8.

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Bei meinem zweiten Besuch in der Klinik hatte ich weniger Glück mit der Warteschlange. Ich hatte die Nacht vor lauter Grübeln kaum geschlafen und am Morgen war mir außerdem übel gewesen, sodass ich mich nicht früher aus dem Haus gewagt hatte. Jetzt ging es mir zwar wieder besser, aber dafür war es bereits vormittags, ich immer noch hundemüde und im Wartezimmer saßen bereits drei andere Patientinnen: Die eine vom letzten Montag, wieder mit ihrer Tochter im Schlepptau, dann noch eine sehr junge Frau, jünger als ich, alleine und Kaugummi kauend, die dritte Frau hatte einen untersetzten Mann mit kräftigem Bartwuchs neben sich sitzen. Als ich eintrat, wandten sich mir alle Blicke verwundert zu. So gut ich konnte, versuchte ich sie zu ignorieren. Das klappte auch einigermaßen, bis-

"Mama? Warum ist der Mann schon wieder hier?" Das Mädchen sah mich groß an und zupfte ihrer Mutter am Ärmel herum. Sofort wurde sie ermahnt: "Das geht uns nichts an. Er wird seinen Grund haben!" Erst lächelte die Frau mir mit einer Grimasse entschuldigend zu, doch als sie sich hinüber beugte, um ihrer Tochter etwas ins Ohr zu flüstern, wusste ich, wie ernst sie ihre Erziehungsmaßnahmen tatsächlich sah. Nur gespielte Höflichkeit, und die nicht einmal geschickt oder ordentlich durchdacht. Die Augen der Kleinen weiteten sich noch ein Stück und schnell drehte sie sich herum, um etwas zurück zu flüstern: "Wie, er war früher mal eine Frau?"

Alle hatten es gehört. Blicke schweiften umher, von dem Mädchen zu der Mutter, die hochrot im Gesicht wurde, zu mir, wie ich meine Finger schmerzhaft stark ineinander verschränkte, zu Boden sah und nichts sagte. Freak... Freak. Freak! Was war ich denn großartig anderes? Ein Kerl, der auf andere Kerle stand und geschwängert werden konnte! Sie hatte doch recht! Sehr viel mehr war ich nicht! Hastig presste ich einen Handrücken gegen meinen Mund, stand auf und stolperte zu den Toilettenräumen. Den für Männer. Mir war wieder schlecht, aber so ganz anders als vorhin noch, als ich mich erbrochen hatte. Mir brodelte nichts mehr im Magen, stattdessen fühlte sich mein ganzer Körper plötzlich schrecklich leer an. I-ich konnte doch nicht sieben weitere Monate so durchhalten, wenn mich ein Kleinkind mit zwei Sätzen so aus der Bahn warf! Sie meinte es ja sicher nicht einmal böse! Aber mir hatte es wieder schlimmer weh getan wie ein paar saftige Ohrfeigen... Ich sollte Luke wohl besser sagen, dass ich das nicht schaffte. Dann konnte er mir auch nicht mehr anhängen, ich hätte nicht darüber nachgedacht und wäre genauso schlimm wie Marco. Weil ich hatte es mir wirklich überlegt, a-aber...

"Bist du da drin? Mama sagt, ich soll mich bei dir entschuldigen." War das die Kleine? Hörte sich ganz so an. Nachdem ich meine Augen notdürftig getrocknet hatte, öffnete ich die Tür der Kabine wieder und sah das Mädchen von einem Fuß auf den anderen treten, die Hände hinter dem Rücken versteckt und neugierig blinzelnd. "Duuu? Warst du wirklich einmal eine Frau?"

"N-nein...", murmelte ich. Ich war ihr ja nicht böse oder wollte meine miserable Laune an ihr auslassen. "Nein, war ich nicht."

"Warum bist du dann schon wieder hier? Mama sagt, hier kommen schwangere Frauen her, wenn sie nicht mehr schwanger sein wollen."

Ich seufzte traurig. Irgendwie erinnerten mich ihre Fragen an mich selbst, als ich noch so jung und unschuldig gewesen war wie sie. Ich wäre mir sicherlich auch nachgerannt und hätte sowas wissen wollen, selbst wenn mein erwachsenes Ich ein völlig Fremder gewesen wäre. Seltsamerweise tröstete mich der Gedanke sogar, obwohl ich erwartet hätte, dass ihre Nachbohrerei alles noch viel schlimmer machen würde. "Das stimmt. Normalerweise werden nur Frauen schwanger, aber... hm, ich bin es halt auch geworden. Das ist nicht-!, Ich meine, das passiert aber nur ganz selten mal", versuchte ich ihr zu erklären. Sie legte ihren Kopf schief und wollte mir ganz verwundert schon die nächste Frage stellen, als wir von draußen eine laute Stimme hörten: "Chantal? Bist du immer noch da drin? Komm schon, ich muss jetzt zum Arzt rein!"

"Okay Mama", rief Chantal zurück, musterte mich noch einmal von oben bis unten und hüpfte dann aus dem Vorraum zurück ins Wartezimmer. Ich wusch mir lieber nochmal mein Gesicht und trocknete mich anschließend länger und gründlicher als nötig ab. Allein hatte mir die Kleine nicht das Gefühl gegeben, ein Freak zu sein. Das hatten die anderen Leute mit ihren abschätzenden Blicken getan. Sie war einfach nur neugierig gewesen und das war nichts verwerfliches oder falsches! So waren Kinder halt. Ich auch, und ich hatte Antworten auf einfach alles gewollt und war immer glücklich gewesen, wenn ich etwas neues gelernt hatte.

Mir ging es langsam wieder besser und ich machte mich auf, um in den Warteraum zurückzukehren, aber sobald ich die Tür geöffnet hatte, kam mir schon Luke entgegen, der sich suchend umschaute. "Ah, da bist du, Niki! Komm mit. Bine? Bist du so gut und übernimmst die weiteren Patienten?"

Die Frau, die sich eben hinter der Registrierung die Nägel geschliffen hatte, nickte wenig begeistert und der Arzt winkte mir zu, ihm in das Behandlungszimmer zu folgen.

"Du hättest mich nicht vorziehen brauchen", nuschelte ich leise, aber insgeheim war ich ihm schon dankbar dafür. Luke winkte ab. "Das mach ich doch gerne für Bekannte. Es.. es bleibt doch hoffentlich bei einem Gespräch, oder?"

Das war eine gute Frage, auf die ich schlagartig keine klare Antwort mehr wusste. Auf dem Weg hierher hatte ich genug Selbstvertrauen gefasst gehabt, um die Abtreibung heute abzusagen und vor nicht einmal zwei Minuten war es plötzlich wieder das komplette Gegenteil davon gewesen! Ich kam mir wie ein Volltrottel vor und biss mir missmutig auf die Lippen. War ich denn überhaupt noch zu irgendeinem vernünftigen und langfristigen Entschluss im Stande? Lukes Augen trübten sich ein wenig, als er mich mit mir selbst ringen sah. "Schade... Aber es ist natürlich deine Entscheidung und die muss ich akzep-"

"Warte", unterbrach ich ihn hastig, "Ich... i-ich hab noch keine endgültige Antwort... a-aber ich müsste wissen, wie lange ich noch Zeit zum Überlegen habe! Es geht gerade alles irgendwie drunter und drüber in mir..." Und die sonst so selbstverständliche Nähe von einem Partner fehlte mir ebenfalls. Die ganzen vier Jahre lang hatten Marco und ich uns ein Bett und eine Dusche geteilt, abends zusammen ferngesehen und gekuschelt und außer der Arbeit fast jede freie Minute des Tages beieinander verbracht. Aber das wollte ich nicht noch vor Luke ausschütten. Also beschränkte ich mich auf ein "Und ich weiß nicht, ob ich das alleine schaffe" und schaute zu Boden. Ein Vertrauter an meiner Seite würde mir vielleicht auch genug Selbstbewusstsein für diese neue Phase schenken.

Der Arzt nickte verständnisvoll. "Wir könnten nochmal einen Scan machen, wenn du das möchtest und wirklich einen festen Tag als Limit brauchst. Ansonsten schätze ich, dass es gerade die Sieben-Wochen-Grenze erreicht haben müsste. Kann das passen?" Ich stimmte langsam zu. M-marco und ich hatten zu Hochzeiten zwei- bis dreimal pro Woche miteinander ungeschützt geschlafen, aber die Symptome konnten ungefähr mit diesem Zeitraum überein stimmen. "Dann hättest du Zeit bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, also noch ein wenig mehr als einen Monat", fuhr Luke fort und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Noch einen ganzen Monat, das war tatsächlich sehr gut. So blieb mir genug Zeit, um mich mit allen daraus entstehenden Umständen ein wenig mehr anzufreunden. Ich stand von meinem Stuhl auf: "Dankeschön, Luke. Dann... bis in fünf Wochen, schätze ich."

"Gern geschehen, Niki. Kein Problem. Aber ich hatte gehofft, wir könnten uns davor nochmal wiedersehen!" Warum das denn? Ich hielt inne, meine zum Abschied ausgestreckte Hand wanderte zu Boden. "Wieso?"

Luke wirkte plötzlich schüchtern. "Ich habe zwar noch niemanden von ihnen angesprochen, aber wenn ich eine nette Familie für dich aussuchen soll, wäre es eine gute Idee, wenn wir uns auch ein wenig besser kennen lernen und ich dann weiß, auf was du bei der Erziehung besonders Wert legst. Hättest du diese Woche Donnerstag Zeit für einen Kaffee?"

Der Deal (mPreg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt