Kapitel 108

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James riss mir energisch die Flasche Feuerwhiskey aus der Hand.
Vollkommen überrascht spuckte ich den Schluck, den ich gerade genommen hatte, wieder aus und starrte meinen Freund böse an, als sich ein großer Fleck auf meinem schwarzen Shirt ausbreitete.
„James!", beschwerte ich mich. „Jetzt bin ich nass!"
James erwiderte meinen mörderischen Blick mindestens genauso mörderisch.
„Tut mir leid, aber ich möchte nun mal nicht, dass du endest wie die da."
Mit die da waren ein paar schon sehr angeheiterte Mädchen gemeint, die grölend um ein eher provisorisches Lagerfeuer tanzten und anscheinend einen Geist beschwören wollten.
Jedenfalls war es das, was ich aus ihren Sprechchören zu entnehmen glaubte.

„Ich wollte mich ja gar nicht betrinken", schmollte ich.
„Ach nein? Sah aber stark danach aus." James schüttelte den Kopf und sah dabei aus wie ein überfürsorglicher Vater.
Ich schob die Unterlippe wenn möglich noch weiter vor und wandte mich ab.
„Ich suche jetzt Marlene", verkündete ich hochnäsig. „Vielleicht behandelt die mich mit mehr Anstand."
Bevor ich davonstolzieren konnte, hielt James mich seufzend am Handgelenk fest.
Er drehte mich herum und legte seine Hände um mein Gesicht, wobei er mein Kinn anhob, bis ich ihm in die Augen sehen musste.
„Was?", fauchte ich.
„Okay, du bist doch noch nicht betrunken." Er grinste mich schief an. „Da habe ich dich wohl gerade noch gerettet. Du kannst mir später danken."
Ich tat so, als würde ich in seine Finger beißen.
Erschrocken zog James seine Hände zurück.
„Hilfe! Seit wann bist du bissig?"
„Seit du mich nervst. Aber mal ehrlich, wo ist Marlene?"
„Ich glaube, sie macht bei der Geisterbeschwörung mit."
Ich runzelte die Stirn. „Wäre das der Moment, in dem ich eine gute Freundin bin und sie ins Bett bringe?"
„Nein", sagte James, ohne zu zögern. 
Er warf einen Blick auf seine nichtvorhandene Armbanduhr. „Das wäre der Moment, in dem du eine gute Freundin bist und anfängst, deinen Freund ganz heftig zu knutschen."

Ich riss die Augen auf. „Ist denn schon Mitternacht?"
„Nein, aber bald."
James lächelte warm auf mich herab. Jeglicher Schalk war aus seinem Blick verschwunden. Stattdessen sah er mich voller Liebe an.
Und so kitschig das auch war ... Ich wurde rot.
„Sollen wir uns wieder in unsere Ecke zurückziehen oder möchtest du doch lieber besoffen ins neue Jahr starten?", fragte James neckend.
Ich rollte mit den Augen, packte sein Handgelenk und zog ihn in unsere kleine Ruheoase zurück.
Erleichtert stellte ich fest, dass sie noch nicht von einem anderen Pärchen entdeckt worden war.
James befreite sich aus meinem Griff, um sich lässig ans Geländer zu lehnen.
Er verschränkte die Arme vor der Brust, und da er nur noch ein T-Shirt trug, verweilte mein Blick etwas länger als nötig auf seinem beträchtlichen Bizeps.
Nicht sabbern, Lily.
James' Ego wurde schon genug von Sirius gepusht.
Apropos, wo versteckte der sich eigentlich?
Ich hatte wirklich keine Lust, mir von Sirius diesen Moment der Zweisamkeit versauen zu lassen.
Also warf ich schnell einen Blick über die Schulter und vergewisserte mich, dass Sirius gut beschäftigt war (er trat gerade der Geistergruppe bei – ohne Shirt), bevor ich meine volle Aufmerksamkeit wieder auf James richtete.

Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu, sodass mein Kinn seine Brust berührte, dann schlang ich die Arme um ihn.
Auf Zehenspitzen stehend flüsterte ich ihm ins Ohr: „Weißt du was? Das ist das erste Jahr, in das wir starten, ohne dass du auf Platz eins meiner Abschussliste stehst."
James grinste. „Wer steht denn jetzt ganz oben?"
„Sirius", erwiderte ich ohne zu zögern.
„Ich will dich nicht teilen", fügte ich hinzu, wobei ich James einen Kuss auf den Hals drückte.
Sein Grinsen wurde, wenn möglich, noch breiter.
Er begann, sanft meinen Rücken zu streicheln und lächelte zufrieden auf mich hinunter.
„Wow, ich schätze, ich habe mein Lebensziel erreicht. Lily Evans ist eifersüchtig! Meinetwegen!"
Liebevoll küsste er meine Stirn.
Obwohl ich innerlich gerade am Schmelzen war, brachte ich ein abfälliges Schnauben zustande.
„Glaub mir, niemand wünscht sich eine eifersüchtige Lily Evans."
Dabei dachte ich an meinen alles verzehrenden Hass auf Holly.
James hatte offenbar denselben Gedanken, denn er lachte leise.
„Hey, Sirius hat ihr eine Torte ins Gesicht geklebt, er hat es gar nicht verdient, auf deiner Abschussliste zu stehen."
Ich seufzte theatralisch, dann wurde ich wieder ernst.

„Unglaublich, dass das alles noch gar nicht so lange her ist", murmelte ich an James' Brust. „Im Prinzip sind wir auch erst etwas mehr als einen Monat zusammen!"
„Stimmt." James spielte mit einer meiner roten Haarlocken herum. „Ich hoffe, es werden noch unendlich viele Monate folgen."
Okay ... Mein Herz fühlte sich an wie Eiscreme in der Mikrowelle.
Ich konnte nur mit Mühe einen schmachtenden Seufzer unterdrücken.
„Ich liebe dich", fügte James leise hinzu.
Ich hob den Kopf und lächelte zu ihm auf. „Ich liebe dich auch, du Idiot."
„Wirklich? Das hätte ich gern schriftlich."

Lachend wich James einem wohlgezielten Schlag aus, und deutete auf etwas hinter mir.
„Schau mal, da hatte jemand mal 'ne gute Idee."
Widerwillig löste ich mich aus seiner Umarmung und drehte mich um.
James zeigte auf sechs riesige goldene Ziffern, die in der Mitte der Turmplattform über den Köpfen der Menge schwebten.
„Ein Countdown", stellte ich bewundernd fest. „Das ist wirklich genial."
„Solange er richtig geht."
Ich spürte, wie James seine Hände auf meine Schultern legte.
Einen Moment später wurde ich herumgewirbelt, sodass wir uns wieder gegenüberstanden.
„Ich will ja in deine hübschen grünen Augen sehen, wenn es Mitternacht ist", erklärte James mit einem Augenzwinkern.
„Darf ich dich daran erinnern, dass du mir zu meinem 14. Geburtstag eine Kröte geschenkt hast, weil du meintest, die Farbe würde zu meinen Augen passen?", gab ich unbeeindruckt zurück.
„Lils, da war ich 13! Außerdem wusste ich wenigstens dein Geburtsdatum. Wetten, du kennst meins immer noch nicht?"
„Doch, klar. Es ist der 26. März."
„Der 27., Schatz."

Ich verzog das Gesicht. „Komm schon, es war knapp."
„Ich verzeihe dir", meinte James großzügig. „Schließlich heißt lieben ja auch vergeben."
„Dann vergebe ich dir dieses grässliche Geburtstagsgeschenk. Und Millionen andere Dinge auch."
James zog mich in seine Arme und gab mir einen Kuss aufs Haar. „Dankeschön. Jetzt sind alle Missverständnisse geklärt."
„Und wir können im nächsten Jahr wieder ganz viele neue aufstellen", fügte ich hinzu.
„Solange wir uns hinterher wieder vertragen."

James begann, leise vor sich hinzusummen und wiegte uns im Takt der Melodie hin und her.
„Ich bin froh, dich zu haben, James", flüsterte ich an seine Brust.
Er brummte zufrieden. „Ich auch, Krümel. Hey, nur noch eine Minute bis zum neuen Jahr. Musst du mir noch irgendwas wichtiges mitteilen?"
„Ich habe deinen Pulli geklaut und in meinem Zimmer gebunkert."
„Vielleicht etwas ein wenig Romantischeres?"
„Okay, von mir aus. Du bist das Beste, was mir im letzten Jahr passiert ist. Und es tut mir leid, dass ich so viel Zeit verschwendet habe, indem ich dir nie eine Chance gegeben habe."
Um meine Worte zu bekräftigen, hob ich den Kopf und schaute James ganz ernst an.
Er strahlte mich an.
„Ich verzeihe dir nochmal. Dafür hast du dir einen Kuss verdient."
Lächelnd stellte ich mich auf Zehenspitzen und legte meine Lippen auf seine.
Ich schloss genau in dem Moment die Augen, als alle um uns herum begannen, von zehn herunterzuzählen.



Die Regel - Lily& James Ff ✔️Where stories live. Discover now