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Ich spürte etwas an meiner Wange. Es schnüffelte. Haare kitzelten mich. Unglaubliche Kopfschmerzen ließen mich noch einige Zeit bewegungslos verweilen. Ich konzentrierte mich auf meinen Körper. Völlig verquer muss ich daliegen. Meine Beine lagen in einer anderen Richtung als mein Oberkörper. Etwas legte sich an meine Wange. Warm und ganz weich. Meine Augen flatterten. Mühsam bekam ich sie minimal auf. Alles war dunkel. Und ganz leise. Was war denn passiert? Wo war ich? Etwas raues war an meiner Wange. Es schnurrte. Langsam drehte ich den Kopf. Eine Katze. Sie leckte an meiner Wange. Ich beschloss, meine Finger und Füße zu bewegen. Dann Beine und Arme. Ganz vorsichtig drehte ich meine Gliedmaßen alle in die gleiche Richtung. Ich hatte Schmerzen. Aber es ging noch. Die Katze kletterte auf meinen Schoß, als ich mich aufrichtete. Ich befand mich unweit der Straße. Im Straßengraben, um genau zu sein. Es war dunkel draußen. Welche Straße war das denn? So ein Mist. Ich streichelte die Katze. Sie schnurrte und leckte an meinen Händen. Irgendwie klebten sie. Vermutlich leckte die Katze mir das Blut weg. Benommen saß ich zusammengekrümmt da und überlegte, wo ich sein könnte.  Meine Tasche lag nicht bei mir. Ich hatte nichts in meinen Hosentaschen. Die Kälte der Wiesen kroch mir langsam in die Glieder. Benommen kniete ich und stellte dann Fuß für Fuß auf. Als ich mich aufrichtete, fiel ich direkt wieder hin. Ich hörte Stimmen. Irgendwo waren Stimmen. Ich rief schwach um Hilfe. Doch nichts geschah. Immer lauter kamen Stimmen auf mich zu und ich bemühte mich, lauter zu rufen. Dann war es plötzlich still. Ein Auto fuhr vorbei und dann waren da zwei Schatten, die auf mich zurannten. Nochmal rief ich um Hilfe. Die Katze sprang erschrocken zur Seite. Ich fiel wieder in Ohnmacht. Gegen den Kopfschmerz konnte ich nicht ankommen.

"Hey. Wach werden. Komm schon! Aufwachen, Süße!" Es war warm um mich. Hände hielten mein Gesicht. Diese Stimme. "Chris" flüsterte ich. "Ja, ich bin da. Komm, mach die Augen auf!" "Man Bruder, sie muss zum Arzt. Wer weiß, was da passiert ist. Ich ruf den Krankenwagen." "Nein, ich fahr sie zum Arzt." "Nein" flüsterte ich. Ich wollte nicht zum Arzt. Vielleicht konnte ich jetzt einfach gehen. Vielleicht war ich jetzt erlöst. Ein Gurt zog sich um mich fest. Dann ruckelte es. Das nächste Mal, als ich wach war, lag ich bei einem Arzt auf der Liege. Ich wurde abgetastet. Mein Arm wurde erst ganz kalt und dann warm. "Ihre Frau muss ins Krankenhaus. Man kann nicht ausschließen, dass sie innere Verletzungen hat." Wieder war alles schwarz.

"Guten Morgen, Dornröschen." Ich schlug die Augen auf. Um mich lagen weiche Kissen und Decken. "Bin ich im Himmel?" fragte ich ganz heiser. "Na, nenn es wie du willst." Chris lächelte mich an. Ich erkannte ihn klar und deutlich, wie er am Bettrand saß. "Was..." "Du hast ein paar Tage durchgeschlafen. Jeden Tag war der Arzt hier.  Du hast aber nur blaue Flecken und Schrammen. Und bist auf den Kopf gefallen. Also nicht viel mehr als sonst auch. Hunger?" Er hielt mir ein Croissant hin. Langsam sank ich wieder in die Kissen. "Alles okay?" Besorgt sah er mich an. So hatte er noch nie ausgesehen. Er war blass und total zerknautscht. Er war entstellt. "Was ist mit dir?" fragte ich ihn. "Mit mir? Die Frage ist eher, was mit dir passiert ist, als du einfach so an mir und Saskia vorbeigerannt bist. Wir haben dich gesucht. Ich und Andreas haben dich stundenlang gesucht. Nur auf die Idee mit dem Graben sind wir nicht gekommen." "Saskia also..." flüsterte ich und sah weg. "Moment mal..." setzte Chris sehr leise zischend an. Ich schlug die Bettdecke weg und wollte aufstehen. Ich musste auf die Toilette und dann nach Hause. Aber ich schaffte es nicht mal, aufzustehen. "Wohin des Weges?" fragte er amüsiert. "Ich muss mal" gab ich kleinlaut zu. Wie peinlich. Hochrot ließ ich mir von ihm hochhelfen und stützen. Vor der Toilette drehte er sich um und wartete draußen. Wie peinlich! Ich wusch mir die Hände. Ich sah ebenso zerstört aus wie er. Und dreckig. "Willst du baden?" Er stand hinter mir und sah mich aus dunkel umrandeten Augen an. "Darf ich denn?" "Oh Gott ja, du darfst ab sofort alles. Außer sterben! So viele Sorgen habe ich mir fast noch nie gemacht." Er ließ Wasser ein und einen Badezusatz. Dann begleitete er mich in die Küche und setzte mir eine klare Brühe vor die Nase. Er sah mich streng an. "Wenn du jetzt nicht isst, bring ich dich persönlich um!" In diesem Moment klingelte es. Er ging zur Tür und ich nahm zitternd den Löffel in die Hand. Als ich gerade den ersten Löffel Suppe trinken wollte, kam eine ältere Frau herein. "Das ist meine Mutter. Mama, das ist Dornröschen." Die Frau sah mich mit den gleichen Augen an, wie es ihr Sohn tat. "Oh mein Gott, Liebes. Die Jungs haben mir von deinem Unfall erzählt. So wie sich Chris um dich kümmert, gibt es ja doch noch Hoffnung auf Besserung!" Damit guckte sie ihren Sohn scharf an und sagte ebenso scharf "Für beide!" Ich verschluckte mich an der Suppe. Chris kam sofort zu mir. Seine Mutter grinste und stellte eine Tasche ab. "Wie heißt du eigentlich?" "Miriam." "Ich bin Hedwig." Sie sah mich herzlich an.

VergessenWhere stories live. Discover now