Tönen meiner absoluten Lieblingsmusikrichtung sanft aus dem Schlaf gewiegt wurde.
Okay, wie ihr sicher erraten habt, war das eine ganze Tagesladung an Sarkasmus.
Denn nein, ich empfand das schreckliche Geschrei, dem irgendein Verrückter mal den Namen Heavy Metal verpasst und es als eine eigene Musikart festgelegt hatte, nicht auch nur annähernd als friedlich oder gar harmonisch. Und meine Lieblingsmusik war es schon gar nicht.
Und genau dieses Geschrei riss mich brutal aus meinem unheimlich zufriedenstellenden Traum, an dessen Inhalt - unter anderem einen bestimmten, grünhaarigen Jungen - ich mich nur knapp eine Sekunde erinnerte. Bevor sich dieses Wissen, leider auch das damit verbundene Glück, automatisch aus meinem Kopf löschte. Zurück blieb nur ein schmerzhaftes Brummen und das Dröhnen der Musik in meinen Ohren.
Ich grummelte etwas Unverständliches und schlug nach dem verdammten, lärmenden Teil, selbstverständlich, ohne es zu erwischen. So früh und dann auch noch gerade erst nach dem Aufwachen hatte mein Gehirn noch nicht wirklich angefangen, zu arbeiten, und ich war eindeutig noch nicht aufnahmefähig.
Das erwies sich mal wieder deutlich, als ich auch bei meinen weiteren, ziellosen Angriffen auf den Wecker eben diesen nicht zu treffen vermochte. Wo zur Hölle war dieses verfluchte Teil und warum konnte es mich nicht einfach in Frieden lassen?! Ich hatte doch niemandem etwas getan.
Da das Gegröle langsam unerträglich wurde, holte ich kurzerhand aus und wischte alles, was sich auf meinem Nachttisch befand, zu Boden, in der Hoffnung, dass ich dabei den Wecker erwischen und zum Schweigen bringen würde. Ersteres gelang mir sogar, nur dummerweise genügte mein Schwung, um mich in meinem halb schlafenden Zustand dem Wecker hinterher zu katapultieren und neben ihn auf den Teppich zu befördern.
Man hätte jetzt wohl aufatmen und vermuten können, dass eine dicke Stoffschicht meinen Fall abfedern würde, doch so war es nicht: Ich vollbrachte doch tatsächlich das Kunststück, schmerzhaft mit dem Kopf knapp neben dem oberen Ende der Stofffäden aufzuschlagen.
Der Wecker landete direkt daneben und nachdem er sich für einen Moment einer gönnerhaften Pause hingegeben hatte, brüllte er erneut in voller Stärke los. Mir kam es vor, als würden mein Kopf und meine Trommelfelle zerplatzen. Wie das Gerät noch nicht kaputt sein konnte - im Gegensatz zu meinem Schädel, wie es sich anfühlte - war mir ein unlösbares Rätsel.
"Ach, halt' doch den Mund", meckerte ich den Wecker an und rammte meine Faust auf den Knopf, woraufhin er dankenswerterweise verstummte und mein Zimmer - wer hätte es geahnt - in erstmals völliger Stille zurückließ. Natürlich nur durchbrochen von dem schmerzhaften Brummen meines angeschlagenen Schädels. "Ja, ich weiß ja, dass ich aufstehen muss", teilte ich dem leeren Raum kraftlos mit, "Nur noch eine Minute."
Doch es stellte sich leider, leider heraus, dass der Boden nicht annähernd bequem genug war, um noch länger als ein paar Sekunden dort zu verharren. Denn natürlich - Boshaftigkeit des Schicksals lässt grüßen - war meine Decke nicht mit mir zu Boden gefallen, obgleich sie sich beim Aufwachen noch über mir befunden hatte.
Also rappelte ich mich stöhnend auf, was meine Kopfschmerzen nur noch verschlimmerte, und vollbrachte dabei das Kunststück, den Kopf direkt an die Kante meines Nachtischs zu rammen. Ich stand denoch auf - eine Geste, für die ich sicher keinen Schönheitspreis gewonnen hätte - und taumelte fluchend und mir den Kopf haltend zu Tür, wobei ich meine Umgebung nur noch verschwommen wahrnahm.
Daher war es auch ohne weiteres vorherzusehen, dass ich es als nächstes schaffte, mit voller Wucht gegen die geschlossene Zimmertür zu rennen. Erneut durchfuhr der Schmerz meinen Körper, vor allem mein Kopf hatte erneut zu leiden, während sich mein Zimmer um mich herum in schwindelerregender Geschwindigkeit drehte. Wie durch ein Wunder erwischten meine Finger die Türklinke und ich ließ sie automatisch nach unten und damit aufschnappen.
Als ich dann schließlich im Türrahmen stand, begann mein Gehirn endlich richtig zu arbeiten und der Nebel darin lichtete sich langsam. Ziemlich traurig, dass ich vom Aufwachen bis hierhin brauchte, damit die Geschehnisse des letzten Tages ihren Weg in meine Gedanken fanden.
Dann jedoch so richtig. Denn sobald ich mich daran erinnerte, wen ich aus welchem Grund gestern kennengelernt hatte, was wir zusammen erlebt hatten und welche Gefühle er in mir auslöste, konnte ich schlichtweg an nichts Anderes als ihn mehr denken. Eathen... der wundervollste Junge, den ich je getroffen hatte, und dessen gestriges Auftauchen mein Leben bereits jetzt komplett umgekrempelt hatte.
Allein dieses Wissen ließ mich auf der Stelle viel glücklicher werden, als es für eine solch frühe Morgenstunde jemals gerechtfertigt wäre. Nicht nur das: Es machte den gestrigen Tag zu einem vollen Erfolg und einem Grund zum Feiern, und ließ mich außerdem vor Freude einen eleganten Luftsprung vorführen. Allerdings konnte man ihn lediglich solange als elegant bezeichnen, bis ich mit dem Kopf ein weiteres Mal mit voller Wucht gegen etwas Hartes knallte. Diesmal war es der gottverdammte Türrahmen. Wie viel Pech konnte man an einem einzelnen Morgen bitte haben? Der Tag hatte noch nicht mal richtig begonnen, und schon hagelte es blaue Flecken.
Jeglichem Enthusiasmus, den ich mir noch vor ein paar Sekunden selbst angeeignet hatte, beraubt und nun mit höllischen Kopfschmerzen wankte ich den stockdunklen Flur entlang auf Ivys Zimmertür zu. Mein offensichtlich nicht ganz so gut gerüsteter Dickschädel war nach dem neuesten Zusammenstoß nicht mehr länger in der Lage, sich zu erinnern, dass sie vermutlich nichtmal da war.
In einem kurz andauernden, wertvollen Moment der geistigen Erleuchtung in meine müden, erschöpften Matschbirnen-Zustand gelang es mir bemerkenswerterweise, die Türklinke von Ivys Schlafzimmer herunterzudrücken, sie aufzustoßen und in den Raum zu torkeln. Entgegen meiner Annahme war meine Mitbewohnerin noch nicht ausgeflogen, sondern gab sich in aller Seelenruhe und in drei Decken eingemummelt, leise schnarchend voll und ganz ihrem Schönheitsschlaf hin. Eben dem dringend nötigen Schönheitsschlaf, um den sie mich - teuflisch, wie sie war - gebracht hatte.
Ein tiefes Grollen entstieg meiner Kehle und ließ mich mehr denn je wirken wie einen untoten Zombie kurz nach Mitternacht. Meine Beine drohten, nachzugeben, und meine Umgebung schwankte gefährlich, während ich mich Ivys glücklich träumender Silhouette näherte.
Das hatte - wie könnte es auch anders sein - zur Folge, dass ich geradewegs über die weißen Puscheleinhorn-Pantoffeln vor dem Bett stolperte und mit einem Geräusch, das ein nasser Sack beim Aufprall auf organischer Masse von sich gab, quer über Ivy landete. Sie wiederum schreckte aus dem Schlaf hoch, bevor sie mich als die dafür verantwortliche Störung ausmachte und sich stöhnend und mit geschlossenen Augen wieder in die Kissen sinken ließ.
"Saph", beschwerte sie sich kraftlos, ohne sich auch nur noch einmal auch nur einen Millimeter von der Stelle zu rühren, "Um eine solche Uhrzeit würdest du doch erst aus dem Bett kriechen, wenn Schweine fliegen."
"Wir müssen aufstehen", informierte ich sie dumpf, das Gesicht unbequem in der Bettdecke vergraben, doch machte ebenfalls keinerlei Anstalten, mich auch nur ein winziges Stückchen zu bewegen.
Es dauerte ein paar ereignislose Minuten, bis ich mich tatsächlich zum Aufstehen aufraffen konnte, nur um ein weiteres Mal über genau die selben Hausschuhe in Einhorn-Form vor dem Bettkasten zu stolpern, die mir auch zuvor schon zum Verhängnis geworden waren. Ich stürzte mit der Nase allerdings diesmal glücklicherweise nicht aufs Parkett, sondern den - wenn auch staubigen - Teppich. Tja, man könnte meinen, aus dem ersten Mal oder den gefühlt 1000 Darauffolgenden hätte man lernen sollen, doch in meinem Fall stellte das wohl eine blutige, miskalkulierte Fehleranzeige dar.
Daher war es einfach vorherzusehen, welches Bild Ivy erwartete, als diese sich kurz darauf erbarmte und müde über den Bettrand lukte: Ich in voller Länge und mit unelegant von mir gestrickten Gliedern auf ihrem Teppich, mit fünf imaginären, geflügelten Schweinchen, die schwebend um meinen Kopf kreisten. Trotz der Uhrzeit war ihr deutlich anzusehen, dass sie Schwierigkeiten hatte, sich das Lachen zu verkneifen. "Na danke", beschwerte ich mich undeutlich in den Teppich hinein, "Erfreust dich auch noch an meinem Leid. Und sowas nennt sich Freundin."
Ivy kicherte leise, bevor ihr Blick an dem Zifferblatt des Weckers auf dem Nachttisch hängen blieb. Mit einem frustrierten Stöhnen ließ sie sich zurück auf die Matratze fallen. "Hast du eigentlich heute morgen schon mal auf die Uhr geschaut, bevor du mich so rüde aus dem Schlaf gerissen hast, du Genie?", grummelte sie beleidigt.
Ich blinzelte perplex. Nein, hatte ich nicht, und es war mir auch nicht als logische Möglichkeit in den Sinn gekommen. Das holte ich jetzt nach, folgte gleich drauf Ivys Beispiel und ließ mich laut aufseufzend und mit einem überdeutlichen Stöhnen zurück auf den - zugegeben sehr bequemen - Teppich sinken. 5:15 Uhr. Oh, wie ich meine Mitbewohnerin in diesem Moment haste, was vermutlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Wenigstens konnte ich ehrlich von mir behaupten, dass all das nicht meine Schuld war.
Aber, um das ganze positiv zu sehen: Wenigstens bestand heute die CHANCE, dass ich meinen Bus erreichen und pünktlich zur Schule kommen würde. So wie man mich kannte, würde ich es jedoch vermutlich trotz dieser ungewöhnlich vielversprechenden Bedingungen schaffen, zu spät zu kommen.
Aufgrund dieser Aussicht bereitete ich mir ausnahmsweise mal ein ausgewogenes Frühstück zu, dessen Kapazität von Spiegeleiern mit gebratenen Frühlingszwiebeln bis zu Pfannkuchen mit Ahornsirup alles umfasste. Dass ich die Eier anbrennen ließ und die halbe Zuckerdose über dem Pfannkuchenteig ausschüttete - was das in meinem Kopf befindliche Rezept sicher nicht vorsah - lassen wir an dieser Stelle mal gekonnt aus.
Trotz allem könnte man meinen, ich hätte aus dieser Mahlzeit genug Energie gewinnen können, um meiner Erschöpfung entgegenzuwirken, doch Fehlanzeige: Ich brachte es tatsächlich fertig, am Esstisch über meinem letzten Marmeladenbrot zwischen zwei Bissen einzuschlafen.
Keine Person weckte mich, um mich auf meinen Vorsatz hinzuweisen, schließlich war Ivy schon vor gefühlten Ewigkeiten mit einem Strahlen über das komplett ausgeruht und fröhlich wirkende, perfekt geschminkte Gesicht zu Mister Kotzbrocken aufgebrochen. Nein, diese Auszeichnung ging an einen beißenden, qualmigen Geruch nach etwas Verbranntem, der mir in die Nase stieg.
Innerhalb von Sekunden war ich auf den Beinen, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, die Stulle an der rechten Gesichtshälfte klebend und den Großteil meiner fettigen Zotteln in Erdbeermarmelade getränkt, und sah mich panisch nach der Quelle des Geruchs um, die Welt um mich herum aus nichts als verschwommenen, farbigen Schlieren bestehend.
Es dauerte ein paar Sekunden zu viel, damit sich mein Gehirn an die unfertigen, nun offensichtlich verbrannten Zwiebelchen erinnerte. Dann allerdings sprintete ich mit aller Kraft, die in meinen Knien, die gefühlt die Konzistenz von Wackelpudding angenommen hatten, verblieben war, los in Richtung Küche, gerade noch rechtzeitig, um das Apartment davon abzuhalten, in Flammen aufzugehen. Wenigstens ein Lichtblick an diesem vermaledeiten Morgen.
Die Zwiebeln freilich war nicht mehr zu retten und über den Zustand von Ivys Pfanne traute ich mich nicht mal zu urteilen. So sehr es mir auch im Herzen schmerzte, musste ich doch wohl oder übel zu dem Schluss kommen, dass meine Mahlzeit auch ohne das ehenalige Grünzeug die Bezeichnung "ausgewogen" verdiente und dieser nun an keinem anderen Ort als der Mülltonne mehr taugte.
Eine gründliche Dusche - allerdings nicht so gründlich, wie ich sie mir gewünscht hätte - hatte ich nach diesem Zwischenfall und dem Aufräumen des Tisches und der ungewöhnlich chaotischen Küche natürlich mehr als nötig. Wie durch ein Wunder gelang es mir, mich pünktlich um 7:20 Uhr komplett angezogen zu sein. Meine Augenringe waren heute aus irgendeinem unerfindlichen Grund weniger präsent als sonst, weshalb ich die mangelnde Zeit zum Auftragen von Make-up nichtmal bedauerte. Sogar mental auf Busfahrt und Schule vorbereitet hatte ich mich. Jedenfalls so bereit, wie man es unter diesen Umständen jemals sein konnte.
Das einzige Problem, das es noch zu lösen galt - auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich diesem beikommen sollte - war die Tatsache, dass mein Herz beim bloßen Gedanken an den Schultag schneller anfing, zu pochen, als bei einem 100 Meter-Sprint, mein Gesicht zu glühen begann wie eine Feuersbrunst und meine Handflächen schwitzig wurden. Okay, es brachte absolut nichts, mir selbst und allen anderen etwas vorzumachen, wo die Wahrheit doch offensichtlicher nicht hätte sein können: Mit der Schule an sich hatte all das nicht das Geringste zu tun, dafür aber sehr wohl mit einem gewissen, grünhaarigen, neuen Klassenkameraden, der seit gestern - hoffentlich - unwissend der alleinige Besitzer meines Herzens war.
Allerdings verwarf ich den Gedanken ziemlich schnell, mich auf die Improvisation des Moments berufend, als mein Blick erneut auf die Uhr viel und mir mitteilte, dass ich fast schon wieder zu spät dran war. Wie konnte die Zeit nur so unheimlich schnell vergehen? Den Check, ob sich alle Schulsachen in meiner Tasche befanden, überging ich, mir über das Risiko voll bewusst, packte meine Jacke und alte aus der Wohnung. Wobei ich beinahe vergessen hätte, sämtliche Türen hinter mir abzuschließen.
Die Jacke über der Schulter - zum Anziehen blieb keine Zeit - hastete ich durch Bostons eisige Winterluft, nur die Erinnerung an meinen Vorsatz brachte mich dazu, mein Tempo beizubehalten. Was zur Folge hatte dass ich - Déjà-Vu - direkt in die erstbeste Straßenlaterne auf meinem Weg lief und mit der Stirn direkt gegen den Pfosten knallte. Mit einem Gefühl, als würde mein Schädel zerbersten, taumelte ich zurück und hielt mir den Kopf, während die Welt um mich herum sich unkontrolliert drehte.
Das war genau der Moment, in dem sich ein boshafter Windstoß meine Unaufmerksamkeit zunutze machte und mir meine Jacke aus der Hand riss. Einige Passanten drehten sich mit befremdeten Blicken nach mir um, als ich, meine größte Auswahl an bemerkenswerten Schimpfwörtern von mir gebend, dem Kleidungsstück hinterhertorkelte, so schnell ist mir meine Gummibeinchen erlaubten.
Jeder halbwegs logisch denkende Mensch hätte zumindest in Erwägung ziehen müssen, dass mich diese äußerst unerfreuliche Kette an Ereignissen wenigstens ein bisschen erschütterte, doch glücklicherweise hatte ich mich von Tag eins an auf die harte Tour daran gewöhnen müssen, als ein blutiger Tollpatsch der Extra-Klasse durch die Weltgeschichte zu stolpern.
Entgegen jeglicher Erwartungen gelang es mir in einem kurzen, geradezu surrealen Moment - ja, ich weiß, es wirkte bei Weitem zu schön, um wahr zu sein - des Glücks tatsächlich, ein paar Meter weiter die Straße hinab das davonsausende Kleidungsstück mit den Fingerspitzen zu erwischen und aus der Windböe zu befördern. Doch selbstverständlich war meine zeitweilige Freude nicht dazu bestimmt, lange zu halten. Denn sobald ich mich nach meinem erfolgreichen Sprung wieder dem Boden näherte, brachte ich es fertig, mit den Füßen ungünstig auf dem Asphalt aufzukommen, nach vorne zu stolpern und der Länge nach, mit dem Gesicht nach unten, in der riesigen Pfütze zu meinen Füßen zu landen. Wo diese nach einer Woche ohne Regen herkam, war mir auch ein Rätsel.
Das Ganze hatte das Ergebnis, dass ich nun vor Wasser nur so triefte. Und all das unter den Blicken der halben - natürlich von allen möglichen Erwachsenen auf dem Weg zur Arbeit belebten - Straße, welche ja leider nach wie vor auf mir lagen. Jetzt wirkten sie noch abweisender und die Leute hasteten noch schneller an mir vorbei, möglichst, ohne dass ich ihnen in die Augen sah.
Niemand machte auch nur die leisesten Anstalten, in seinem Gang innezuhalten, um mich nach meinem Unfall nach meinem Wohlbefinden zu fragen, geschweige denn, mir zu helfen. Kein Wunder, schließlich könnte ich ansteckend sein. Bestimmt sah ich aus, als wäre ich gerade einem Schwimmbad entstiegen. Zum Glück hatte mir heute morgen ja die Zeit gefehlt, Make-up aufzutragen, denn das wäre spätestens jetzt komplett ruiniert gewesen und hätte mich nur noch schreckhafter aussehen lassen. Denn ja, abgesehen vom offiziellen und komplett offensichtlichen, negativen Charakter der Situation musste ich doch - meiner inneren Ruhe und Geistesgesundheit zuliebe - wenigstens versuchen, das Positive daraus hervorzuziehen. Immerhin war es eine vergleichsweise saubere Pfütze gewesen, weshalb meine Klamotten nach dem Trocknen wenigstens nicht allzu schlammig aussehen sollten. Alles halb so schli -
Irgendwo in meinem unmittelbaren Umkreis ertönte ein ohrenbetäubendes Piepen. Keines von der normalen, harmlosen Sorte, sondern ein undefinierbares aber aggressives, zorniges, dass mir spätestens jetzt die Aufmerksamkeit sämtlicher Passanten auf der Straße sicherte.
Eine Frau ihren Mittdreißigern ein paar Schritte weiter bedachte mich mit einem vernichtenden Blick, bevor sie hastig ihren Weg fortsetzte, etwas über Lärmbelästigung der Jugend murmelnd, und den vielleicht fünfjährigen Jungen an ihrer Hand eilig mit sich ziehend, damit er sich ja nichts von meinem Benehmen aneignete. Erst, als ich bemerkte, wie die Augen eines anderen Mannes in Anzug und mit Aktenkoffer meine Jackentasche streiften, wurde mir klar, dass diese den Ausgangspunkt des äußerst unschönen Geräusches darstellte.
Mit gerunzelter Stirn Griffe ich hinein - aufgrund des nassen Stoffes keine sonderlich angenehme Angelegenheit - und brachte mein überraschenderweise trotz Sturz und Wasser noch intakte Smartphone zum Vorschein. Der Begriff Smart, in diesem Fall bezogen auf das bestenfalls steinzeitliche Tasten-Gerät, war allerdings eindeutig irreführend.
Meine Augenbrauen wanderten bei einem Blick auf das eingeschaltete Display hinauf zu meinem Haaransatz. "Du kommst du spät-Wecker?" Was um alles in der Welt... Davon hatte ich ja noch nie gehört. Schien, als hätte Ivy, dafür, dass sie sich ständig an meinen elektronischen Geräten zu schaffen machen musste, endlich mal etwas Sinnvolles zustande gebracht. Vor allem, wenn man bedachte, dass...
Oh mein Gott. Der Bus!
Meine viel zu lange Leitung und Begriffsstutzigkeit verfluchend, richtete ich mich schwankend aus meiner knienden Position auf - dazu, wenigstens etwas von dem Wasser abzustreifen, blieb dummerweise keine Zeit mehr - und stolperte in voller Geschwindigkeit weiter die Straße entlang in Richtung Bushaltestelle, die klitschnasse Jacke unter dem Arm, die Büchertasche mit einem Henkel über der Schulter. Ich musste nicht mal einen Blick zurückwerfen, um mich völlig sicher sein zu können, dass nach wie vor sämtliche Blicke der Passanten in meinem Rücken auf mir ruhten. Ich war auch nicht gerade diskret unauffällig mit dem ekelerregenden, matschenden und schwappenden Geräusch, das meine Stiefel bei jedem hastigen Schritt von sich gaben. Eben jene neuen Stiefel, die ich mir vor nicht allzu langer Zeit aufgrund ihres hoch angepriesenen Status als wasserdicht zugelegt hatte.

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⏰ Last updated: May 10, 2020 ⏰

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Pakt mit dem Teufel - Der Dämon meiner Träume ⏸Where stories live. Discover now