Prolog - Der zweite Notruf.

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┊  ┊  ┊            ★ HARRY

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Als mein silberner Porsche in der Kurve einer Landstraße die Leitplatten knallte, war es kitschiger Weise so als würde ich all das in Zeitlupe erleben.

Den Aufprall.

Das nervenzerfetzende Geräusch.

Der Schock, der rasend durch mein Blut schoss.

Es war keine Absicht, dass ich von der Fahrbahn abkam. Ganz und gar nicht. Ich war lediglich nicht wachsam genug und lenkte den Wagen eher auf Autopilot laufend als wirklich bewusst. An sich war das kein Problem, ich hielt trotzdem alle Verkehrsregeln ein. 

Aber dann stand plötzlich dieser Hirsch mitten auf der Fahrbahn.

Jeder Idiot lernte in der Fahrschule, dass man die Karre sicherheitstechnisch draufhalten sollte und nicht ausweichen. Niemand erklärte einem jedoch, dass man sich gegen einen unvorhersehbaren Reflex nicht wappnen konnte.

Die Airbags knallten auf, mein gesamter Körper gehorchte der Wucht des Schwerkraft und dann stand die Welt plötzlich still.

In meinen Ohren rauschte es. Zuerst nahm ich überhaupt nichts wahr, schließlich spürte ich mein Herz schlagen und begriff, dass mein Kopf seitlich auf den Airbag lag. Langsam blinzelte ich und sah auf die neblige Straße. Der Hirsch hatte sich nicht von der Stelle bewegt, sondern sah mich an, so als wüsste er, ich würde gleich etwas zu ihm sagen. 

Als hätte er sogar auf mich gewartet.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit überquerte er langsam die Landstraße und sprang über die Leitplanke auf der anderen Seite.

Automatisch dachte ich an das Three Little Deers. Das Bild von Arlo und mir, wie wir das Eichhörnchen fütterten, erschien vor meinen Augen. Es veränderte sich zaghaft und ich wurde zu jenem Moment zurück katapultiert, als ich Isabell mit Arlo am Pickniktisch sitzen sah und sie ihm die Geheimsprache zeigte.

Rotblondes langes Haar, das dieselbe Farbe hatte, wie der Ring den ich in Paris kaufte. Ein sanftes, unaufdringliches Lächeln, das so ganz anders war als all die aufdringliche Lautstärke in meinem Leben. Bilder, die ich in Paris kaufte, weil sie mir einfach von ihrer Schlichtheit gefielen und mich am Ende nur an einen Menschen erinnerte.

Wärme. Liebe. Zärtlichkeit. Vertrauen. Ein roter Faden.

Ein metallischer Geschmack machte sich auf meiner Zunge breit. Meine Sicht wackelte, verschwamm und dann war ich weg.

Ich verlor jedes Zeitgefühl.

Schmerzen, unendliche Schmerzen.

Sie verschwanden irgendwann, prompt fühlte ich mich nur noch betäubt.


...


Meine Augen flatterten auf. Ich sah an eine Decke, das Licht zischte an mir vorbei. Ich hörte zahlreiche Stimmen.

„Hal...?"

Ich drehte den Kopf nach rechts und blickte in das Gesicht einer älteren Ärztin. Das Licht wurde beständiger und kurz flackerte es wieder, weil mir die Ärztin etwas ins Gesicht hielt.

„Höre... ch?"

Gequält brachte ich hervor: „Ja." Rau, leise und merkwürdig fremd klang ich. Ich sah mich um und begriff nur langsam, dass ich im Krankenhaus war. Notaufnahme.

Liebe heißt das Lied ✓Where stories live. Discover now