𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟙 𝕐𝕠𝕦𝕣 𝕡𝕒𝕤𝕥

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Als ich das nächste mal bei meiner Therapeutin saß, weinte ich wieder wie die Tage zuvor. Sie saß vor mir, den Klemmbrett locker auf ihrem Schoß platziert. Die heutige Aufgabe war schwer für mich, tat mir weh und ich konnte nicht aufhören zu weinen. Ich wollte zurück auf mein Zimmer, mich in deine Arme verkriechen, wie die letzten Tage, obwohl es den Betreuern missfiel, diesen Körperkontakt den wir immer mit einander teilten. Sie wollten es nicht, meinten es würde unserer Therapie nicht gut tun, doch ich hörte nicht auf die, genau so wie du es tatest. Wir lagen manchmal Stunden Arm in Arm und es fühlte sich so wundervoll an, wie eine Droge, die ich brauchte. Du beruhigtes mich, ließt nicht zu, dass ich in diesen Dämmerzustand verfiel, vor welchem ich solch eine Furcht hatte. Wie ein Schutzschild umschlangen deine Arme manchmal meinen Körper, während mein Kopf auf deiner Brust lag und ich deinen ruhigen Herzschlag hörte.

Es waren Momente in denen wir uns nackt zeigten, denn du erzähltest mir alles und ich erzählte dir alles, mehr als ich es je tat. Flüsternd berichtetest du von dir, sagtest weshalb du hier warst, was man dir angetan hatte und nicht selten weintest du, dann warst du derjenige der sich schützend in meine Arme verkroch, meinen Duft tief einatmete und weinte, bis deine Augen feuerrot und mein Oberteil tränendurchnässt war.

Du warst mit deiner Mutter auf einem Markt, du warst noch ganz klein, wusstest selber nicht wie alt genau du warst.

„Und plötzlich wurde ich zu Boden gedrückt. Ich hörte nur Schüsse, ganz viel Geschrei und hin und wieder wie meine Mutter mir sagte, dass alles gut wird. Sie hatte mich auf den Rücken gedrückt, ich sah ihr Gesicht, wie sie weinte, doch ich hatte es einfach nicht verstanden. Und dann legte sie ihren Kopf neben meinen, ich spürte gleichzeitig etwas warmes an meinem Körper und hörte wie sie sagte ich soll meine Augen schließen und ganz leise sein."

Tränen verschleierten deine Augen, ließen sie wunderschön glitzern und funkeln. Wie fasziniert sah ich in deine Augen, hörte deiner zerbrochen wimmernden Stimme zu, die dein Leiden mir erzählte. Ich saugte sie regelrecht ein, wollte deinen Leid mir mir teilen, damit die Erinnerung daran nicht mehr so betäubend schmerzte.

„Ich habe dann meine Augen geschlossen und meine Hände ganz fest in ihre Jacke gekrallt, und ich weis nicht mehr wie lange ich da lag, aber das Geschrei hörte einfach nicht auf. Ich habe dann irgendwann meine Augen geöffnet, habe an meine Mutter gerüttelt. Ich wollte nach Hause, weil mir kalt war und ich Hunger hatte, aber sie hat mir nicht geantwortet und als sie darauf nichts erwidert hatte, da habe ich meine Augen geöffnet und ich habe dann in ihre Augen geschaut und..." du schluchztest einmal laut, weintest stark gegen meine Brust. Es tat weh dich so zu sehen, mein Herz zerriss bei diesem Anblick, zeigte wie hilflos ich doch war, denn ich konnte nichts tun, damit deine wunderschönen Augen keine Tränen mehr vergossen.

Ich wusste was du sagen wolltest, wusste, was mit deiner Mutter passiert war,  drückte dich deshalb noch fester an mein schnell schlagendes Herz, welches mein Blut nur so durch meinen Körper pumpte. Und du verstandest es. Sagtest nichts mehr, sondern verstecktest dein nasses Gesicht schluchzend in meinen Pullover, während ich dich vor allem Bösen fern hielt.

Ich verstand deinen Selbsthass, diesen Scham und die Verachtung gegenüber dir nicht, denn du warst ein Schatz in meinen Augen, ein traumhafter Schatz, den es nur ein mal auf dieser endlosen Welt gab. Und ich wollte dich haben. Ich wollte dich für immer an meiner Seite haben, mich vergewissern dass es dir gut geht, du noch lebtest innerlich, sowie äußerlich.

Ich wollte die Luft für dich zum Atmen sein, genau wie du das schlagen meines Herzens warst.

Ich wollte alles für dich sein, dir alles geben, denn du gabst mir alles was ich brauchte.

Einen neuen Tag, der mir zeigte, dass ich endlich geschafft habe aus diesem Teufelskreis zu entkommen.

Und so war es dann auch. Ich konnte nicht mehr ohne dich, und du konntest nicht mehr ohne mich.

Wie blieben zusammen, fühlten uns wohler in der Haut, in welcher wir steckten und vergaßen den Schmerz, welchen man uns angetan hatte.

Wie vergaßen alles, hatten nur noch uns in Augen. Nur noch uns als Ziel.

Wir waren die Herbstblätter, die immer zusammen in den Lüften umherflogen, nie alleine den Boden berühren würden, so dachte ich es mir zumindest, doch so war es nicht.

So war das Leben nicht zu mir und auch nicht zu dir. Es war ein Monster. Ernährte sich von unserem Leid, den Schmerzensschreien, den Tränen die wir vergaßen.

Es lebte und liebte unseren gebrochenen Herzen.

ℕ𝕖𝕨 𝕕𝕒𝕪 || ℕ𝕒𝕞𝕛𝕚𝕟Where stories live. Discover now