Kapitel 55

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„Lily!" James sprang auf, als er mich durch das Porträtloch klettern sah.
„Ist was passiert?", fragte ich verwirrt.
Er sah ganz aufgelöst aus, wie er da neben unserem Sofa stand und die Hände rang.
„Nein, nichts. Prinz Potter hier hat sich nur ins Höschen gemacht, weil seine geliebte Prinzessin nicht aufgetaucht ist", ertönte eine Stimme von der Couch. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und konnte Sirius' schwarzes Seidenhaar über der Lehne ausmachen.
„Woher weißt du denn, was Prinzen und Prinzessinnen sind?"
Ich verschwieg, dass James sich nicht ganz zu Unrecht Sorgen gemacht hatte. Er war schon genug durch den Wind.
Also zwang ich mich, betont locker an ihm vorbei zum Sofa zu gehen, und hinderte meine Hände so gut es ging daran zu zittern, als ich meine Bücher auf den Couchtisch fallen ließ.
Sirius grinste mich an. „Ein bisschen was bekomme ich schon in Muggelkunde mit. Aber offen gestanden habe ich nur nach einem heißen Kosenamen für dieses hübsche muggelstämmige Mädchen gesucht..."
„Ich hoffe jetzt mal, du meinst nicht mich."
Als wäre es völlig selbstverständlich, ließ ich mich neben Sirius aufs Sofa fallen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Ich war so müde. Und eigentlich hasste ich Sirius ja auch gar nicht mehr.
Und seine Schulter war wirklich sehr gemütlich.
Falls Sirius überrascht von meiner Tat war, ließ er sich zumindest nicht anmerken. Im Gegenteil, er legte seinerseits ganz lässig den Arm um meine Schulter, sodass mein Kopf ein Stückchen nach unten rutschte.
„Übrigens, alles Gute nachträglich."
„Danke, Prinzessin." Das und sein schelmisches Grinsen brachte mich zum Lachen.
„Hey, ich bin hier der Prinz. Du hast kein Anrecht auf eine Prinzessin, elendiger Köter."
James lehnte sich amüsiert an unsere kleine Küchenzeile in der Ecke und beobachtete uns. Gespielt streng drohte er Sirius mit dem Finger.
Dieser schnappte nach Luft und legte sich dramatisch eine Hand ans Herz. „Aber James!", quietschte er mit hoher Stimme. „Ich dachte, wir wären Freunde! Beste Freunde!"
„Eben, und Freunde klauen sich nicht gegenseitig die Prinzessinnen."
„Ich hatte sie zuerst!" Sirius legte den anderen Arm auch noch um mich und drückte mich fest an sich. Ich befreite mich kichernd. Irgendwie erinnerte mich dieses Herumalbern an das Ende der Sommerferien. Zwei Rumtreiber und ich allein in einem Haus. Eigentlich hatten wir eine recht schöne Zeit dort gehabt. Wenn man vom Ende absah.
„Nein! Prinzessin! Geh noch nicht!", rief Sirius theatralisch, als ich aufstand und mich gähnend streckte.
Belustigt grinste ich zu ihm herunter. „Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich bin nämlich eine Königin." Bei diesen Worten warf ich mir die Haare über die Schulter. Es ging doch nichts über einen dramatischen Abgang.
„Gute Nacht, James. Und danke für heute", sagte ich noch, bevor ich in meinem Zimmer verschwand. Das letzte was ich sah, war das leise Lächeln, welches seine Mundwinkel umspielte, während er mir hinterherblickte.
Ich konnte nicht anders, ich musste ebenfalls lächeln.
Erschöpft rutschte ich an der geschlossenen Tür herab und vergrub den Kopf in den Händen.
Vielleicht sollte ich mal wieder über James Potter nachdenken.
Aber definitiv nicht mehr heute.

„Fakt ist: Wir brauchen eine neue Sitzordnung in Zaubertränke", war das erste, was ich am Montagmorgen deklarierte, als ich meine zwei besten Freundinnen am Frühstückstisch traf.
Ich schwang die Beine über die Bank und stützte energisch die Ellbogen auf dem Tisch ab.
Ich hatte den Teil der schwachen, weinerlichen und verletzten Lily Evans ganz weit nach hinten in meinen Kopf verbannt, und beschlossen, dass ich es mir nicht leisten konnte, länger in Selbstmitleid zu versinken.
Mein Leben lebte sich nicht von selbst.
„Ähm, okay", stimmte Marlene überrumpelt zu. So viel Tatendrang am Montagmorgen war offenbar zu viel für sie, das war unschwer an der schief sitzenden Krawatte und den ungekämmten Haaren zu erkennen.
„Ist es Absicht, dass du nur auf der einen Wange einen rosa Fleck hast?", erkundigte ich mich bei ihr.
„Der rosa Fleck ist Rouge, und nein, es ist keine Absicht", grummelte sie unausgeschlafen.
Dorcas tätschelte Marlenes Arm. „Tut mir leid, ich hätte es dir sagen können, aber ich wollte unbedingt damit warten, bis Hugo dich so gesehen hat." Sie prustete in ihr Müsli.
Marlene schlug gereizt Dorcas' Hand weg. „Du bist fies."
„Und stolz drauf."
„Leute, bitte, ich brauche eure volle Aufmerksamkeit und Konzentration bei dieser Sache!" Hektisch schaufelte ich mir Rührei und Speck auf meinen Teller.
Ich wusste gar nicht, wann ich zum letzten Mal etwas gegessen hatte.
Heute Morgen im Spiegel war mir aufgefallen, wie dünn ich geworden war.
„Ach ja. Wie bitte, was?" Dorcas blinzelte mich unschuldig an, offensichtlich hatte sie mir nicht zugehört. Ich hob einen Finger und bedeutete ihr damit zu warten, bis ich einen Haufen Rührei in meinen Mund gestopft und heruntergeschluckt hatte.
„Ja, also, folgendes." Ich beugte mich über die Tischplatte und winkte die beiden näher. Mit verschwörerisch gesenkter Stimme fuhr ich fort: „Die Slytherins haben mir gestern aufgelauert. Snape und seine Gang. Ich möchte keine Sekunde länger neben ihm sitzen müssen."
Die beiden starrten geschockt zurück. „Sie haben dir aufgelauert? Lily, ist alles okay? Haben sie dir etwas getan?"
Marlene legte entsetzt eine Hand auf meinen Unterarm. „Lily, du musst damit zu Dumbledore gehen. Wer weiß, was die vorhaben!"
Ich winkte ungeduldig ab. „So ein Quatsch. Ich bin ihnen zufällig im Treppenhaus begegnet. Bevor etwas passieren konnte, kam Dumbledore höchstpersönlich um die Ecke."
Meine Freundinnen sahen sich an und atmeten erleichtert aus.
„Trotzdem. Wer weiß, was in den kranken Köpfen der Slytherins vorgeht. Du solltest wirklich-"
Allmählich fing ich an zu bereuen, den beiden davon erzählt zu haben.
„Jajaja", unterbrach ich Dorcas. „Darum geht's doch gar nicht. Snape ist nur einfach ein Schwein und ich möchte, dass er weggesetzt wird."
Ein Schnauben entwich Marlene. „Wie schön, dass du das auch endlich festgestellt hast. Dass Snape ein ekliger Schleimbeutel mit dem Charme einer Nacktschnecke ist, hätte ich dir schon in der ersten Klasse sagen können."
„Mit genau diesem Wortlaut?"
„Leute!" Ich klopfte mit der Hand auf den Tisch. „Etwas mehr Konzentration, bitte!"
„Sorry, Lils, aber wenn du so guckst, erinnerst du mich zu sehr an McGonagall. Ich kann dich so nicht ernst nehmen", teilte Marlene mir ungerührt mit. Zu Dorcas gewandt meinte sie: „Vielleicht nicht mit genau dem Wortlaut. Allerdings möchte ich daraufhinweisen, dass mein Erstklässler- ich schon damals cool genug war, ihm ein Shampoo zu schenken." Dabei klang sie unglaublich stolz.
Tatsächlich erinnerte ich mich irgendwo dunkel an Sirius und Marlene, die kichernd eine mit einer pinken Schleife verzierten Shampooflasche über Snapes Kopf hatten herumfliegen lassen.
In der ersten Klasse hatte ich das nicht sonderlich komisch gefunden, jetzt entlockte mir die Idee ein kleines Grinsen.
Trotzdem wollte ich unbedingt mit meinem Anliegen fortfahren. Wäre doch nur Mary hier! Mit ihr konnte man einfach besser reden. Dorcas und Marlene ließen sich viel zu schnell ablenken. Auf Dauer war das sehr nervtötend.
„Freunde! Helft ihr mir jetzt, den Sitzplan zu ändern?"
Dorcas beendete ihre Mahlzeit und wandte mir endlich ihre Aufmerksamkeit zu.
„Lily: Tut mir leid, deine Hoffnungen zunichte zu machen, aber selbst du, als Slughorns klar anerkannte Lieblingsschülerin wirst ihn nicht dazu bringen können, diesen Sitzplan zu ändern. Er hat klar du deutlich bis zum Ende des Jahres gesagt. Außerdem bewundert er auch Snape für sein Brautalent ... euch beide wird er erst recht nicht trennen. Immerhin seid ihr Genies, so ungern ich das auch zugebe."
Für sie war das Thema offenbar erledigt, denn sie machte Anstalten, sich zu erheben.
„Aber..."
„Lils." Marlene stand ebenfalls auf und reichte mir eine Hand, um mir aufzuhelfen. „Sie hat recht. Und jetzt komm, oder wir kommen zu spät."
Mit einem tiefen Seufzer folgte ich den beiden.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Where stories live. Discover now