Wattpad Original
There are 8 more free parts

Kapitel 1

4.9K 79 30
                                    

Würdest du einen Menschen töten, um deine Chance auf ein glückliches Leben zu verteidigen?

Wie viele hatten sich wohl diese Frage bereits gestellt, sich den Kopf darüber zerbrochen und waren doch zu keiner befriedigenden Antwort gekommen. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie weit ich gehen würde für mein eigenes Glück. Wer dachte schon allen Ernstes, dass er sich jemals in dieser Position befinden würde?

Nach und nach waren die Erinnerungen an die erste Verwandlung zu mir zurückgekehrt. Bruchstückhaft wie ein schreckliches Puzzle, das kontinuierlich damit fortfuhr, sich gegen meinen Willen zusammenzusetzen. Dunkles Fell, weißes Fleisch. Das Blut, das heiß meine Kehle hinabgeronnen war. Und die Laute, die unmenschlichen Geräusche, die mein sterbender Vater von sich gegeben hatte.

„Cara?"

Erschrocken fuhr ich zusammen, als ich von Neals Stimme aus meinen Gedanken gerissen wurde. Der großgewachsene 22-Jährige stand an den Türrahmen seines Zimmers gelehnt da und musterte mich besorgt. Um eine entspannte Haltung bemüht, lehnte ich mich an das hölzerne Kopfteil des Doppelbetts, das missbilligend knarzte. Von draußen drang Licht durch die sorglos zugezogenen Vorhänge, dessen orange Färbung einen baldigen Sonnenuntergang ankündigte.

„Ist alles in Ordnung, Neal?"

„Das wollte ich gerade dich fragen", gab er mit gerunzelter Stirn zurück. Seine eisblauen Augen schienen mich geradezu röntgen zu wollen, daher wandte ich den Blick ab. Er musste nicht alles wissen. „Es wird langsam zur Gewohnheit, dass du tagsüber schläfst. Hattest du wieder Alpträume?"

„Nein", sagte ich schnell. Etwas zu schnell. Seine Augen wanderten von meinen zusammengepressten Lippen zu den Augenringen und hinab zu meinen Fingern, die sich um das Ende der weinroten Bettdecke verkrampft hatten. Es war unmöglich zu verstecken, dass ich in letzter Zeit keinen Schlaf fand. „Aber ich konnte trotzdem nicht durchschlafen. Ich hätte den dritten Kaffee gestern wohl nicht mehr trinken sollen."

Neal, der meine innere Unruhe vermutlich aus zehn Metern und gegen den Wind riechen konnte, hob eine Augenbraue.

„Wirklich. Was muss ich tun, um dich zu überzeugen, dass es mir gutgeht?"

„Solange es dir tatsächlich gutgeht, musst du gar nichts tun", behauptete er und stieß sich von der Wand ab, um an den Rand des Doppelbetts zu kommen, das gegenüber einer ledernen Sitzgruppe und dem erkalteten Kamin stand. Die dunkle Täfelung des Raums machte ihn gemütlich, doch heute schien sie die Dunkelheit zu verstärken, die in jeder Ecke des Zimmers lauerte.

„Aber du weißt, dass du mir alles sagen kannst", fügte er hinzu, sobald er am Rand der Matratze Platz genommen hatte. Mit einer zarten Berührung seiner Hand streifte er den Träger meines Nachtkleids wieder über die Schulter, von der er gerutscht war, und ich lächelte erleichtert. Selbst die alte Villa, die mir zu einem herzlichen und warmen zweiten Zuhause geworden war, konnte im Dunkeln wie ein fremder Ort voller Gefahren wirken; doch Neals Anwesenheit brachte das Licht zurück. Wenn er in meiner Nähe war, schien es nichts zu geben, das mir Angst machen konnte.

„Wieso kann ich dich nicht einfach überallhin mitnehmen?", murmelte ich, ohne groß darüber nachzudenken und Neal lachte leise auf.

„Manchmal wüsste ich gerne, was in deinem Kopf vorgeht."

„Du brauchst nur zu fragen."

Mit einem kleinen Lächeln streckte ich meine Hand aus, aber er lehnte sich daran vorbei zu mir, für einen langen Kuss. Obwohl es weder das erste noch das letzte Mal war, widerstand ich nur mit Mühe dem Drang, die Arme um seinen Hals zu schlingen und ihn zu mir aufs Bett zu ziehen. Aber dafür war ich nicht gekommen.

Saving Cara - Band IIWhere stories live. Discover now