Kapitel 47

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"Wo ist Mutter?", fragte Xander schließlich, während er seinem Vater einen Becher Wein reichte.

Dieser schloss bei den ersten Schlucken genießerisch die Augen, bevor er das Glas absetzte und das Gesicht verzog.

"Sie ist tot. Kurz nach der Verbannung hat sie ein schlimmes Fieber gepackt und nicht mehr losgelassen. Es ging sehr schnell." Ihm schien der fassungslose Blick seines Sohnes ein wenig unangenehm zu werden, denn er zuckte entschuldigend mit den Schultern und fügte hinzu: "Ich habe viele Jahre um sie getrauert - aber es ist jetzt nun schon lange her, und ich habe dich zurück, das ist für mich ein Grund, nach vorne zu sehen, mein Sohn. Aber wo bleibt Raven? Sollte er nicht bald zurückkommen? Es ist schon später Abend!"

Xander schluckte sein Bestürzen hinunter und warf Aamon einen vorsichtigen Blick zu. Dieser verstand und nickte kaum merklich, bevor er das Wort ergriff: "Wir wissen nicht, wo Raven ist. Er hat uns schon vor Jahren verlassen, weil er mit unseren Vorgehensweisen nicht mehr zurechtgekommen ist."

König Rhaul kniff ungläubig die Augen zusammen. "Was? Mein Sohn soll ein Deserteur sein? Das kann ich mir nicht vorstellen!"

Doch Xander nickte zustimmend, bevor er den Blick von seinem eigenen Glas hob. "Es stimmt. Er sollte im Schloss der Fae als Spion leben und... hat seine Ansichten geändert." Die Worte kosteten ihn viel Mühe. Nur um Haaresbreite hinderte er sich daran, von Ravens Gefühlen für die verbannte Mondprinzessin zu erzählen. Er fürchtete, dass ihr Vater das nicht hätte verzeihen können.

Langsam erhob sich der Dämonenkönig, Trauer und Verwirrung lagen auf seinen markanten Gesichtszügen. "Ruht euch ein wenig aus, bei Sonnenaufgang brechen wir auf, um zu sühnen, was uns angetan wurde. Wir haben einiges, was wir verarbeiten müssen und brauchen morgen unsere ganze Konzentration."

Er wollte das Zelt verlassen, dann hielt er jedoch noch einmal inne und betrachtete seinen ältesten Sohn mit einem undefinierbaren Blick. "Xander, ich möchte, dass du noch ein paar Tage hier bleibst. Du wirst nicht an der Front kämpfen, sondern zu uns stoßen, wenn das Schlimmste überstanden ist. Ein paar Männer werden ebenfalls hier bleiben, zum Schutz unserer Bevölkerung."

"Vater!", empörte sich der Prinz und sprang von seinem Stuhl auf, die Schwingen aufgebracht gespreizt. Sie berührten die Zeltwände zu beiden Seiten und ließen dessen Konstruktion gefährlich schwanken. Das Wort kam ihm noch etwas ungewohnt über die Lippen.

Trotz des Ausbruchs blieb Rhaul völlig ruhig, während Aamon Xander warnend anfunkelte. Reiß dich zusammen!, mahnte sein Blick. Xander ignorierte ihn und hob das Kinn, um seinem Vater auf Augenhöhe zu begegnen.

"Ich kann nicht tatenlos herumsitzen und warten, während ihr beendet, wofür ich mein ganzes Leben gekämpft habe! Was wäre ich denn für ein Thronfolger, wenn ich nicht für mein Volk kämpfe?" Seine Stimme zitterte und offenbarte sein Gefühlschaos.

Ein Teil von ihm sträubte sich gegen die Gewissheit, dass die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden würden und er nur stumm daneben stand und zusah - dieser Teil redete ihm ein, dass auch Raven die richtige Wahl getroffen hatte und er es ihm gleich tun könnte.

Andererseits fühlte er das starke Bedürfnis seinen Vater zu unterstützen. Er konnte die Wut und den Wunsch nach Vergeltung verstehen, der seine Leute nun in den Kampf zog.

Aber was war der richtige Weg?

Xander fuhr sich verzweifelt durch die Haare und sah seinen Vater an, suchte in dessen Gesicht nach einer Antwort, die seine inneren Stimmen zum Schweigen bringen würde.

Der König jedoch schüttelte entschlossen den Kopf und straffte die Schultern. "Du wirst nicht mitgehen - das ist ein Befehl! Ich werde nicht noch einen Sohn verlieren, während er versucht, mich zu rächen."

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