~ Ɑɓ ɠҽɦƭ ɗíҽ Ƒąɦɾƭ ~

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Maelle

Die Luft war noch kühl, als ich auf dem Hof stand, unter zehn aufgedreht Typen. Wir warteten gemeinsam auf den gelben Bus. Das ganze erinnerte in der Tat an die manchmal schönen Schulausflüge. Ich richtete ein letztes Mal die Mickey-Mouse-Ohren über den perfekt sitzenden großen Locken.
Ein lautes Geräusch ließ mich zusammenzucken. Ein Blick in die Richtung der Lärmquelle offenbarte einen tanzenden Dany, sowie einen singenden Akim. Über die Musik-Box lief so ziemlich laut Humble von Kendrick Lamar.
Süß, wie er jedes Mal nur das 'be humble sit down' mit sang und das auch noch mit dem russischen Akzent.
Auch wenn ich irgendwie noch müde war, dauerte es nicht lange, bis ich genauso grässlich mitsang.
In den Bus stiegen wir zum Schluss im Chor schreiend.
"Be humble..."
Drinnen saß ich etwa in der Mitte, an der Fenster-Seite eines Zweiersitzes. Vor mir Dany und Akim neben einander, hinter mir Frey und links neben mir auf den anderen beiden Zweiersitzen hatte Milo sich wortwörtlich breit gemacht.
Vor mir wurden in Rekordzeit Alkoholfläschchen geleert und auch ich konnte bei Waldmeister und Himbeere nicht widerstehen.
Nach etwa einer Stunde waren einige schon gut angetrunken.
Es tat mir leid für all die Leute vor dem Fernsehen, denn ich konnte in der ersten Reihe live dabei sein.
"Rossiya - svyashchennaya nasha...",
stimmten unsere beiden Osis die russische Nationalhymne ein, bis sie von Sancho aus der letzten Reihe mit Chips abgeworfen wurden.
Noch lauter als die beiden vor mir, begann er in schönstem, sauberen spanisch 'X von Nicky Jam' zu trällern. Ich liebe Spanien, die Sprache, das Essen und vor allem die Musik. Das Problem war, dass zu einem guten Lied, eine gute Stimme gehört und die hatte keiner von den dreien. Anscheinend war ich nicht als einzige der Meinung, denn Milo schrie lautstark dazwischen, so daß alle still wurden.
"Gott hält die ganze Welt in seiner Hand...",
weiter kam Jesus alias Milo nicht, bevor alle im Bus aufschrien, selbst die, welche heute noch kein Ton von sich gegeben haben.
"Chillt mal! War nur ein Scherz",
beruhigte er alle.
Ich schaute mir den Mann neben mir noch mal genauer an.
Das er der Glaube in Person ist, sollte bei dem Aussehen verboten sein.
Mit der eher hellen Haut, den Haaren und Augen, die allerdings so dunkel waren, dass sie an zartbittere Schokolade erinnerten.
Ja, sein Aussehen war für seine Verhältnisse böse.
Vielleicht machte aber gerade dieses Gesamtbild ihn so anziehend. Verführe das Unverführbare. Unter uns Frauen gab es bestimmt auch genügend Jägerinnen. Ob ich auch eine war, konnte ich noch nicht einschätzen.
Ich war nie danach aus, hier die große Liebe zu finden, sogar Freunde wollte ich nicht. Es sollte gefühlfreie Schauspielerei werden.
Genau dieser Moment war aber das Gegenteil. Alles fühlte sich trotz laufender Kamera so echt an. Jeder war er selbst. Wir lachten und hatten Spaß, als wäre dies wahrhaftig unser gewöhnlicher Alltag.
Und auch wenn ich hier niemanden, als meine große Liebe bezeichnen konnte, so musste ich mir auch eingestehen, dass viele von ihnen mir nicht mehr egal waren.
"Maelle, kann ich mich zu dir setzen?"
Diese Stimme, welche ich kaum zuordnen konnte, weckte mich aus meinen verwirrten Gedanken.
"Na klar",
machte ich Sam etwas mehr Platz.
"Danke",
setzte er sich neben mich.
Der Engländer mit den leicht rot schimmernden Haaren hat sich in letzter Zeit wohl nicht rasiert. Sein Kinn, sowie seinen Kiefer zierte ein großzügiger 5-Tage-Bart, der ihm wirklich gut stand.
"Du denkst bestimmt ich wäre sehr schüchtern, oder hätte kein Interesse an dir oder würde sonst irgendein Problem haben, aber das stimmt nicht",
fing er aus dem Nichts an.
In der Tat fand ich ihn seltsam, aber eher auf eine interessante Art. Ständig war er in meiner Nähe, wirklich so gut wie immer, aber geredet hatten wir nur einmal.
Er beobachtete immer nur aus sicherer Distanz. So kam es mir zumindest rüber.
"Ich war jahrelang bei der US-Army, habe es psychisch aber nicht mehr ausgehalten. Zurück in England habe ich es als Sicherheitsbeamter versucht. Die ruhige Art, das Versteifte konnte ich allerdings nicht ablegen. Meine Frau hat mich trotz jahrelangem warten, schließlich verlassen."
-"Das hört sich schlimm an. Deswegen hast du auch jede Situation und allgemein jeden, zu jeder Uhrzeit im Auge. Aber so macht das doch gar keinen Spaß hier... oder egal wo",
stellte ich mit Bedauern fest.
"Ich dachte, wenn ich hier so einer Extremsituation unter vielen Menschen ausgesetzt bin, könnte ich es ablegen und dazu noch neue Freunde und vielleicht eine Freundin finden",
blickte er mir nun in die Augen.
"Gib nicht auf. Das Projekt hat doch erst angefangen."
- "Für manche fängt es gerade erst an, für andere ist es das Ende."
Das stimmte. Nur für mich fing das Projekt gerade erst sicher an.
"Ich denke, dass du mir das eben alles erzählt hast, ist schon mal ein guter Anfang gewesen, offener und lockerer zu werden",
versuchte ich ihm aufmunternd zuzulächeln.
Zum ersten Mal sah ich auch ihn etwas lächeln, was seine Himmel-blauen Augen gleich etwas heller wirken ließ.

#15 RosesWhere stories live. Discover now