Grundreinigung

110 6 0
                                    

Meine Wangen und Augenhöhlen sind eingefallen. Meine Lippen fast farblos. Ich bin blasser als sonst. Meine Augen glanzlos. Generell bin ich knochiger, als ich einmal war. Ich war nicht dick! Aber jetzt sieht man ein paar Knochen. Das Essen war eben nicht wirklich nahrhaft. Es hat satt gemacht. Aber sonst nichts. Ich spucke noch einmal die restliche Zahnpasta aus, wasche meinen Mund aus und lege die Zahnbürste auf den Rand des Waschbeckens, ehe ich zur Badewanne gehe. Dort stelle ich das Wasser ebenfalls auf ganz heiß und diesmal ist es auch wärmer als bei der Dusche. Stöpsel sein und selbst rein in die Wanne.

Ich warte, bis das Wasser meine Brüste bedeckt und stelle den Hahn dann ab. Atme tief ein und wieder aus. Wirklich glauben, dass ich jetzt weg bin, kann ich nicht. Es ist alles noch irgendwie surreal. Vielleicht träume ich noch? Ich zwicke mich selbst, doch selbst nach dem dritten Mal zwicken stelle ich fest, dass ich hier bin. Es ist still. Kein Schrei der gefolterten. Keine Schergen, die herum laufen. Kein Zalgo, der einfach so auftauchen wird. Nur Entspannung. Sicherheit. Das Wissen, dass ich meine Leute um mich habe. Tim. Ich habe Tim wieder. Ich habe meine Familie wieder!

Es klopft an der Tür, bis diese vorsichtig aufgeht. "Ich komm rein.", ertönt Tim's Stimme und sofort bedecke ich meine Brüste und lehne mich nach vorn, um alles andere ebenfalls zu verdecken. Der braunhaarige macht hinter sich die Tür zu und sieht mich an. Schuldbewusst. Langsam kommt er zu mir und kniet sich neben der Wanne hin. "Es tut mir so leid. Ich hätte es irgendwie schaffen müssen, früher zu kommen. Wegen mir musstest du das alles aushalten. Ich hätte-" Er ist verstummt, als ich eine nasse Hand auf seinen Mund gelegt habe. Mein Blick ist sanft. 

"Du hättest nichts anderes machen können. Ich bin mehr als nur dankbar, dass ihr überhaupt gekommen seid. Dass ihr mich überhaupt gerettet habt. Zalgo hätte mich irgendwann gebrochen. Aber dann seid ihr gekommen. Dann...", ich drehe mich auf die Seite und sehe ihn liebevoll an. "Dann bist du gekommen." Tim legt eine Hand auf meine und nimmt sie von seinem Mund. Leicht schüttelt er den Kopf. "Ich werde mir nie verziehen, was du alles durchmachen hast müssen. Ich liebe dich, Alexandra. Der eine Monat in dieser Welt war die Hölle, ohne dich. Nicht zu wissen, wie es dir geht. Zu denken, dass du gefoltert wirst."

Langsam streiche ich mit meinen Daumen über seine Hand. "Du hattest einen Monat ohne mich. Ich hatte vier ohne dich.", flüstere ich und Tim sieht auf die Seite. "Ich werde da nie wieder gut machen können.", murmelt er und ich ziehe einen Mundwinkel hoch. "Wundere dich bloß nicht, wenn ich in nächster Zeit ein wenig anhänglich werde." Er sieht mich wieder an und lächelt. Etwas, was ich auch vermisst habe. So etwas simples wie ein ehrliches lächeln. Oder das wissen, dass jemand da ist. Der die Situation kennt. Bei meiner Familie wäre das wahrscheinlich was anderes. Die haben ja keinen blassen Schimmer.

"Ich lass dich wieder in Ruhe. Die Kleidung lege ich dir rein. Von Jane bekommst du Unterwäsche. Liegt schon alles da. Bis gleich.", flüstert er, gibt mir einen Kuss auf die Wange, steht auf und geht aus dem Bad. Noch schnell legt er die Kleidung rein, ehe ich mich wieder auf den Rücken lege und ein paar Minuten einfach nur das genieße, was ich hier habe. Ein Leben. Ein richtiges Leben. Kein dahinsiechen mehr. Keine reine Existenz. Ein Leben. Etwas, vorauf ich mich freuen kann. Mit dem ich umgehen kann. Etwas... das im Moment perfekter nicht sein könnte.

Nachdem ich merke, dass das Wasser kälter wird, stehe ich auf und steige aus der Wanne. Nehme mir ein Handtuch, ziehe den Stöpsel und trockne mich ab. Kämme mir dann noch einmal die Haare, ziehe mir frische und saubere Kleidung an und sehe an mir hinunter. Tim's Hose und Shirt sind zu groß für mich. Aber es sind seine Dinge. Also finde ich es doch irgendwie passend. Die frische Unterwäsche ist der Wahnsinn! Ich habe keine Ahnung wie das ging, aber in den vier Monaten habe ich meine Tage nicht bekommen. Schwanger sein kann ich nicht. Ohne Sex nicht möglich. Aber es war praktisch.

Ich trete aus dem Bad und sehe, wie Tim sich sofort auf seinem Bett aufsitzt. Jane ist ebenfalls da. Sie hat ein paar Verbände und Pflaster überall an ihrem Körper, aber sie sieht mich lächelnd an. "Na endlich sehe ich mal das echte Gesicht zu seinen Erklärungen! Hey. Ich bin Jane." Sie steht vom Schreibtischstuhl auf und bleibt vor mir stehen. "Ich weiß das klingt jetzt komisch, aber ich werde bei dir die Grundpflege machen. Masky meinte, dass es erst später sein sollte, aber du weißt, wie Männer sind. Setz dich hin!" Jane deutet auf den Stuhl, von dem sie aufgestanden ist.

Etwas überfordert lasse ich alles mit mir machen. Im Grunde gibt sie mir eine Mani- und Pediküre, gibt meinen Haaren eine Kur, die ich drauf lassen kann ohne ausspülen zu müssen und schickt mich zum rasieren wieder zurück in das Bad. Fertig, aber blitzend und blinkend, stehe ich nun vor Jane. Alles ist so, wie sie es sich gedacht hat. "Na geht doch! Jetzt muss du nur noch zum Friseur und genügend essen und trinken und schon siehst du wieder aus, wie die alte. Wenn man den Fotos glauben schenken kann. Ich bin mal wieder! Tschühüß!", trällert sie und verschwindet wieder.

Mit großen Augen sehe ich zu Tim, der mich wiederum entschuldigend ansieht. Ich sehe wieder zur Tür und zucke dann mit den Schultern, ehe ich zum Bett gehe. "Leg dich hin.", brumme ich zu dem braunhaarigen, der zuerst eine Augenbraue hoch zieht, es aber tut. Ich krabbele auf das Bett und dann auf ihn. Lege mich hin und schließe meine Augen. Meins. Ich werde hier nie wieder weg gehen. Nie wieder lasse ich mir von Zalgo das nehmen. Eher bringe ich ihn um. "Alex?", flüstert er und ich hebe meinen Kopf. Meine Augen halb offen. Tim hebt mich ein wenig hoch, zieht mich zu ihm und presst seine Lippen auf meine.

The lost friend 2Where stories live. Discover now