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Kapitel 5

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Das Wohnzimmer der alten Villa war seit Wochen nicht mehr bis zum Bersten gefüllt gewesen, doch heute Abend hatten sich alle Wölfe des Rudels versammelt, um zu hören, was ihr Alpha zu sagen hatte. Das Feuer im Kamin brannte und der Tisch war für eines der üppigen Gelage des Rudels gedeckt, aber deswegen war niemand hier. Die Tierangriffe waren bisher mit bemerkenswerter Gleichgültigkeit aufgenommen worden, da sich in diese Teile des Waldes immer wieder Einzelläufer verirrten, die nach einer Weile wieder weiterzogen und keinen besonderen Ärger machten. Aber Neals Aufforderung, sich gemeinsam einzufinden, hatte dazu geführt, dass sich die Wahrnehmung der Angriffe veränderte. Die Stimmung war dementsprechend angespannt, als sich alle um den massiven Holztisch niederließen, der die linke Seite des weitläufigen Raums dominierte.

Neal erhob sich mit einem leisen Räuspern, als die Begrüßungen und Gespräche unter den Mitgliedern verebbt waren. Der großgewachsene 21-Jährige trug ein einfärbiges T-Shirt und mitgenommene Jeans – auf der Straße hätte er wie jeder beliebige Mensch gewirkt. Vielleicht ein Student oder ein junger Angestellter; aber bestimmt kein Werwolf, geschweige denn ein Alpha. Nur seine übliche Souveränität im Umgang mit dem Rudel bewies, wer er war.

Aber während ich ihn beobachtete, schlich sich das leise Gefühl ein, dass etwas anders war. Das übliche ruhige Selbstbewusstsein, das er in solchen Momenten zur Schau stellte, war nicht dasselbe. Mein intensiver Blick musste ihm aufgefallen sein, doch er vermied es bewusst, mich anzusehen, und ich spürte wie ich unruhig wurde -- auch wenn ich gar nicht wusste weshalb.

„Die meisten von euch waren letzte Nacht dabei, als wir das gerissene Tier gefunden haben."

Zustimmendes Gemurmel erhob sich, Blicke wurden gewechselt. Niemand hatte eine Fährte ausmachen können, weshalb man sich fragte, wie es weitergehen sollte.

„Weil der Einzelläufer seinen Geruch verbirgt, war es leider unmöglich seine Fährte zu verfolgen", fuhr Neal mit unlesbarem Gesichtsausdruck fort. „Wir sind uns wohl alle einig, dass es absichtlich geschehen muss. Aus einem ungewissen Grund möchte der Wolf unerkannt bleiben."

„Das klingt nicht allzu entgegenkommend", warf René ein, die sich in einem geblümten Maxikleid und türkisen Ohrringen verkehrt herum auf ihren Stuhl gesetzt hatte. Ihr Gefährte Ludwig nickte zustimmend. Seine loses Hemd war zerknittert und ich meinte etwas Farbe an seinem Unterarm ausmachen zu können; vermutlich war der Mittfünfziger wieder spät dran gewesen und direkt aus dem Atelier gekommen.

„Wir sollten ihn ausfindig machen und bitten, sich aus unserem Revier herauszuhalten – freundlichst."

Lucians Einwurf wurde von einigen anderen kräftig unterstützt und eine Diskussion darüber, wie man das anstellen könnte, entstand, bis Neal eine Hand hob und das gesamte Pack wie auf Kommando verstummte.

Er sah in die Runde, entschlossener als zuvor. „Ich bin eurer Meinung. Wir können einen fremden Einzelgänger nicht auf unserem Gebiet tolerieren, wenn wir nicht wissen, um wen es sich handelt, oder was er hier will. Das Problem ist, dass wir keine Fährte haben. Daher wäre es zu diesem Zeitpunkt nicht hilfreich, wenn wir alles stehen und liegen lassen, um ein Gespenst zu jagen. Valentin und ich werden in den nächsten Tagen den Wald durchkämmen und sehen, ob wir eine unbekannte Fährte aufnehmen können. Bis dahin möchte ich, dass ihr alle auf Abruf bereit seid. Wir wissen immerhin nicht, um wie viele Wölfe es sich handelt."

„Denkst du, es ist ein fremdes Rudel?", fragte Tom, dessen sehniger Arm auf Liz Stuhllehne lag. Die rothaarige Frau Mitte zwanzig hatte sich nah an ihren Mann gerückt und sah mindestens so neugierig zu ihrem Alpha auf, wie er es tat. „Vielleicht wäre es sicherer, wenn du und Valentin nicht allein sucht. Wir könnten alle zusammentrommeln, die sich ihre Zeit frei einteilen können."

„Aber hätten wir sie nicht gerochen, wenn es sich um mehr als einen Angreifer handelt? Es ist nicht einfach, ein ganzes Pack zu verstecken", schaltete sich René zweifelnd ein.

Neal hob eine Hand, um sich durch das zerzauste braune Haar zu streichen. Eine hilflose Geste, wie ich mittlerweile wusste.
„Gut möglich, dass es nur ein einziger Wolf ist. Aber wir sollten auf alles vorbereitet sein. Ich möchte kein Risiko eingehen, daher bitte ich euch darum, in der Nähe zu bleiben. Zumindest solange, bis Valentin und ich mehr Informationen haben."

Mit dieser Aussage zufrieden, lehnte Tom sich nickend zurück. Auch die anderen schienen mit dem Ausgang der Diskussion einverstanden zu sein. Am anderen Ende des Tisches sah ich Sofias Mutter hektisch auf ihr Smartphone eintippen, vermutlich um ein Meeting zu verschieben oder einen Flug abzusagen, damit sie in Bereitschaft sein konnte.

„Das wäre alles für heute", verkündete der Alpha lächelnd und blickte in Richtung der Küche, wo Will mit einem dampfenden Topf erschien, im Schlepptau Keno und Kiran, die Brotkörbe trugen. „Und ich denke, das bedeutet, es ist Zeit zum Essen."

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„Neal?"

Um uns herum wurde gegessen, aber weder der Alpha noch ich rührten etwas von dem wundervoll riechenden Eintopf an, der in der Mitte der Tischplatte platziert worden war. Neal hatte seinen Platz am Kopfende nicht verlassen, aber nahm genauso wenig Notiz von seinem vollen Teller wie von meinen Versuchen, ihn zu erreichen.

„Neal", wiederholte ich lauter, die Stirn gerunzelt. Hatte er mich eben nicht gehört oder hatte er absichtlich nicht reagiert? Mein Platz an seiner Seite erlaubte es mir, ihn aus seinen Gedanken zu holen, indem ich eine Hand auf seinen Unterarm legte.

„Ist alles in Ordnung? Du hast irgendwie ... besorgt gewirkt eben."

Der 21-Jährige richtete seinen Blick auf mich und für einen Moment glaubte ich, Angst in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Doch nachdem ich einmal geblinzelt hatte, blickte mir nur noch das gewohnte Eisblau aus ihnen zurück.

Er verzog die Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln und ich atmete beruhigt aus. Meine Nerven waren überspannt; ich sah Gespenster, wo keine waren, und interpretierte zu viel in Neals Verhalten hinein. Er hatte eine anstrengende Nacht gehabt; vermutlich war er nur erschöpft.

„Natürlich. Ich frage mich nur, ob wir den Einzelläufer finden werden."

„Wenn ihr ihn nicht findet, ist das auch in Ordnung, oder?" Ich versuchte mich an einem aufmunternden Lächeln. „Das bedeutet dann wohl, dass er oder sie weitergezogen ist und keine weiteren Probleme auf unserem Gebiet verursachen wird."

„Noch gibt es gar keine echten Probleme", sagte Neal, den Optimismus zeigend, der mir so fremd war, und ich fühlte mein Unwohlsein schwinden. Trotzdem ließ mich das Gefühl nicht los, dass er sich mehr Sorgen über den Einzelgänger machte, als er zugeben wollte.

„Und das wird so bleiben", erwiderte ich, in einem Versuch den Alpha selbst in seinem unbeirrbaren Vertrauen in das Rudel und die Sterne zu imitieren. „Außer ich vergesse auf mein Date heute Abend."

Damit hatte ich Neals Aufmerksamkeit gefangen. Sich nicht irgendwelcher Pläne zwischen uns beiden bewusst, schnellte eine seiner Augenbrauen nach oben.

„Habe ich ...?"

Grinsend schüttelte ich den Kopf. „Nein, du hast nichts vergessen. Ich spreche von Sally und unseren Umzugsplänen. Es sei denn, du hast es dir anders überlegt."

Neal ging nicht auf meinen scherzhaften Tonfall ein, sondern sah mich überraschend ernst an, als er antwortete.

„Nichts liegt mir fremder." Er warf einen schnellen Blick in die Runde, als wollte er sich vergewissern, dass die anderen mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt waren, bevor er die Stimme senkte und weitersprach. "Ich brauche dich hier, in meiner Nähe. Besonders jetzt."

"Neal, weißt du wer dieser Einzelläufer ist?", platzte ich heraus, nicht länger in der Lage meine Beunruhigung über sein Verhalten für mich zu behalten.

"Wir haben doch eben darüber gesprochen. Niemand weiß es." Sein Gesichtsausdruck entspannte sich etwas, als er weitersprach. „Aber beeil dich lieber zu deinem Date zu kommen, sonst trägt Sally mir deine Verspätung noch wochenlang nach."

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Saving Cara - Band IIWhere stories live. Discover now