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Kapitel 6

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Tatsächlich hätte ich keine Sekunde länger beim Rudel verweilen dürfen; als ich meinen Weg durch die Dunkelheit und zur Hütte am See gefunden hatte, wartete Sally bereits mit säuerlichem Gesichtsausdruck in der Tür auf mich.

„Du wolltest vor einer halben Stunde hier sein", rief sie mir entgegen, mit den langen Fingernägel einen ungeduldigen Rhythmus auf ihrem Handy trommelnd.

Ich zog eine Grimasse. „Es gab eine Versammlung drüben. Ich musste schon noch bleiben, bis alles besprochen war."

Sally rollte bloß mit den Augen und gab den Weg ins Innere frei. Ihr Blick blieb dabei an der luftigen Bluse, die in einen knielangen Rock gesteckt war, und kaum Schutz gegen die winterlichen Temperaturen bot, hängen. Der wollene Cardigan darüber hatte mehr Löcher als Stoff und hätte jemand anderer als Sally auf mich gewartet, wäre ich vorsichtiger bei der Auswahl meiner Kleidung gewesen.

„Das sieht nicht richtig aus", murmelte sie, während ich ihr ins Innere der Holzhütte folgte. Nichts hatte sich verändert; die Unordnung schien sich auch ohne meine Zuhilfe in Grenzen zu halten. „Und dir ist wirklich nicht kalt, wenn du so herumläufst?"

„Ich spüre den Wind", wich ich ihr aus und erwiderte ihren Blick aus zusammengekniffenen Augen verständnisvoll. „Also, wo fangen wir an?"

Wir seufzten beinahe synchron, als wir uns dem Wohnraum vor uns zuwandten, den Blick suchend über die Habseligkeiten wandern lassend, die wir in den nächsten Stunden auseinandersortieren und in den vorbereiteten Umzugskartons verstauen würden müssen. Dann fasste ich mir ein Herz und ging auf das schmale DVD-Regal zu. Wir trennten eine halbe Stunde lang unsere Filme voneinander, wobei einige lebhafte Diskussionen darüber entbrannten, wer welche gekauft hatte, und ich ein gutes Dutzend an Sally verlor. Ein paar DVDs mehr oder weniger waren einen Kampf mit der 16-Jährigen nämlich nicht wert – selbst nun, da ich in der Lage war mich in einen Wolf zu verwandeln, war ich mir ziemlich sicher, dass ich gegen diese akribisch gefeilten Fingernägel verlieren würde.

„Den haben wir an unserem ersten Abend in der Hütte gesehen", erinnerte sich Sally mit einem leichten Lächeln im Gesicht, als sie einen abgegriffenen Horrorfilm aufhob.

Ich schüttelte mich bei der Erinnerung daran. „Du warst nach einer halben Stunde nur noch am Handy und nach einer Stunde bist du eingeschlafen gewesen."

„Während du die nächsten drei Tage nicht mehr allein ins Bad gehen konntest", fügte sie lachend hinzu.

Ihre dunkelbraunen Augen blitzten amüsiert, während ich nach einer Ausrede suchte, die mir nicht einfallen wollte. Schließlich gab ich es auf und sie schüttelte lächelnd den Kopf, wobei ihr blassviolett gefärbte Strähnen ums Gesicht flogen. Wie immer waren gut fünf Zentimeter an dunklem Ansatz zu sehen, aber ihr Haar wirkte gesünder als zuvor. Selbst ihre Augenringe waren geschrumpft und sie hatte ein wenig zugenommen, seitdem Mira genauer auf ihren Ausgang achtete. Sallys Wangenknochen hatten aufgehört aus ihrem Gesicht zu stechen; ein Umstand, der mich mit Erleichterung füllte. Offensichtlich bildeten Kaffee und Vodka nicht mehr ihre Hauptnahrungsquellen.

„Schon möglich."

Schon möglich", äffte sie mich nach. „Weiß Neal eigentlich, was für ein Weichei du bist?"

Unwillkürlich musste ich an Black denken, an die Tage bei seinem Rudel. Lieber ein Weichei, als jemand wie sie, schoss es mir durch den Kopf, bevor ich die düsteren Gedanken wieder vertreiben konnte. Heute Abend hatte die ganze Werwolf-Sache nichts bei uns zu suchen; ich hatte Sally einen letzten menschlichen Abend in der Hütte versprochen, und den würde sie bekommen.

Wenn meine Pflegeschwester bemerkt hatte, dass ich etwas an Farbe verloren hatte, dann schwieg sie darüber. In einvernehmlicher Stille packten wir den Rest der DVDs zusammen und wechselten in mein Schlafzimmer, das bei genauerer Betrachtung gar nicht viel Arbeit benötigen würde. Obwohl ich mich in dem hellen, aber engen Raum heimischer gefühlt hatte als sonst irgendwo, beschränkten sich meine Besitztümer auf das Notwendigste. Das weiß getünchte Bücherregal trug einige zerfledderte Bücher, die ich jahrelang von einem Ort zum anderen geschleppt hatte, und die hölzerne Kommode unter dem Fenster, das auf den Wald blickte, beinhaltete meine gesamte Kleidung. Einige abgetragene Cardigans und sich auflösende Pullover teilten sich die vier Schubladen mit dem Nötigsten an Jeans, Röcken, Tops und Blusen. Der restliche Schnickschnack war auf einige kleinere Laden und Taschen verteilt, die an der Innenseite der Tür hingen, doch damit war mein Besitz bereits gezählt. Ein glücklicher Umstand in unserer jetzigen Situation, da es nicht lange dauern würde alles einzusammeln.

Saving Cara - Band IIWhere stories live. Discover now