Kapitel 113

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Sofort beugten wir uns alle über den Fetzen, den Mulciber uns zur Schau stellte.
Es war eine Fotografie, die ... mir viel zu bekannt vorkam.
Mein Herz setzte einen Schlag aus und fing anschließend an, einen Marathon in meiner Brust zu laufen.
Wie war Mulciber an das Foto gekommen?
In meinem Kopf ging ich fieberhaft jegliche Szenen durch, in denen ich das Schwarzweiß- Bild, das den kleinen James am See zeigte, in der Hand gehalten hatte, während potenzielle Slytherins in der Nähe hätten gewesen sein können.
Doch der letzte Moment, der mir in Erinnerung geblieben war, war gestern Morgen, bevor Dorcas mit den Neuigkeiten über Marlene hereingestürzt gekommen war.
Und in meinem Schlafzimmer war ganz sicher kein Slytherin gewesen.

James wird mich hassen, dachte ich, und ein Schauder des Grauens überlief mich.
Verdammt.
Während ich einen inneren Nervenzusammenbruch erlitt, starrten die anderen schweigend auf das Foto.
Außer Marlene, die von einem Lachkrampf geschüttelt wurde und mehrmals wiederholte, wie bescheuert es doch sei, ein Foto von einem pinkelnden Kleinkind zu machen.
Bis sie die Mienen der anderen bemerkte und feststellte, dass keiner so amüsiert über die Szene war wie sie selbst.
„Hmm." Marlene räusperte sich und verstummte peinlich berührt. „Nicht lustig. Gar nicht lustig."

James betrachtete schweigend sein jüngeres Selbst.
Mulciber grinste von oben gehässig auf ihn herab, sein Gefolge beugte sich ebenso gespannt über den Tisch wie wir selbst.
„Und?", drängte Mulciber, wobei einige Spucketröpfchen seine Unterlippe verließen. „Bist du es, oder nicht, Potter?"
James reagierte nicht.
Er runzelte lediglich die Stirn, bevor er sich unerträglich langsam Sirius zuwandte.

„Sirius", zischte er, „wieso hängt das nicht da wo es hingehört?"
Sirius hob die Hände. „Ich schwöre, ich habe es nicht mitgenommen. Auch wenn die Versuchung ein paar Mal da war..."
„Sirius, wenn du wirklich blöd genug warst, das zu verlieren..." James' Stimme bebte vor unterdrückter Wut, was wiederum Sirius in Rage versetzte.
Lauter als zuvor knurrte er: „Ich habe es nicht genommen, James!"

Mulciber begann röhrend zu lachen.
„Beschuldige nicht deinen armen Kumpel, Potter. Er mag zwar ein Blutsverräter sein, doch durch seine Adern fließt dennoch aufrichtiges, magisches Blut. Er wäre nicht dumm genug, so etwas zu verlieren."
James wandte sich mit versteinerter Miene Mulciber zu.
„Was soll das heißen?", fragte er tonlos.
Mulciber feixte nun so breit und so grausam, dass man ihn mit dem Joker hätte verwechseln können.
„Es war nicht Black, dem das da aus der Tasche gefallen ist." Mulciber nickte in Richtung des Fotos, das immer noch unter seiner dicken, großen Hand klemmte, und ließ seinen Blick dann langsam in meine Richtung schweifen.
„Es war das Schlammblut, das nicht aufgepasst hat."

Ich starrte in Mulcibers eiskalte Augen und stellte mir vor, wie ich ihn nach Askaban hexte.
Wie konnte man nur so durch und durch fies sein?
Wie hatte ich nur so dumm sein können?
Eine Weile lang fixierten Mulciber und ich uns schweigend, und doch deutlich die gegenseitige Abneigung ausdrückend.
„Lily?", fragte James irgendwann leise.
Mir traten die Tränen in die Augen, und ich riss mich von Mulcibers Blick los, um stattdessen James in die Augen zu sehen.
Die Mischung aus Unglaube und Enttäuschung darin brach mir das Herz.
„Ja?", krächzte ich.
„Hast du das Foto aus unserem Haus mitgenommen?"
Meine Schultern sackten nach unten. „Ja", flüsterte ich.
„Aber ... wieso?" James klang fassungslos.

„Ich ... Es tut mir leid! Ich wusste gar nicht mehr, dass ich es hatte. Ich habe es gestern erst wiedergefunden. Es muss in meine Tasche gerutscht sein ... Es tut mir so leid, ich wollte das nicht!"
Meine Stimme überschlug sich panisch, im Gegensatz zu James, der die Worte ganz klar und deutlich formte.
„Lily, die gesamte Schule wird über mich lachen, verdammt. Deswegen haben uns alle beim Eintreten so angeschaut. Sie haben das da schon gesehen."
Anklagend zeigte er auf das Foto, ohne den zutiefst verletzten Blick von mir zu nehmen.
Eine erste Träne rollte über meine Wange.
„Es tut mir so leid, James!"

Mulciber und seine Freunde genossen die Szene sichtlich.
Ich spürte ihre Blicke auf mir und hörte das höhnische Getuschel, das Lachen, als mehr Tränen über meine Wangen strömten.
Ich starrte auf Mulcibers Hand, unter der die obere Hälfte des Bildes eingeklemmt war.
In meinem Bauch wuchs eine riesige Wut auf diesen grässlichen Menschen, der es sich anscheinend zur Berufung gemacht hatte, mir Albträume zu bescheren.
Und als ich ihn lachen und Witze über mich reißen hörte, als ich aus dem Augenwinkel sah, wie er den Kopf Beifall heischend zu seinen Freunden drehte, packte ich meine Gabel fester, an der immer noch ein Stück Rührei klebte, und rammte sie in seinen fleischigen Unterarm.
Mulciber schrie auf und riss reflexartig seine Hand zurück; ich sprang auf und warf mir quer über den Tisch, bekam das Foto zu fassen und presste es fest an meine Brust.
Ein kurzer Blitz der Erleichterung durchzuckte mich.

Doch mein kleines Glücksgefühl währte nicht lange, als Mulciber sich brüllend auf mich stürzte.
„Du kleine Schlampe!", fluchte er, vergrub seine Hand an meinem Hinterkopf und riss mich an den Haaren zurück.
Ich zischte auf vor Schmerz, Tränen brannten in meinen Augen, doch ich hielt das Bild von James fest umklammert.
Mulciber drehte mich ruckartig herum und starrte mir wutentbrannt ins Gesicht.
In seinen Augen loderte der Zorn, der ihn fuchsteufelswild machte.
„Du. Kleines. Miststück."
Zwischen jedem Wort spuckte er mir ins Gesicht.
Ich zitterte vor verletztem Stolz, doch meine Prioritäten lagen bei dem Fetzen Papier in meinen Händen.

Wer weiß, was Mulciber in seiner tobenden Wut noch getan hätte, wenn James ihm nicht einen saftigen Tritt in die Kniekehlen verpasst hätte, der ihn zu Boden gehen ließ.
Sirius war ebenfalls aufgesprungen und kippte die Reste seines Frühstücks über Mulciber.
„Wag es ja nicht, Lilys Ehre anzurühren", knurrte er.
Der dramatische Effekt wurde leider davon zerstört, dass er selbst noch Rührei im Mund hatte und die Worte daher nur genuschelt hervorbringen konnte.
Trösten tat es mich aber irgendwie trotzdem.

Ich wischte mir Speichel und Tränen mit dem Ärmel meiner Schulbluse vom Gesicht, zog die Nase hoch und zerrte James von Mulciber, da er immer noch blindlings auf ihn eindrosch.
James starrte mich an, die unterschiedlichsten Emotionen spiegelten sich in seinen Augen wider.
Er wandte den Blick ab.
„Gib mir das Bild", verlangte er leise.
„James ..."
„Na los!"

Ich reichte ihm wortlos das Foto.
Kaum spürte er den Fetzen in seinen Händen, da drehte James sich auch schon um und verließ schnellen Schrittes die Halle.
Ich blickte ihm nach, und spürte kaum, dass mir wieder Tränen über die Wangen rannen.
Als endlich McGonagall auftauchte und nach einer Erklärung für das Chaos hier verlangte, überließ ich es Sirius zu reden.
Ich musste erstmal mit meinem wütenden Freund ein Gespräch führen.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Where stories live. Discover now