Prolog

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Dunkel und bedrohlich ragten sich Felsen in den mitternachtsschwarzen Himmel, an dem nicht ein Stern, geschweige denn ein Mond, leuchtete. Die spitzen Felsen waren von Frost und Eis überzogen, ein dicker Teppich aus Schnee hatte sich über den Boden gelegt und seine erbarmungslose Kälte stach mir unerbittlich ins Fleisch. Stirnrunzelnd blickte ich auf meine nackten Füße hinab, die jedoch nicht einmal in den Schnee sanken. Ich trat ein paar Schritte und erkannte, dass ich nicht einmal Fußabdrücke hinterließ. Als wäre ich gar nicht da ... wo war dieses da überhaupt? Ich hob den Blick, drehte mich um meine eigene Achse, doch überall wo ich hinsah, lag nur weißer Schnee in der Dunkelheit der Nacht, dunkelgraue Felsen und klares, blaues Eis. Meine Träume waren schon immer seltsam gewesen, doch das? Es fühlte sich so echt an. Ich spürte den eisigen Wind, der meine Haut streifte und für eine Gänsehaut sorgte. Meine heißer Atem gefror in der kalten Luft und verwandelte sich in rauchige Atemwolken, die aufstiegen und sich auflösten. Das ist nur ein Traum, redete ich mir ein. Ein sehr realistischer Traum. Ich hielt mir eine Hand vor die Augen und begann zu zählen. Ein Finger, zwei Finger, drei Finger, vier Finger, fünf Finger. Das konnte nicht wahr sein ... um sicher zu gehen, zählte ich auch nach der anderen Hand nach. Fünf Finger an jeweils einer Hand. Würde ich träumen, hätte ich mehr Finger ... Ich schüttelte den Kopf. Das musste ein Traum sein. Eine andere Erklärung gab es nicht.

Ein weinerlicher Schrei riss mich aus den Gedanken. Ein Kind, sagte mein Instinkt. Aber das konnte nicht sein. Hier war nirgendswo auch nur irgendein Anzeichen für Leben. Bei diesem kritischen und unvorteilhaften Wetterverhältnis verwunderte mich das aber auch nicht sonderlich. Meine Füße waren beinahe taub vor Kälte, meine Glieder zitterten, die Lippen bebten. Das Kind schrie erneut. Ich tapste ohne Geräusche oder Fußstapfen durch die Dunkelheit, steuerte die Richtung an, aus der der Schrei am lautesten zu vernehmen war. Mit verengten Augen und aufgestellten Nackenhaaren erkannte ich schließlich ein unförmiges blaues etwas, das sich von einem kleinen Felsen abhob. Ich beschleunigte meine Schritte, bis ich vor dem blauen Ding auf dem Felsen stehen blieb und den Kipf schief legte. Das war eine Baby ... also, vermutlich. Es verfügte über zwei Arme, zwei Beine, einen runden Kopf, einen Bauch mit Babyspeck, ein Tuch, das um den intimen Bereich gewickelt war und es war insgesamt klein wie ein Neugeborenes. Und es war blau. Aus seinen Augenhöhlen strahlten rubinrote Augen, statt blaue, wie es für neugeborene Kinder üblich war.
,,Was bist du?", flüsterte ich in den Wind und das Baby hörte für eine Sekunde lang tatsächlich auf, zu schreien. Als hätte es mich gehört. Doch zu sehen schien es mich nicht: es sah nach oben, in meine Richtung, aber es sah mich nicht an. Es war, als würde es direkt durch mich hindurchblicken. Erneut fing das Baby an zu schreien und ich musterte es sowohl irritiert, als auch mitleidvoll. Was war mit ihm geschehen? Warum war er ausgesetzt worden, warum war der kleine Junge blau? Waren seine Eltern auch blauhäutig oder war er wegen jener schier unmöglichen Hautfarbe zurückgelassen worden?

Auf einmal hörte ich das vertraute Knirschen von Schnee unter schreitenden Füßen. Ich sah nach vorne und erblickte einen Mann, der zielstrebig auf das Kind zuging. Er war seltsam gekleidet - aber nicht blau. Dort, wo sein eines Auge sein sollte, prangte eine fleischige Wunde. War er der Vater des Kindes?
Je näher er kam, desto dichter wurde der Schneefall. Er wurde so dicht, dass meine Sicht von einer Sekunde auf die andere völlig weiß wurde, bis mich eine unsichtbare Hand der Dunkelheit umfasste und mit in ihre betäubende Schwärze zog.

Aria Stark - The beginningWhere stories live. Discover now