Winterfalcon

870 37 3
                                    

„Ich will nicht mehr warten." Mit diesen Worten ließ Sam die Tür leise hinter sich ins Schloss fallen, und widerstand so dem Drang, sie zu mit einem lauten Knall zufallen zu lassen. Er war zu schnell verschwunden, als das er Buckys leises „Ich weiß." nicht mehr hören konnte. Seine Füße trugen ihn die Treppenstufen hinab, brachten ihn hinauf auf die Straße. Menschen kamen ihm entgegen, Autos und Busse fuhren neben ihm, Fahrradfahrer kreuzten seinen Weg. Aber er war wie taub, kein Geräusch drang an seine Ohren. Er achtete nicht auf den Weg, ließ sich von seinen Beine wie ferngesteuert durch die Straßen der Stadt treiben. Das einzige, was in dem Moment zählte, waren seine Gedanken. Sam war klar, dass er zurückkommen würde. Das wusste er, noch bevor er die Tür richtig geschlossen hatte. Er kehrte immer zurück. Er brachte es nicht übers Herz, Bucky allein zu lassen. Das ließ sein Gewissen nicht zu – und auch sein Herz verhinderte das. Er fühlte sich einsam, nicht vollkommen ohne seinen Freund. Die Beziehung zwischen ihm und Bucky war kompliziert – und er weigerte sich, das Wort distanziert dafür zu verwenden. Bucky brauchte Zeit, sehr viel Zeit, und eigentlich war das Sam von Anfang an klar gewesen. Und er hatte gewartet, länger, als er es jemals von sich gedacht hätte. Er war über seine Grenzen gegangen, immer und immer wieder, aber irgendwann war auch er einmal ermüdet. Er hatte verdammt nochmal gewusst worauf er sich einlassen würde, und es erzürnte ihn, dass ihm die Sache nun so schwer im Magen lag. Das einzige was Sam wollte, was ein halbwegs normales und glückliches Leben – mit Bucky. Aber wenn man betrachtete, wer sie waren, dann war schon irgendwie klar, dass ein „normales Leben" so gut wie nicht möglich war. Es war ein Wunschdenken, ein Traum, der sich nie erfülle würde. Sam hatte den Kopf beim Gehen gesenkt und die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben. Sein Blick war fest auf den Boden geheftet, und er beobachtete seine Schuhe, die mit jedem weiteren Schritt in sein Blickfeld traten. Er war so abgelenkt und in Gedanken versunken, dass er nicht darauf achtete, wo er lang lief. Er überquerte Kreuzungen und Ampeln, lief durch dichte Fußgängermengen und über Fahrradwege – ohne es wirklich zu bemerken und wahrzunehmen. Glücklicherweise passierte ihm nichts. Irgendwann begann die Sonne über der Stadt zu sinken und kündigte somit das langsame Erwachen des Nachtlebens an. Bei Einbruch der Dämmerung sah Sam zum ersten Mal auf, und musste feststellen, dass er die Orientierung vollkommen verloren hatte. Frustriert drehte er sich einmal um sich selbst und betrachtete die Hochhäuser, die ihn umgaben und sich als bedrohliche Silhouetten in den Himmel erhoben. Alles sah gleich aus und er wusste nicht einmal mehr, aus welcher Richtung er gekommen war. Auch erblickte er niemanden, den er nach dem Weg hätte fragen können. Dieser Teil der Stadt schien menschenleer zu sein, als würde niemand hier wohnen. Dass das nicht stimmte wurde ihm klar, als in manchen Fenstern der Hochhäuser die Lichter angingen. Er war also doch nicht allein hier draußen. Sollte er einfach mal irgendwo klingeln? Sam verwarf die Idee, als er eine Telefonzelle entdeckte. Er hatte sein Handy in der Wohnung liegen lassen, aber eine Münze fand sich in seiner Tasche. Glücklich über diesen Fund quetschte Sam sich in die kleine Telefonzelle und überlegte, wen er anrufen sollte. Für einen Moment dachte er an Bucky, aber der hatte weder einen fahrbaren Untersatz noch einen Führerschein. Auch wenn der Gedanke, ihn bei sich zu haben, ein gutes Gefühl in ihm aufsteigen ließ, überlegte er, dass er vielleicht klüger wäre, ihn nicht zu kontaktieren. Also rief er sich ein Taxi, nachdem er ein Schild mit dem Namen der Straße, in der er sich befand, entdeckt hatte. Auf dem Weg zurück starrte Sam teilnahmslos aus dem Fenster. Er würde Zuhause erst Geld holen müssen, damit er den Taxifahrer bezahlen konnte. Er fuhr nicht gern irgendwo mit ohne etwas zum Bezahlen dabei zu haben, aber er hatte einfach nicht daran gedacht, überhaupt irgendetwas außer seiner Jacke und seinen Schlüsseln mitzunehmen. Straßenlaternen und Gebäude zogen vor dem Autofenster vorbei, und langsam wurde ihm die Gegend vertrauter. Als sie schließlich vor dem Haus ankamen, das Sam und Bucky ihr Heim nannten, bat Sam den Taxifahrer sich für einen Moment zu gedulden, damit er das Geld holen konnte. Er eilte die Treppen nach oben und schloss die Tür auf. Seit er und Bucky diese „Beziehung" führten, waren sie in einen eher abgelegenen Teil von New York gezogen, weg von den anderen Avengers. Steve hatte sich dazu entschieden, im Tower zu bleiben. Er hatte gewusst, dass seine beiden besten Freunde untereinander gut auf sich aufpassen würden. Sam huschte in den Flur, schnappte sich sein Portemonnaie, welches auf einem Schrank lag und dann eilte er wieder nach unten, um sein Taxi zu bezahlen. Als er dann wieder oben ankam war er leicht außer Atem. Er machte kein Licht, als er eintrat und die Tür leise hinter sich schloss. Seine Jacke hängte er neben die anderen an ein paar Haken an die Wand. Dann stand er nachdenklich in dem dunklen Flur. Er wusste nicht, was er jetzt machen sollte. „Wo warst du?" Die leise Stimme seines Freundes ließ Sam erschrocken zusammenzucken. Buckys Art und Weise, sich so lautlos wie ein Schatten zu bewegen, hatte ihn schon immer fasziniert, aber es war auch verdammt gruselig – besonders in Situationen wie diesen. Sam erkannte, dass sein Freund im Türrahmen zur Küche stand. „Ich war unterwegs.", erklärte er. „Hab die Orientierung verloren und musste mir ein Taxi rufen." Bucky tat seine Antwort mit einem leichten Kopfnicken ab. Die Stille, die danach zwischen die beiden trat, war angespannt. Die Luft schien zu prickeln, als würde Elektrizität durch sie hindurch geleitet werden. Sam fühlte sich mehr als unwohl, und er wusste immer noch nicht, was genau er jetzt tun sollte. Er schwankte zwischen sich – stumm – in – sei – Zimmer – zurückziehen und Bucky in die Arme zu schließen. Nach weiteren Minuten des unangenehmen Schweigens nahm Bucky ihm schließlich die Entscheidung ab, indem er sich einen Schritt aus dem Schatten des Türrahmens hinaus in Sams Richtung bewegte. Das rüttelte diesen irgendwie wach, riss seinen Körper aus der unbeweglichen Starre. Er war innerhalb von Sekunden bei Bucky, und zog ihn in eine innige Umarmung. Die wenigen Stunden, die Sam ohne ihn gewesen war, hatten in ihm bereits eine gewisse Empfindung der Leere hervorgerufen, welches sich jedoch in dem Moment verflüchtigte, als er die Arme seines Freundes um sich spürte. Sam drückte Bucky fest an sich, genoss das Gefühl ihrer Körper aneinander. „Es tut mir leid." Sein Freund sprach immer noch leise, aber er verstand seine Worte klar und deutlich. „Ich weiß. Aber das muss es nicht. Ich kann warten.", antwortete Sam genauso leise. Ihm war klar, dass es nicht wirklich Buckys Schuld war, dass er immer noch nicht genug Vertrauen zu ihm entwickelt hatte, das vielleicht auch gar nicht konnte. Aber er würde warten. Auch wenn es schmerzte, an seinen Kräften zehrte und er noch ums eine oder andere Mal einfach so für ein paar Stunden nach draußen, in die Stadt, verschwinden musste, um sich über seine Gedanken klar zu werden. Sam würde solange warten, bis sein Freund bereit war. Das konnte er mittlerweile recht gut. 

~ Was habe ich hier schon wieder fabriziert? xD

OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt