● 11. - Weihnachten im Tartarus

295 40 10
                                    

Und wieder hab ich einen Oneshot für euch, diesmal einen ziemlich langen zum Tartarus.

Wer denkt, dass Weihnachten irgendeinen Einfluss auf die Vorgänge im Tartarus hat, hat sich geschnitten. Monster sind nicht gläubig und schon gar keine Christen. Und überhaupt gibt es wirklich keine Gründe, irgendetwas im Tartarus zu feiern. Aber das war nicht immer so. Also passt gut auf und lauscht der Geschichte, die euch die Göttin des unnötigen Wissens jetzt erzählen wird.

Vor ein paar Jahren lebte ein junger Zyklop. Es war nichts besonderes an ihm. Er war nicht besonders groß, nicht besonders stark und nicht besonders hässlich (zumindest nicht für einen Zyklopen). Sein Name war Jerry. Jerry wusste wenig über sich selbst und auch sonst niemand konnte ihm etwas erzählen. Er war wohl irgendwann einmal geboren worden, aber er wusste nicht wann, oder wer seine Eltern gewesen waren. Seine Erinnerungen begannen auf einer Müllhalde vor New Jersey. Dort hatte er sein Leben verbracht, nach Essbarem gesucht und sich seinen Lebensraum nur mit Möwen, Pelikanen und ein paar Streunern geteilt. Doch eines Tages hatte Jerry dieses Leben satt gehabt. Er hatte sich ein Bündel mit ein paar Dingen, die er für wichtig hielt, geschnürt und war in die große weite Welt losgezogen. In seinem Fall war die große weite Welt New Jersey. Er war beeindruckt von all den Häusern, Menschen und Autos gewesen. Doch schon bald bemerkte er, dass es viel in der Stadt viel schwieriger war als auf der Müllhalde. Die Menschen machten große Bögen um ihn, weil er furchtbar stank und außerdem wie ein Obdachloser wirkte (schließlich war er das auch). Außerdem hatte er Mühe, etwas zu Essen zu finden. Er hielt sich aus Gewohnheit an die Mülltonnen, doch wurde er dort immer öfter weggejagt. Und immer öfter zog es ihn zum wunderbaren Duft des Essens, der aus den Geschäften strömte. Aber dort kam er natürlich erst recht nicht hin. Die Menschen verteidigten ihr Essen noch viel mehr als die Möwen, die Pelikane und die Hunde. Jerry verstand das nicht, immerhin hatten sie ja sowieso so viel davon, dass sie es auf die Müllhalde warfen. Jedenfalls lebte er nun in den Gossen und Gässchen New Jerseys und versuchte, aus Mülltonnen zu leben. Und dann kam der Winter.

Am Anfang wurde alles schlimmer für Jerry. Es wurde kälter, die Menschen hektischer und noch geiziger mit ihrem Essen. Aber dann passierte etwas wundersames. Plötzlich war die ganze Stadt mit Lichtern gefüllt. Es roch überall wundervoll. Jerry kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Was für andere wie Kitsch wirkte, war für ihn das schönste auf der ganzen Welt. Und dann bekam er zum ersten Mal Geld geschenkt. Eine Frau mit blonden Haaren, die einen furchtbar pinken Pelzmantel trug, drückte ihm einen Dollar in die Hand. "Kauf dir was zu Essen."
Jerry starrte den knisternden Geldschein verwirrt an. "Was?", fragte er.
"Es ist Weihnachten. Da bin ich immer in spendabler Laune."
Und damit zog sie ab, nicht ohne eine furchtbar süß riechende Parfümwolke zurückzulassen. Jerry starrte wieder auf den Geldschein. Er wusste, wozu Menschen so etwas benutzten. Sie tauschten es gegen Essen. Er konnte sich Essen kaufen, echtes, warmes, frisches Essen. Sein Herz hüpfte. Weihnachten hatte sie das genannt. "Weihnachten", wiederholte er.

In den nächsten Wochen lernte er viel. Er lernte, dass der Schein sich "Geld" und nicht "Weihnachten" nannte. Er lernte aber auch, was Weihnachten war. Er lernte es in den Suppenküchen, in denen er warmes Essen bekam. Er lernte es in den Kirchen, wo die Pfarrer ihm etwas Geld zusteckten. Er lernte es in den Herbergen, in denen er schlafen durfte. Und er lernte es vor allem auf der Straße, wo alles leuchtete, duftete und sang. Jerry verliebte sich in Weihnachten.

Doch dann war Weihnachten vorbei. Der Jänner kam und die Menschen wurden wieder kälter, genau wie das Wetter. Und Jerry lernte wieder etwas: Nur zu Weihnachten war es die Stadt wirklich wert, dort zu leben. So kehrte er über den Sommer zurück auf die Müllhalde und kam erst wieder, wenn die Tage kürzer und kälter wurden. So machte er das Jahr für Jahr. Er lernte mehr und mehr über Weihnachten. Dann aber, eines eisigkalten Novembertages, als er gerade in die Stadt zurückgekehrt war, stieg ihm ein Duft in die Nase. Er war anders als alles, was Jerry bisher gerochen hatte. Wunderbar, aber auf eine ganz neue Art und Weise. Neugierig ging der Zyklop dem Duft nach. Und in einer kleinen Gasse fand er den Ursprung des Geruchs. Ein kleines Mädchen. Es saß schluchzend auf dem Boden. Jerry hatte sofort Mitleid mit ihm. Aber noch immer stieg ihm der wundervolle Duft in die Nase. Bevor er überhaupt überlegen konnte, was er tun sollte, erblickte das Mädchen ihn. Ein schrecklicher Schrei entwich ihrem Mund. Jerry schnaubte wütend. Dieses Geräusch tat ihm in den Ohren weh. Sofort war das Mädchen auf den Beinen. Und von irgendwoher zog sie plötzlich ein Schwert hervor. Jerry brüllte erschrocken auf, aber bevor er etwas tun konnte, hatte das ängstliche kleine Mädchen ihm das Schwert in die Brust gejagt und er zu zerfiel zu Staub.

Wie jeder Zyklop kam Jerry nun in den Tartarus. Er war furchtbar verwirrt. Was war das für ein furchtbarer Ort? Warum war er hier? Wo war Weihnachten? Die ersten paar Tage verbrachte er auf einem Felsen und weinte. Dann war er so ausgelaugt vom Weinen, dass er noch ein paar Tage lang schlief. Und dann traf er einen Entschluss. Ganz egal, was das für ein Ort war und warum er hier war, er würde Weihnachten hierher bringen. Um keinen Preis wollte er es sich in diesem Jahr entgehen lassen. Und tatsächlich gelang diesem jungen Zyklopen das unmögliche. Als erstes redete er mit den anderen Monstern. Er erzählte ihnen von Weihnachten und von seinem Plan, aber sie lachten ihn nur aus. Dann redete er mit den Gefolterten, den Erynnien, ja selbst mit Höllenhunden. Aber niemand schenkte ihm ein Ohr, niemand nahm ihn ernst. Doch dann traf er Persephone. Sie verbrachte den Einter wie üblich in der Unterwelt. Als sie mehr durch Zufall als durch Absicht in den Tartarus kam, stieß sie auf den jungen Zyklopen. Und Jerry begann, der Göttin von Weihnachten und von seinem Plan zu erzählen. Sie war so angetan von ihm und seiner Idee, dass sie ihm ihre Hilfe an. Und so brachten ein junger Zyklop und die Königin der Unterwelt Weihnachten in den Tartarus. Persephone ließ überall Stechpalmen, Nadelbäume und Misteln wachsen. Die Hölllenhunde bekamen Weihnachtsmützen aufgesetzt. Die Gefolterten mussten Weihnachstlieder auswendig lernen. Als Hades von diesen Vorgängen erfuhr, war er mehr als überrascht. Anfangs war er wütend, doch als er Zerberus mit drei riesigen Weihnachtsmützen erblickte und Tantalos unter einem Weihnachtsbaum stehen sah, konnte er einfach nicht böse sein. Er ließ seine Frau und Jerry gewähren. Und es wurde ein Weihnachten, wie man es noch nie gesehen.

Im nächsten Jahr kam Persephone pünktlich am ersten Dezember mit einem Korb Lebkuchen in den Tartarus, um Jerry zu besuchen. Aber niemand wusste, wo er war. Sie fragte jedes Monster, jeden Gefolterten, aber niemand hatte ihn gesehen. Traurig stellte die Königin der Unterwelt ihren Korb auf den Boden. Natürlich hätten sie Weihnachten auch ohne Jerry feiern können, aber jedem im Tartarus war bewusst, dass das nicht das Wahre gewesen wäre. Persephone kehrte in den Palast zurück. Die Hölllenhunde heulten die ganze Nacht lang traurig. Sisyphos rollte seinen Felsen langsamer als sonst. Die Danaiden klagten beim Wasserschöpfen laut. Aber niemand konnte Jerry zurückholen und somit auch nicht Weihnachten. Alles, was davon zurückblieb, war ein Duft nach Lebkuchen, der erst nach ein paar Tagen verflog und die Tatsache, dass Oknos manchmal während dem Flechten mit rauer Stimme Jingle Bells sang. Und manchmal, wenn der Tag gut war, stimmten auch Sisyphos und die Danaiden ein und manchmal sogar Tantalos. Und das war die Geschichte, wie Weihnachten in einem Jahr im Tartarus Einzug nahm.

Na, war das nicht wunderbar traurig? Tut mir leid, ich weiß auch nicht, wieso das so geworden ist.
-gez. Luna

Analyse der Rick Riordan Bücher - unnötige Informationen und irrelevante FaktenWhere stories live. Discover now