Kapitel 5

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Ungeduldig lief Raven in dem kleinen, dunklen Raum hin und her, in dem die Wachen ihn zurückgelassen hatten, nachdem seine Wunde von einer rundlichen Frau mit bereits ergrauten Haaren versorgt worden war. Durch die Kräuterpaste, die sie auf seinen Oberschenkel geschmiert hatte, fühlte sich sein gesamtes Bein taub und unangenehm kribbelig an. Wenigstens war der Schmerz ein wenig erträglicher geworden.

Irgendwann wurde er schläfrig und ließ sich mit einem entnervten Seufzer an der Wand hinuntergleiten, da sich in dem Zimmer kein einziges Möbelstück befand. Wo hatte er sich hier nur reingeritten?

Durch das Fenster zu seiner Linken strahlte lediglich ein wenig Mondlicht, doch das machte Raven keine Probleme. Dämonen besaßen wie die Fae auch magische Fähigkeiten, wobei jeder einzelne mit einer besonderen Magie geboren wurde. Während Xander Feuer kontrollieren konnte, besaß Raven die Fähigkeit, Schatten erschaffen oder sie nach seinem Willen lenken zu können. Dunkelheit war nie sein Feind gewesen, sondern vielmehr ein schützender Mantel, der ihm Sicherheit spendete.

Stöhnend legte er den Hinterkopf an die kühle Wand und schloss die Augen. Seine Schwingen schmerzten, sie wurden durch seine Position unangenehm zwischen seinem Rücken und der Wand eingeklemmt. Vorsichtig versuchte er, sie ein wenig zu seinen Seiten auszustrecken, ohne sich selbst Federn auszureißen.

Was Aamon und sein Bruder wohl gerade taten? Xander machte sich bestimmt Sorgen, er hatte mehrmals darauf beharrt, dass der Plan viel zu riskant sei. Auch Raven war sich nicht ganz sicher, ob er hier mit heiler Haut rauskommen würde, schließlich war er eigentlich nicht der Typ für Lügen, Hinterhalte und Fallen. Es waren alles Dinge, die er verabscheute und dennoch war er hier und dabei, sein eigenes Netz aus Lügen und Fallen zu spinnen. Wäre die Mondprinzessin ihnen draußen nicht über den Weg gelaufen, säße er nicht hier, sondern wäre bereits wieder zuhause mit Xander und seinem Onkel.

...

Er musste eingeschlafen sein, denn ein leises Räuspern ließ ihn verwirrt blinzeln und den Kopf leicht aus den Armbeugen heben, die er über seine angewinkelten Knie gelegt hatte. Seine Augen gewöhnten sich schnell an das spärliche Licht und er erkannte die zierliche Gestalt, die in der halb geöffneten Tür innegehalten hatte. Er wusste sofort, dass es Prinzessin Nimue war, der Geruch nach Lilien umwehte ihn bereits. Dennoch hielt er still und tat so, als würde er noch schlafen. Sein Blick folgte ihren Bewegungen, als sie in den Raum schlüpfte und vorsichtig auf ihn zu tapste, ihre Schritte waren auf dem Steinboden kaum zu hören.

"Hallo? Bist du wach?" Er musste über ihre Frage schmunzeln. Wenn er nicht wach wäre, würde er bestimmt nicht antworten. Kurzentschlossen hob er dann doch deutlich sichtbar den Kopf. "Ja."

Die Prinzessin hielt einen Moment lang inne, schien zu überlegen. Dank seiner Schattenmagie und ihrer unnatürlich hellen Haut, die sogar jetzt ein wenig schimmerte, konnte Raven genau erkennen, wie sie sich unentschlossen auf die Unterlippe biss. Schließlich verschränkte sie die kleinen Hände vor dem Körper und trat noch ein wenig näher zu ihm hin, wahrscheinlich, um ihn besser erkennen zu können. Dann ließ sie sich vorsichtig vor ihm auf die Knie sinken, die nachtblaue Seide ihres Kleides raschelte dabei leise. Erwartungsvoll beobachtete Raven sie, er wusste nicht, was sie vorhatte.

"Du bist der Junge, der mich aus dem Stall gerettet hat. Ich erinnere mich an deine Augen - du hast sehr schöne Augen." Überrascht hob Raven die Augenbrauen. "Du kannst meine Augen erkennen? Hier, in dieser Dunkelheit?" Er hatte so etwas nicht erwartet, selbst er konnte nur dank seiner Magie genauso gut sehen wie bei Tageslicht. Doch die Prinzessin nickte leicht und lächelte, bevor sie den Kopf zur Seite legte und auf das Mondlicht zeigte, das schwach durch das Fenster fiel.

Raven verstand und antwortete mit einem Nicken. Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Warum geht sie nicht einfach wieder?, fragte er sich und musterte das kleine Mädchen ihm gegenüber. Genau in diesem Moment hob sie den Kopf wieder und sah ihn aus riesigen, silbrig strahlenden Augen offen an. Der Blick ließ Raven kurz erstarren. "Wie heißt du?", wollte sie wissen. Im ersten Moment war Raven verwirrt, mit der Frage hatte er in dieser Situation eher nicht gerechnet, doch dann musste er ein triumphierendes Grinsen unterdrücken. Anscheinend hatte er das Vertrauen der Prinzessin schon gewonnen. "Ich heiße Raven."

"Ich danke dir, Raven. Danke, dass du mein Leben gerettet hast." Mit diesen Worten erhob sie sich und verließ den Raum genauso schnell und leise, wie sie ihn betreten hatte.

Raven saß noch eine Weile regungslos da und dachte über die Mondprinzessin nach. Er hatte einiges über Nimue gehört, dass sie die ruhigere der beiden Schwestern war und sich eher im Hintergrund hielt, wenn es um das höfische Leben ging. Was die Leute jedoch nie erwähnt hatten, war diese beruhigende, fast traurige Sanftheit, mit der sie sich bewegte und sprach. Wie ein einsamer Stern am Nachthimmel, schoss es ihm durch den Kopf und für einen winzigen Moment durchzuckte ihn etwas ähnliches wie Bedauern.

Trotzdem würde er diese Einsamkeit nutzen, denn sie versprach, sein Vorhaben sehr zu erleichtern.

The Moon PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt