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Es war bereits dunkel, als ich aus dem Auto gezogen wurde. Im Hof sah man schon einen Feuerschein über den Zaun hinweg glimmen. Meine Hand steckte in seiner warmen, großen Hand, als er mich durch eine Tür hindurch zog. Er hatte mich zwar gefragt, ob ich herkommen wollte, aber er hatte meine Antwort nicht abgewartet. Aber es war okay, wenn ich nicht mit ihm alleine war. Seine Blicke waren für mich angsteinflößend. Zögerlich bog ich hinter ihm um die erste Hausecke des schicken Hauses. Es sah aus wie aus einem Katalog einer Baufirma. Auch der Garten war so ordentlich und gepflegt wie aus einem Hochglanzmagazin. Ich staunte nicht schlecht. Meine Eltern hatten auch einen großen Garten. Der war aber etwas wilder bewachsen gewesen. Auch bei Bernd und seiner Frau war es eher ein gewachsener Bauerngarten. Und dabei konnte ich kaum etwas sehen in der Dunkelheit. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Ich hörte viele Stimmen und es war mir völlig unbehaglich bei dem Gedanken, so viele fremde Leute um mich zu haben. Ich gehörte hier nicht her. "Was ist?" Er drehte sich zu mir um und kam den Schritt zu mir zurück. Unsicher sah ich ihn an. Mir fröstelte es. Unmerklich schüttelte ich den Kopf. Eng zog er mich zu sich in die Arme. Der Feuerschein ließ seine Augen golden funkeln. Sein Blick lag wild auf mir. Angst schnürte mir die Kehle zu und ich versteifte mich sofort. Ich wollte hier weg. Um jeden Preis wollte ich hier weg. Von diesem Platz. Von ihm. "Okay, was ist los mit dir? Irgendwas stimmt nicht" stellte er nüchtern fest. Aber er ließ mich leider nicht los. Ich versuchte mich, aus seinen Armen zu winden. Doch ich war zu schwach.

Chris hatte mich zurück geführt. Wir saßen nun auf der Bank. Der Bank bei den Schafen. Es war dunkel und kühl. Doch ich fror aus anderen Gründen. "Also?" Ich schluckte. Meine Kehle war wie zugeschnürt, da ich wusste, dass er mich noch immer so ansehen würde. "Was ist los, Miriam?" Mit den Fingern ringend setzte ich zu einer Antwort an, zu einer Erklärung.  Vor dir gab es nur einen Mann. Nur einen Anderen." Tränen kämpften sich ihren Weg in meine Augen.  "Und weiter? Das ist doch nichts Schlimmes, wenn du dich nicht herumgetrieben hast." Es klang verständnislos. "Warum siehst du mich schon den ganzen Tag so an?" "Das könnte ich dich auch fragen... Dieser Typ. Der war ein Arsch, oder?" "Ja" stieß ich keuchend hervor. Ein Schmerz durchzog meinen Magen, als hätte man mir erneut hineingetreten. Keuchend bog ich mich zusammen. Chris war sofort dicht bei mir und strich mir über den Rücken. "Was genau hat ihn zum Arsch degradiert?" Die Frage war klar und direkt. Sie ließ keine Umschweife zu. "Er war gemein." "Was hat er gemacht? Außer, dass auch er dir dein Selbstvertrauen und dein Selbstwertgefühl genommen zu haben scheint." Ich wiegte mich nun vor und zurück. Ich wollte fliehen, aber meine Beine würden mich keinen Meter weit tragen. "Hat er dich betrogen?" Ich keuchte auf vor Schmerzen. "Hat er dich beschimpft?" Nun wimmerte ich noch dazu. "Hat er dich auch geschlagen?" Unweigerlich hielt ich mir die Wange, wieder das Gefühl von Ohrfeigen auf der Haut. "Hör auf!" stöhnte ich. Ich wollte mich damit nicht auseinander setzen. "Was ist mit dir passiert? Du musst reden. Dann kann ich dir auch helfen." Ich schloss keuchend meine Augen. Die Luft blieb weg, mein Bauch zerriss sich gerade in diesem Moment und mir war schwindlig.  Eine starke Hand griff an meine Schulter. "Miriam?" "Können wir bitte gehen?" "Du sagst mir jetzt verdammt noch mal, was los ist!" Er stand auf und tigerte vor mir her wie eine Raubkatze. "Chris. Hör auf" sagte ich. "Du machst mir Angst" flüsterte ich hinterher. Er hielt an. "Das Tigern. Deine Blicke. Du guckst so, wie er, wenn... wenn..." Ich war aufgestanden, stand vor ihm, packt ihn am Arm und ließ mich gegen ihn sinken. "Ich kann nicht darüber reden. Zwing mich nicht dazu" bat ich ihn.  "Du hast immer noch Geburtstag. Geburtstagsfeuer? Bier?" Es klang gespielt fröhlich. 

Hand in Hand gingen wir zurück. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass dieser Mann in mir auslöste. Er machte mir solche Angst, aber gab mir Sicherheit. Er drohte mir jederzeit, mich zu verletzen, beschützte mich aber.  Und nun zog er mich mit Nachdruck hinter sich her um die Ecken des Hauses, dem Feuerschein entgegen. Als ich den Grillgeruch wahrnahm, die Bierflaschen klirren hörte und ein Gelächter vernahm, trat das Feuer hinter der nächsten Ecke hervor. Andreas und seine Kumpels begrüßten seinen Bruder. Natürlich gab es zuerst Sprüche wegen mir. Unangenehm berührt zupfte ich an dem roten Stoff und zog ihn mehr über meine Beine. Chris grinste und schubste mich in einer Umdrehung halb über ihn auf die Hollywoodschaukel. Ätzend ging die Schaukel schwungvoll in eine Bewegung über. Chris zog meinen Kopf an seine Brust und legte einen Arm um mich. Wie selbstverständlich bekamen wir Stockbrot und Bier gereicht. Ich war wie unsichtbar. Bis auf die anfänglichen Sprüche war ich wirklich unsichtbar. Wie Inventar. Ich stellte die leere Flasche auf den Boden, zog die Beine auf die Sitzfläche und schloss die Augen. Eine warme Hand kraulte meinen Arm während ich immer mehr wegdämmerte.

VergessenWhere stories live. Discover now