1.

1.8K 60 10
                                    

"Und?" fragte Ann-Kathrin erwartungsvoll, als ich wie immer ordentlich Zucker in meinen Kaffee rührte, so als würde ich einen Zuckerschock gerade zu herausfordern. Ihrer stylischen Wohnung ist mit den Jahren und mittlerweile zwei Kindern einem schönem wohligen Eigenheim gewichen. Ich fand es toll hier, gemütlich und dank Mario immer mit der modernsten Kaffeemaschine ausgestattet, so viel zu meinem Glück. Leider lag es nun nicht mehr so nah an Marcos und meinem Haus, aber unserer Freundschaft tat dies keinen Abbruch. Ich warf meine Stirn in Falten und schaute unsicher zu ihr herüber. Mit meinen Fingerkuppen schob ich mir meine langen Haare vorsichtig aus dem Gesicht: "Was und?" fragte ich also. Sie legte ihren Kopf zur Seite und schüttelte ihn langsam und unzufrieden. Plötzlich kam Jona zu uns angetappst und crashte unsere nicht gerade tiefgründige Unterhaltung zum Glück. Er war mit seinen vier Jahren natürlich schon sehr sicher auf seinen kleinen Beinchen: "Tante Bella du auch wieder hier, endlich?" fragte er mich mit großen Augen. Ich hob ihn grinsend auf meinen Schoß und drückte ihn fest an mich: "Ich war doch vorgestern noch hier." erinnerte ich mein Patenkind grinsend. "Ja" gab er zu: "Aber da ich war schon fast im Bett." grinste er: "Das zählt dann nicht." fügte er leise hinzu. Sein kleiner chaotischer Satzbau war der süßeste überhaupt. Seine Augen glitzerten so wie es Ann-Kathrins taten, wenn die Sonne sie traf, nur ohne dass die Sonne seine Augen überhaupt anstrahlen musste. Nachdem ich ihm einen Schmatzer auf die Wange gegeben hatte, ließ ich ihn wieder auf dem Boden gleiten und er rannte unmittelbar danach in den Garten und tobte. "Das er Marios Kind ist kann man echt nicht leugnen." schmunzelte ich und schaute Ann prüfend an, die leise lachen musste und nickend einen schluck Kaffee herunterschluckte. Ihr Kleiner raste durch den Garten wie von der Tarantel gestochen, nachdem er einen schlaff aussehenden Ball in der nicht mehr ganz so dichten Hecke gefunden hatte. Der Herbst halt. Ann-Kathrin huschte direkt hinterher, um ihm eine Jacke herauszubringen. Irgendwie musste ich ganz plötzlich daran denken, dass mein eigenes Kind auch in seinem Alter gewesen wäre, hätte ich es nicht verloren. Egal ob Junge oder Mädchen, Marco hätte mit Sicherheit liebevoll dafür gesorgt, dass es Fußball mindestens genau so sehr liebte wie Jona es schon in seinem jungen Alter tat. Ich lächelte nun traurig vor mich hin als ich die Zwei beobachtete. Jetzt wusste ich auch was Ann von mir wollte: "Ich bin immer noch nicht schwanger." murmelte ich also leise als sie sich, etwas aus der Puste, wieder gegenüber von mir auf den Stuhl setzte. Sie seufzte: "Vielleicht solltet ihr wirklich mal eine Kinderwunschklinik aufsuchen. Da gibt es so viele tolle Kliniken in der Umgebung die wirklich helfen könnten." schlug sie vorsichtig vor. Ich schüttelte  vehement den Kopf: "Marco weiß ehrlich gesagt nicht, dass ich die Pille abgesetzt habe. Er will kein Kind. Er will erst seine Karriere beenden nächstes Jahr und ich soll meinen Master machen. Auf der Arbeit, da geht es gerade auch drunter und drüber. Diesem Transferfenster sind glaube ich alle bescheuert geworden. Ich bin außerdem viel zu Jung für so eine Klinik" erklärte ich geknickt, wenn ich so an meine Arbeit dachte zu der ich gleich auch noch antanzen musste, wurde nur Speiübel. Das machte mir momentan so wenig Spaß wie noch nie. "Mach dir keinen Stress, aber überlege es dir nochmal. Du bist jung, ja. Marco hingegen ist immerhin ein Stückchen Älter." riet sie mir und streichelte über meinen Arm: „Das heißt aber nicht, dass du es ihm nicht erzählen solltest, dass du die Pille wieder abgesetzt hast. Sonst eskaliert das so wie kurz nach eurer Hochzeit. Du weißt ja, immer mit offenen Karten spielen bei ihm, sonst hat man verratzt." Nur ungern erinnerte ich mich an meinen ersten Ehestreit keine 24 Stunden nach meiner Hochzeit und rümpfte meine Nase. Plötzlich meldete sich das Babyphone, welches Ann-Kathrin vorhin zwischen uns auf dem Tisch platzierte. Genevieve, ihre mittlerweile sechs Monate alte Tochter, meldete sich lautstark zu Wort. Das Zeichen für mich zu gehen. Ein Blick auf die große Küchenuhr verriet mir dann, dass ich schon viel zu spät dran war: "Ich werde dann mal unsere Männer auf dem Sportplatz quälen, wenn ich die Zeit dazu überhaupt finde." grinste ich zähneknirschend. Ann-Kathrin musste lachen: "Das wirst du nicht mehr lange sagen können!" und umarmte mich kurz vor der Haustür zum Abschied. Während ich ins Auto stieg, dachte ich über ihre letzte Aussage nach. Marco, Mats und Mario hatten sich vor ein paar Jahren gemeinsam dazu entschieden zusammen endgültig beim BVB zu bleiben anstatt zu wechseln und dann auch gleichzeitig in "Rente" zu gehen. Wenn alles so klappte wie geplant würden sie die nächste Saison noch mitnehmen und dann aufhören. Ich war mir nur nicht so sicher, ob das der Fall sein wird. Marcos Körper schien sich mit beinahe Mitte dreißig nochmal vollständig regeneriert zu haben und auf hochtouren zu laufen. Er hatte seit seiner schlimmen Verletzung vor unserer Hochzeit keine einzige mehr und Mario war noch um einiges jünger als Marco und Mats es waren. "Mal sehen" seufzte ich als ich auf einen der Parkplätze in Brackel fuhr und mein Auto abschloss. Ich hatte akute Unlust mich jetzt erstmal um die unzähligen Akten zu kümmern die mit Sicherheit wieder auf meinem Schreibtisch lagen. "Reus!" brüllte Nobby plötzlich, als ich durch die Tür trat. Ich schaute mich kurz um, ob nicht noch ein anderer Reus in der Nähe war und zeigte dann perplex auf mich. "Ja du bist gemeint" lachte er kopfschüttelnd. Es war manchmal doch ein wenig kompliziert mit zwei Reus' im Hause oder ich machte es kompliziert. Manchmal lag es auch daran, dass ich mich noch nicht wirklich daran gewöhnt hatte und oftmals vergaß, dass ich nun auch Reus hieß und auch gerne hin und wieder mit meinem Mädchennamen unterschrieb, was meinen Vater besonders amüsierte. Das drei Jahre nach der Hochzeit ist schon wieder so eine Meisterleistung meinerseits. "Was gibt's?" lächelte ich ihn also an und hoffte, dass er irgendetwas hatte, dass mich dazu veranlassen würde die Schreibtischarbeit zu verschieben. "Nichts besonderes. Ich habe dir nur noch ein paar Spielerakten von der Jugend auf deinen Tisch gelegt die du bitte für Transfers vorbereiten könntest." erklärte er mir vorsichtig. Natürlich trat das Gegenteil meiner Hoffnungen ein. Ich lächelte nickend: "Alles klar, muss mich da sowieso sofort dran setzen." seufzte ich und machte mich direkt auf den Weg ins Büro. Nachdem ich von meinem Fenster ein wenig die Mannschaft beim trainieren beobachten konnte, setzte ich mich dann doch wiederwillig an meinen Schreibtisch. Es musste ja so oder so erledigt werden. Mein Blick fiel direkt auf die Bilder die auf meinem Schreibtisch standen. Marcos und mein erstes Foto von der Taufe von Ludwig und daneben unser Hochzeitsfoto in einem wunderschönen alten Bilderrahmen das Marco mir vor kurzem einfach so als Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Ich nahm es von seinem Platz und pustete den Staub herunter bevor ich sanft darüber strich. Er war einfach meine große Liebe. Warum wollte er nur plötzlich kein Kind mehr? Schnell stellte ich das Bild wieder an seinen Platz zurück und schüttelte mich. Er wollte nur den richtigen Zeitpunkt abpassen, beruhigte ich mich selbst. Diese schlechten Gedanken sollten eigentlich gar keinen Platz bei mir finden. Schließlich gab es keinen aufmerksameren Mann als meinen. Der Ablenkung halber machte ich mich also endlich an die Akten.
Es war bereits am dämmern als jemand sanft an meiner Schulter rüttelte. Ich schreckte auf und starrte perplex in das fragende Gesicht meines Ehemannes. Ein lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus: "Was machst du noch hier?" fragte er mich leise. Ich rieb mir verschlafen die Augen und ärgerte mich: "Mist, warum bin ich denn bei zwei verbliebenen Akten eingeschlafen?" murmelte ich, ohne auf Marcos Frage zu antworten. Ich hörte wie er amüsiert schnaubte. Sanft fuhr er erst ein paar Mal durch meine Haare, bevor er hinten an meinem Nacken in meinen Kragen wanderte und die nackte Haut meines Rückens sanft streichelte. Ich konnte nicht anders, als ihn anzugrinsen: "Was machst du hier?" fragte ich ihn dann leise, aber glücklich. "Ich wollte ins Bett gehen und du warst immer noch nicht wieder da. Meinst du ich hatte Lust dich schon wieder hier schlafen zu lassen, anstatt an meiner Seite?" zwinkerte er. Ich atmete erleichtert aus. Ihm fiel also auf, dass ich einen Karren voller Arbeit hatte. "Sag doch einfach, dass es dir zu viel wird momentan." schlug Marco mir vor. Ich schüttelte meinen Kopf: „Du weißt doch - mein Stolz - der ist zu groß dafür." Seufzend knipste er mein Schreibtischlicht an und hob mich so hoch, dass ich auf seinem Schoß landete. Zufrieden kuschelte ich mich an seine Brust und atmete seinen Duft ein, während er sich die letzten zwei Akten selbst vornahm. "Die sind von der Jugend." schmatzte ich nur leise vor mich hin. Marco nickte, seine rechte Hand wich nicht von meinem Rücken. Sein Daumen zog beruhigende kleine Kreise auf meinem Pullover. "Weißt du, den sollte der Verein noch behalten, den habe ich vor kurzem beobachtet, als die vor uns trainiert haben. Der ist wirklich gut. Dem anderen würde ein Wechsel gut tun." beriet er mich. Ich öffnete meine Augen und sah, wie er mich erwartungsvoll anblickte. Ach richtig meine Unterschrift. Ich stand widerwillig von meiner bequemen Haltung auf Marcos Schoß auf und unterschrieb schnell im stehen, nachdem ich die Akte des Talents auf den „noch behalten Stapel" verfrachtete. Marco schreitete derweil langsam zur Tür: "Vergiss nicht, dass du seit vier Jahren Reus heißt." scherzte er. Ich verdrehte meine Augen: "Diesmal habe ich es tatsächlich richtig gemacht." grinste ich und zeigte mit dem Kugelschreiber in seine Richtung. Ich musste direkt an meine Gedanken von heute Nachmittag denken. So schloss sich der Kreis wieder. Er machte eine Bewegung die andeutete, dass ich ihm endlich folgen sollte. Ich raffte meine Sachen zusammen und knipste das Licht wieder aus, bevor ich wie immer meine Burotür abschloss. Als ich mich dann zu ihm umdrehte hielt Marco mir eine Sweatshirtjacke von sich entgegen: "Ich wusste, dass du das Prinzip vom Herbst immer noch nicht verstanden hast." lächelte er fürsorglich. Ich strahlte ihn an nachdem ich sie schnell an zog und gab ihm einen ausgiebigen Kuss: "Danke, dass du dich immer so gut um mich kümmerst." murmelte ich danach gegen seine Lippen. Natürlich hatte ich heute Mittag nicht an eine Jacke gedacht, als ich zu Ann fuhr. Er gab mir noch einen kleinen Kuss obwohl wir uns schon gelöst hatten: "Selbstverständlich" hauchte er dann verliebt. Wir verschränkten unsere Finger miteinander und gingen durch das leere Gebäude in Richtung Auto. Schade, dass wir getrennt fahren mussten, schließlich stand mein Auto auch noch hier und er wird nicht zu Fuß gekommen sein. Hauptsache ich konnte gleich neben ihm einschlafen, anstatt an meinem Schreibtisch zu kleben.

OptimistinWhere stories live. Discover now