Freiheit

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Langsam sprang ich von der Statue und ging einsam auf den schmutzigen Pflastersteinen.

Ich überquerte den Dorfplatz und bog in eine kleine Gasse ein. In der Gasse standen viele Heuballen und andere Dinge herum. Schnell lief ich weiter. Diese Gegend hatte ich noch nie gemocht. Sie gehörte zum ärmeren Teil der Stadt.

Als ich an einer Sackgasse ankam, sprang ich so hoch ich konnte und klammerte mich an einer Lücke der Mauer fest. Dann setzte ich einen Fuß in eine Spalte und zog mich hievend hoch.

Frische Waldluft würde mir gut tun. Zielsicher kam ich auf der anderen Seite der Mauer auf. Unsere Stadtmauer war nicht besonders hoch. Ich wäre eigentlich auch durch das spärliche Stadttor gegangen, doch zu dieser Zeit durften noch keine Reisenden hinein. Das hieß: auch für die Stadtbewohner ging es nirgendwo anders hin.

Leise schlich ich an der Mauer entlang zum Waldrand. Die Wachen waren zwar meist betrunken, aber ein Risiko eingehen wollte ich trotzdem nicht. Als ich am Wald angelangt war, rannte ich los.

Rannte über Äste, die nach mir zu greifen schienen. Rannte durch hohes Gras, welches mir in die Beine schnitt. Aber es war mir egal. Ich genoss die Freiheit.

Als ich nicht mehr konnte, blieb ich keuchend stehen. Erschöpft lehnte ich mich an einen großen Baum. Schwach fiel das Sonnenlicht durch das dicke Geäst und die dunklen Blätter. Langsam nahm ich ein zwitschern wahr. Es war leise, doch es klang nicht nach den gewöhnlichen Vögeln.

Rasch stand ich auf und lief in die Richtung, aus der das Zwitschern stammte. Nach einiger Zeit kam ich an einer knorrigen Eiche an. Ein wunderschöner Vogel war in den wirren Ästen gefangen. Er war fast nachtschwarz, bis auf die Spitzen der Flügel, die in einem hellen Weiß glitzerten. An seiner Kralle befand sich ein eingerollter Brief.

Vorsichtig kletterte ich ein Stück hoch, um den Vogel zu befreien. Er musste ziemlich schlau sein, denn er wehrte sich nicht ein bisschen. Vorsichtig brach ich den schuldigen Ast ab und zog den Brief aus der Schlaufe. Die Schrift war geschwungen, aber dennoch kaum lesbar.

Flugwind und Regen hatten an dem Papier gezerrt. Vorsichtig rollte ich ihn auseinander und versuchte die Zeilen zu entziffern.

...Rett..ng... Dringe...d benöti..t! Ort... Im schw...en Tal....

Der Rest war überhaupt nicht mehr lesbar. Als ich mich gerade auf den restlichen teil konzentrieren wollte, ertönte ein lauter Glockenschlag. Erschrocken hob ich den Kopf und blickte mich um. Die Sonne schien bereits weit über mir. Dann fiel mir wieder ein, was für ein Tag heute war. Briefe aus den anderen Städten und Dörfern wurden an Freunde, Verwandte und den Stadtführer übergeben. Dies passierte ungefähr alle zwei Monate. Früher hatte ich oft Briefe von meinem Vater erhalten. Er erzählte von seinen Abenteuern und Reisen.

Die Anwesendheit war Pflicht. Eilig rollte ich den Brief wieder ein und rannte wieder zurück zum Dorf. Schnell versuchte ich mir einen Weg durch die Äste und Sträucher zu bahnen.

Als ich schließlich am Stadttor ankam, waren bereits alle sechs Glockenschläge verklungen. Rasch eilte ich durch die mittlerweile leeren Gassen und stieß anschließend auf den vollen Dorfplatz.

Geschickt schlängelte ich mich durch die Massen und stellte mich an die Statue.

Die ersten Namen wurden aufgerufen. Doch bis jetzt wurde mein Name nicht genannt, wie es seit einigen Jahren schon war.

Abwesend betrachtete ich die Statue. Doch als ich den Kopf des Ritters betrachtete musste ich grinsen. Der Vogel aus dem Wald saß stolz auf dem Kopf des Ritters und schaute schüchtern zu mir nach unten. Lächelnd wandte ich mich wieder ab.
,,Vallerie Hale!",ertönte eine Stimme. Verwirrt drehte ich mich nach vorne. Er hatte tatsächlich meinen Namen aufgerufen!
Aufgeregt drängelte ich mich durch die Menge. Abwesend bekam ich einen schweren Brief mit einem wunderschönen Wappen drauf hingehalten.
Schnell schnappte ich ihn mir und zog mich wieder zurück. Als ich wieder an der Statue ankam und den Brief öffnete, konnte ich es nicht glauben. Fragend und gelähmt vor Hoffnung und Freude, starrte ich auf den Brief vor mir. Immer und immer wieder las ich die Zeilen durch. Ein Schrei riss mich aus den Gedanken. Doch erst dann merkte ich, dass dieser von mir stammte.

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