Prolog

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Er saß am Wegesrand, gegen einen Baum gelehnt, die dunkle Kapuze seines wärmenden Mantels tief ins Gesicht gezogen.

Ein Außenstehender könnte meinen, dass der Mann, der so friedvoll inmitten des Grüns saß, schliefe. Seine Umgebung verschwand immer weiter in der Dunkelheit, während sein Hund mit dem nachtschwarzen Fell leise hechelnd neben ihm saß, als würde er ihn beschützen.

Jedoch schlief der Mann keineswegs. Seine Augen, die tief im Schatten der Kapuze kaum zu erkennen waren, spähten konzentriert hinaus ins Dunkel. Auch wenn die dicke Kapuze einige von den Geräuschen, die der Wald von sich gab, schluckte, so lauschte er doch jedem Klang.

In seinem Dorf nannte man ihn Schatten. Bei diesem Gedanken hob sich sein rechter Mundwinkel zu einem amüsierten Schmunzeln. „Schatten", ihm gefiel dieser Name. Er strahlte Kraft aus, sorgte für Furcht beim Feind und für das Gefühl von Sicherheit bei den Menschen in seinem Dorf.

Seit Ausbruch des Krieges war Sicherheit ein wichtiges Gut, welches er bieten wollte, doch oftmals fragte sich Schatten, wie sicher sie wirklich waren.

Natürlich, er war leise. Er kommt und geht unbemerkt und hinterlässt nur die Spur des Todes. Ja er war gut, gut im Töten. Dennoch, wenn diese verdammten Redrocks wieder eine Bombe werfen, und das werden sie früher oder später tun, war auch er machtlos.

„Und wenn...", wollte Schatten seine Gedanken fortsetzen, jedoch stockte er:

Das Verstummen des Hechelns seines Hundes, welches die letzten Stunden so einvernehmlich mit dem Zwitschern der letzten verbliebenen Vögel angedauert hatte, weckte seine Aufmerksamkeit.

Es war ein Auslöser, der eine Routine weckte. Die Bewegungen, die Schatten nun durchführte, waren so vorsichtig und geplant, dass sie mit einem Abstand von mehr als fünf Schritten, nicht zu erkennen gewesen wären.

Während sich seine Hand langsam um den Griff seines Scharfschützengewehres legte, glitt sein Blick zu seiner treuen Gefährtin Zaira. Er folgte ihrem Blick in die Dunkelheit, in der sich das Grün der Blätter mit dem Braun des Waldbodens vermischte.

Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, doch konnte er nichts erkennen. Trotzdem wusste er, dass dort etwas sein musste. Er wusste wie Zaira sich verhielt, wenn sie eine Witterung aufgenommen hatte.

Er schloss die Augen und steckte seine gesamte Konzentration in sein Gehör. Aus der Richtung des Dorfes, welches hinter ihm lag, erklang ein Wimmern und Schluchzen, nichts Ungewöhnliches. Seit Beginn des Krieges wurde viel geweint, fast jeder hatte seine Heimat verloren, oder geliebte Menschen, womöglich beides.

All dies kannte er nicht. Sein zu Hause war das Dorf. Es hatte nicht einmal einen Namen und bestand nur aus einem Dutzend Holzhütten und einer großen Feuerstelle. Kurz nach den ersten Bombenabwürfen über den Red-Mountains wurde er geboren. Seine Eltern wurden ein halbes Jahr später niedergeschossen. Wer sie getötet hatte, oder wo ihre Körper jetzt waren, wusste er nicht. Vermutlich sind sie mittlerweile zu Skeletten unter den Trümmern irgendeines Hauses verkommen.

Eine Stimme in seinem Kopf mahnte ihn zur Konzentration. Schatten fand zurück in die Gegenwart und versuchte erneut, das Dunkel mit seinen Augen zu durchbrechen.

Dann sah er vor seinem inneren Auge das, was Zaira schon eine halbe Minute lang beobachtete: Eine vorsichtige Bewegung, in etwa 500 Metern Entfernung. Mensch oder Tier? Gefahr oder Festmahl auf vier Beinen?

Schatten atmete tief aus, um ihn herum wurde es leise. Selbst die wenigen Tiere in diesem Wald schienen wie stumm geworden.

Schattens Gedanken trugen ihn in die Richtung der Bewegung. Er erkannte schemenhafte Gestalten. Er hörte Schritte, das leise Knacken eines Astes, auf den eine der Gestalten getreten war. Er spürte den mahnenden Blick einer anderen Gestalt. Er hörte ihre Herzschläge, ihre Atmung.

Zairas SchattenWhere stories live. Discover now