Kapitel 1: Vergangene Sommertage

13 0 0
                                    


„Was ist das für ein Gefühl?", hatte sein Freund gefragt, „zu wissen, dass du mächtiger bist; dass dieser Mann durch deine Hand stirbt?"

Schatten hatte nur mit den Achseln gezuckt, er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Er war nicht wie sein Freund, er tötete nicht aus Spaß, nur aus Pflicht.

„Sag schon!", hatte Mond ihn aufgefordert. Er hatte sich die Lippen geleckt, während er das Messer, auf das seine weit aufgerissenen Augen gierig starrten, mit viel Mühe aus dem sterbenden Körper zog.


Damals war er zwölf Jahre alt gewesen, ebenso wie sein Freund, aber Mond hatte diese Begeisterung am Töten, die Schatten einfach nicht verspürte. Für ihn war es eine Pflicht, ein Muss, das ihm weder Ekel noch Freude bereitete. Jener Tag vor zehn Jahren hatte geendet, wie er begonnen hatte: Mit einem Körper, der zu Monds Vergnügen vor ihren Augen verblutet war und sein Leben gelassen hatte.

Als Schatten sich am Abend nach der erfolgreichen „Jagd", wie Mond es nannte, ins Bett gelegt hatte, hatte sich Furayn, Zairas Mutter, leise atmend zu ihm gelegt. Ihre Atmung hatte beruhigend und einschläfernd auf ihn gewirkt.

Doch nun war da kein Winseln mehr. Schatten saß jetzt allein unter einem Felsvorsprung, während der Regen den trockenen Boden in Matsch verwandelte. Aber Schatten betrachtete nicht den Boden, auch nicht die kleinen Rinnsale darauf, die langsam ihren Weg zum Fluss suchten. Schatten starrte in das Nichts und er dachte an Zaira. Daran, dass er sie allein gelassen hatte und sie seinetwegen mitgenommen worden war. Schatten fror. Doch die Müdigkeit war stärker und überkam ihn. In seinen Träumen reiste er zurück zu vergangenen Sommertagen:


Warme Sonnenstrahlen kitzelten an diesem Morgen sein Gesicht. Er freute sich, denn die dicke Aschewolke, die die letzten Wochen den Himmel verdunkelt hatte, war endlich weitergezogen. Als er seine Augen öffnete sah er Furayns dunkles Fell und in ihrem Maul ein orangefarbenes Eichhörnchen. Nachdem sich Schatten aufgesetzt hatte, tätschelte er den Kopf der stolzen Hündin und lobte sie.

Von draußen hörte er eine Glocke läuten. Zeit für sein Training. Schatten blickte in der Hütte umher, in der langsam das Licht des neuen Tages einkehrte. Zu seiner Linken streckte sich Mond in seinem Bett, während sein Adler Rukof begann im Sitzen mit seinen Flügeln zu schlagen. Auch in den anderen fünf Betten in der kleinen Hütte, erwachten seine Wächterbrüder. Noch einmal läutete die Glocke. Es dauerte nicht lange, bis Schatten die Hütte verlassen hatte. Er war der Erste, der, zusammen mit Furayn, auf dem Trainingsplatz, ankam.

Der Trainingsplatz lag unweit östlich vom Dorf und war nicht mehr als eine kleine Lichtung im Wald. Schatten streichelte Furayn und sprach zu ihr, doch als er das Geräusch schwerer Stiefel hinter sich hörte, stellte er sich kerzengerade hin.

„Schatten", sagte die dunkle Stimme eines Mannes. Es war sein Ausbilder. Er war einer der ältesten Menschen, die Schatten kannte. Seine Stimme war rau und in ihr schwang der Schmerz vieler Kämpfe mit.

Schatten senkte den Blick und begrüßte seinen Ausbilder.

Wenig später kamen auch seine Wächterbrüder auf den Trainingsplatz

Ops! Esta imagem não segue nossas diretrizes de conteúdo. Para continuar a publicação, tente removê-la ou carregar outra.

Wenig später kamen auch seine Wächterbrüder auf den Trainingsplatz. Für ihre Verspätung gab es erstmal eine Tracht Prügel vom Ausbilder. 

„Heute werdet ihr zusammen mit euren Begleitern jagen. Die Sonne lässt sich wieder blicken und so auch die Tiere. Seid leise und vorsichtig."

Der Ausbilder schickte jeden von ihnen in eine andere Richtung in den Wald hinein.

„Konzentration, Kontrolle und Disziplin!", hatte er noch gesagt.

Schatten setze sich in Bewegung, einen selbstgebauten Bogen in der einen und den einzigen Pfeil, den er besaß, in der anderen Hand. Er rann mit sanften Schritten. Eine Fähigkeit, die er lange trainiert hatte und die, wie er wusste, über Leben und Tod entscheiden konnte. Sich einem Feind möglichst rasch und leise anzunähern war ein essenzieller Bestandteil des Überlebens in dieser Welt.

Während sich Schatten zusammen mit Furayn weiter durch den Wald bewegte, hörte er plötzlich ein Knacken. Das Knacken eines schweren Fußes auf einem kleinen Stock, etwa 50 Meter rechts von ihm. Er hielt mitten im Lauf inne und schaute in die Richtung, aus der er das Geräusch wahrgenommen hatte.

Er konnte nichts sehen, aber wieder hörte er ein „Knack" und dann konnte er den Kopf eines mächtigen Hirsches ausmachen, der hinter einem Baum hervorkam.

Schatten erklomm kurzerhand den nächsten Baum und bedeutete Furayn, sich dem Tier langsam anzunähern. Er sprang nun von Ast zu Ast, von Baum zu Baum, aufmerksam die Bewegungen des Hirsches verfolgend, dem er immer näherkam. Furayn wartete versteckt hinter einem Baum, Schatten zückte seinen Bogen, legte den Pfeil auf die Sehne und spannte diese. Seine gesamte Konzentration floss in diesen einen Schuss. Er lauschte, er hörte die Atmung des Tieres, ruhig gleichmäßig, es ahnte nichts, sehr gut.

Er zog die Sehne noch ein kleines Stück weiter zurück, zielte und dann ließ er den Pfeil los. Ein Surren in der Luft, der Hirsch hob seinen Kopf, aber dann hörte man ein „Gnock" und ein wenig Blut spritze. Furayn rannte auf den Hirsch los, der unter Schmerzen noch zwei, vielleicht drei Meter weiterlief und dann zusammenbrach, übermannt von der Wunde, die an seinem Hals klaffte. Ein perfekter Schuss.

Sanft landete Schatten auf dem Boden und ging auf den Hirsch zu. Dessen Atem war noch immer zu hören, während sein Herz aufgeregt immer mehr Blut aus den Venen pumpte. Schatten trat an das Tier heran, beruhigte es und dankte einer höheren Macht für dieses Festmahl. Sein Messer glitt anschließend mit einer sonderbar beruhigenden Geste in das Herz des Tieres, um seine Qualen zu beenden.

Der kalte Frühlingsregen, dessen starke Schauer einen Lärm gleich einem Bienenschwarm verbreitete, weckte Schatten auf.

Am Horizont konnte er die ersten schwachen Sonnenstrahlen sehen. In der Nacht hatte er die Redrocks noch einige Stunden verfolgt, doch dann hatte er ihre Spur verloren. Anstatt allerdings aufzuspringen und blindlings in die Wildnis zu laufen, verweilte Schatten sitzend, so wie er eingeschlafen war und wägte seine Entscheidungen ab. Er hielt es für wahrscheinlich, dass die Redrocks Zaira nach Neverforth bringen würden. Die Stadt im Osten war umkämpft zwischen Redrocks und Greyhands und beherbergte die größten Lager der Redrocks.

Doch zuerst brauchte Schatten Ausrüstung und einen Weg über den Fluss, damit er einen möglichst direkten Weg nach Neverforth nehmen könnte.

Hillriver, das zweite Dorf der Freilebenden in dieser Gegend, war nicht weit entfernt. Dort könnte er Hilfe erwarten.

Im langsam heller werdenden Wasser des Flusses spiegelte sich das kleine, fast schon idyllische Fischerdorf wider. Die große Straße, auf der Schatten Richtung Süden unterwegs war, war vor dem Krieg eine nicht wenig genutzte Landstraße gewesen. Sie war völlig leer. Der Asphalt bröckelte an vielen Stellen und das Grün hatte mittlerweile Teile der Straße zurückerobert.

Schatten fühlte sich erholt, er konnte sich fokussieren und war bereit für die lange Reise.

Zairas SchattenOnde histórias criam vida. Descubra agora