Der dritte Fehler

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Ich sehe ihr an, dass sie nicht so recht weiß, wie sie anfangen soll. Ich will es ihr leichter machen, doch bevor ich den Mund aufmachen kann, tut sie es schon.

„Er lebt", sagt sie einfach.

Ganz trocken.

Er lebt.

Er lebt.

Er lebt!

Erneut sammeln sich Tränen in meinen Augen. Doch diesmal sind es keine Tränen der Verzweiflung. Nein. Im Gegenteil.

Er lebt! Er hat es überstanden. Mehr muss Schwester Lena gar nicht sagen.

„Aber", fügt sie dann hinzu und ich schlucke. Mein Herz setzt einen Schlag aus.

Was aber?

„Er ist nicht ansprechbar".

Unverändert.

Das ist das erste Wort, das mir durch den Kopf schießt. Unverändert.

„Wann wird er wach?" frage ich leise und sehe sie an. Versuche mir das letzte bisschen Hoffnung zu bewahren.

„Wir hoffen bald. Denn zu lange wäre für ihn nicht gut, weil". Meine Lieblingsschwester bricht ihren Satz ab. Ich kann nur erahnen, was sie sagen wollte. Doch sie tut Recht, indem sie den Satz nicht weiterführt, denn ich will das nicht hören. Nicht so. Nicht von ihr.

Ich schlucke und bringe nur ein Nicken zustande.

„Du hast ja noch gar nicht angefangen", stellt sie scheinbar überrascht fest. Scheinbar, weil ich weiß, dass sie es schon gesehen haben muss, denn sie hat eine Weile lang meinen Teller angestarrt.

Schuldbewusst nicke ich.

Ich kann doch nichts dafür!

„Du musst was essen, Oskar. Ich kann nur erahnen, wie schwer es gerade für dich sein muss, aber gerade jetzt darfst du das Essen nicht vernachlässigen. Es ging doch bergauf", seufzt sie und klingt gegen Ende hin tatsächlich enttäuscht.

Ja, es ging bergauf. Aber nur mit ihm. Ich kann nicht ohne ihn.

Ich brauche ihn!

„Ich kann nicht", bringe ich hervor. Es ist die Wahrheit. Ich würde es sofort wieder auf den Teller zurück spucken.

Ich kann nicht!

Sie sieht mich besorgt an und nimmt meine Hand. „Ich weiß, dass du kannst. Tief in dir drin, da kannst du", haucht sie. In ihren Augen schimmert die Hoffnung. „Er würde nicht wollen, dass du seinetwegen damit aufhörst. Rückschritte machst", fügt sie weiter hinzu und redet beruhigend und motivierend auf mich ein.

„Nein", sage ich zustimmend. Das würde er sicher nicht wollen. Da hat sie recht.

Ich greife nach der Gabel und schaufle ordentlich auf. Einen klitzekleinen Moment zögere ich bevor ich die Gabel in meinen Mund schiebe. Es kostet mich einiges an Überwindung zu kauen, aber ich schaffe es.

Für ihn!

„Siehst du", höre ich sie sagen.

Ich antworte nicht, sondern schiebe mir eine Gabel nach der anderen in den Mund. Alles stopfe ich in mich rein. Ignoriere das rebellieren meines Magens, der am liebsten alles wieder los werden will. So schnell wie möglich.

Für ihn!

Dass das keine gute Idee gewesen ist, ist mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst... 

In 2 Monaten bist du tot!Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz