11.

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Luke holte mich am Vormittag mit einem riesigen VW Bus vor meinem Haus ab. Ich hatte bereits am Fenster Ausschau gehalten und sobald ich sah, dass er es wirklich war, flitzte ich in den Flur und zog mir Jacke und Schule an. Tizia schaute mir verwirrt zu. "Wohin gehst du, Niki?"

"Meine restlichen Sachen von Marco holen. Ich hab jemanden gefunden, der mich hinfährt und mir beim Schleppen hilft!" Den Rest würde ich ihr erklären, sobald wir zurück waren und ausluden, aber jetzt wollte ich möglichst keine Zeit verlieren. Mein neuer Kumpel wartete bestimmt schon ungeduldig auf mich.

"Hi Niki! Du brauchst nicht zu rennen, wir haben doch Zeit!", begrüßte er mich und lehnte sich im Sitz rüber, um mir von innen die Beifahrertür zu öffnen. Leicht aus der Puste kletterte ich neben ihn und holte nochmal tief Luft. Luke grinste wieder so verschmitzt: "Wo soll es denn hingehen?"

"Nach Mannheim", sagte ich, die genaue Adresse oder eine Wegbeschreibung würde ich ihm vor Ort geben. Luke fuhr langsam an, nur um ein paar Meter weiter wieder ruckartig zu stoppen. Fragend schaute ich ihn an.

"Schnall dich an!", verlangte er. Seine Finger hatten sich angespannt um sein Lenkrad geklammert und er starrte stur geradeaus auf die Straße. Was war denn los mit ihm, ich hätte mich doch spätestens an der nächsten Häuserecke von alleine angeschnallt! Hier in dieser schmalen Gasse war noch nie etwas passiert. Trotzdem folgte ich seiner Aufforderung verwirrt und sah, wie sich sein Körper mit dem Einrasten des Gurtes sofort wieder entspannte. "Danke", murmelte er und fuhr dann weiter, als wäre nichts geschehen.

Seine Reaktion verunsicherte mich stark. Das war das erste Mal, dass ich Luke so ernst gesehen hatte. Sogar bei meiner Beratung war er sanft und professionell geblieben, gerade das war völlig neu für mich gewesen! Ob Fahrsicherheit bei ihm insgesamt ein empfindliches Thema war? Hatte er schlechte Erfahrungen damit? Ich schwieg bedrückt und schaute aus dem Fenster hinaus, wie wir bald die Großstadt hinter uns ließen.

"Magst du Musik hören?", fragte Luke plötzlich in die Stille und wies auf sein Handschuhfach. "Wenn ja, da drin sind ein paar CDs, such dir einfach etwas aus!"

Ich nickte stumm, räusperte mich, um das unangenehme Gefühl in meinem Hals loszuwerden, und blätterte mich dann durch seine kleine Sammlung an Alben. Alles Originale, keine Kopien oder selbst zusammen gestellte Musikmixe. Luke musste echt viel Geld haben... Aber glücklicherweise auch einen weit gefächerten Musikgeschmack. Ich pickte mir schließlich eine neuere CD einer Rockband heraus. Mein Sitznachbar lächelte, als er die ersten Takte erkannte. "Die mag ich auch gerne", stellte er fest und beinahe hätte man schon wieder vergessen können, dass er eben diesen kurzen, untypischen Aussetzer hatte. Ich entschloss mich, erstmal nicht weiter darin herum zu bohren!

"Ist das eigentlich dein Auto?", fragte ich irgendwann leise. Ein Kopfschütteln. "Gehört einem Kumpel von mir, der auf dem Bau arbeitet. Ich hatte ihn gefragt, falls wir heute auch Möbel oder andere größere Sachen tragen müssen." Das war gut mitgedacht, auch wenn wir vermutlich keine Möbel mitnehmen würden. Nur meine restlichen Klamotten, ein paar Arbeitssachen und was sonst noch anfiel, aber den Platz im Kofferraum konnten wir dafür trotzdem gut gebrauchen! "Welches Auto war denn deines? Das schwarze oder das blaue?", fragte Luke zurück. "Das blaue", antwortete ich, ein kleiner Mitsubishi, gerade mal groß genug, um sich ein Viertürer nennen zu dürfen. Mir hatte es immer ausgereicht und ich kam mit kompakten Autos insgesamt besser zurecht, auch wenn das natürlich hieß, einen geräumigen Kofferraum einzubüßen.

"Niki? Ist irgendwas? Du bist so still", bemerkte der Arzt irgendwann, als wir die kleineren Ortschaften hinter uns gelassen hatten und die Landstraße erreichten. Ich biss mir auf die Unterlippe. "Alles gut... Uh, Luke? Hattest... hattest du jemals einen Autounfall?"

Er zuckte leicht zusammen. "Wegen vorhin?", fragte er nach. Ich nickte schüchtern. Also war es so? Nicht, dass ich mich jetzt mit ihm am Steuer unsicherer fühlte, Unfälle konnten jedem mal passieren und waren ja nicht immer die eigene Schuld, aber Luke zögerte wieder so lange und schien entweder nach Worten zu suchen oder es nicht aussprechen zu können. Gerade als ich ihm sagen wollte, dass er nicht davon erzählen müsse, fing er sich aber wieder. "Als ich... als ich vierzehn war, habe ich einen guten Freund verloren. Er war nicht angeschnallt gewesen und... und vielleicht hätte er es sonst überlebt. Ich will einfach nicht, dass sowas nochmal jemandem passiert, wenn ich es verhindern kann!" Er zitterte leicht, fuhr aber unbeirrt weiter. Vielleicht hätte ich einfach meinen Mund halten sollen, dann ginge es jetzt nicht uns beiden schlecht.

Bis wir wieder miteinander redeten, waren wir bei der Hälfte der CD angekommen. Als nächstes kam ein relativ bekanntes Lied mit einem Rhythmus, der ins Ohr ging, sodass man beinahe gezwungen war, mitzusingen. Erst summte ich leise für mich und merkte gar nicht, dass ich langsam lauter wurde, bis Luke plötzlich lachte. Er hatte unbewusst auch mitgesummt! Sein Lachen war ansteckend und als wir uns wieder beruhigt hatten, nahm passend dazu auch das Lied an Fahrt auf und ungeachtet der Tonlage sangen wir laut und falsch mit, ich zu hoch, er zu tief, wir bauten spontan Solo- und Duettpassagen ein und brachen die Kälte zwischen uns auf dem einfachsten und wirksamsten Weg wieder auf. Vergnügt trällerten wir den Hit zuende und dann tastete Luke vorsichtig mit seiner freien rechten Hand nach meiner. Ich ließ es zu und wehrte ihn nicht ab, auch als er zaghaft unsere Finger miteinander verwob und wie probehalber ganz leichten Druck ausübte. Es war, wie nach Hause zu kommen, eine schmerzlich vertraute Geste, die ich seit über einer Woche so nicht mehr gespürt hatte. Ich seufzte leise und erwiderte den Druck. Es fühlte sich richtig an.

"Erzähl mal Niki, wie ist es denn in Mannheim? Ich war noch nie da. Ist es so schön wie man manchmal hört?", fragte Luke nach einer Weile interessiert. "Hmm, ich weiß gar nicht so recht...", musste ich zugeben. Klar kannte ich die Wahrzeichen der Stadt und die waren auch wirklich schön, aber vielleicht war dieser Eindruck auch nur dadurch gekommen, weil ich sie mit Marco besucht hatte. Es war seine Heimat, wegen ihm hatte ich mich dort wohl gefühlt. Jetzt zurückzukehren fühlte sich beinahe etwas bedrohlich an, als hätte sich während meiner Flucht zu Tizia hinter mir ein Tor entlang der Stadtgrenzen geschlossen... "Ich bin auch nur vor ein paar Jahren dahin gezogen. Eigentlich kommen meine Familie und ich aus Augsburg."

"Achso, verstehe." Wir bogen von der ersten Autobahn ab und fuhren kurz darauf auch schon auf der zweiten weiter. Gedankenverloren schaute ich nach draußen und der vorbei rasenden Umgebung nach. Ich hatte Marco nicht Bescheid gesagt, dass ich vorbeikommen würde in der Hoffnung, er wäre wie jeden Sonntag Vormittag unterwegs. Den Schlüssel zur Wohnung hatte ich ja noch und bevor ich ging, würde ich ihn einfach auf dem Küchentisch liegen lassen. Als letzter Abschied, weil er sich nicht einmal gemeldet, nach mir erkundigt oder versucht hatte, mich zurückzugewinnen. Auf ihn konnte ich in Zukunft verzichten!

Der Deal (mPreg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt