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„Und dann meinte er, ich soll meine Klappe halten, weil man mich von hier unten nicht hört.", erzählte ich die kurze Geschichte zu Ende.
Ich hatte sie mir gerade ausgedacht. da war nicht ein Funken Wahrheit in ihr. Jeder Name, jede Person, jeder Satz war gelogen. Aber es war nicht schlimm, dass ich gelogen hatte, sondern dass sie mir glaubten.

Meine Mutter sah mich geschockt an. Natürlich hatte sie nicht gedacht, dass ich mich mit einem fremden Mann anlegen würde, weil er einen dummen Kommentar abgegeben hatte.
Mein Vater war auch etwas überrascht. Er kannte seinen eigenen Sohn wohl auch nicht richtig.

„Jedenfalls hat er sich dann wütend verzogen."
Für einige Sekunden sagte keiner etwas.
Ich hatte das schlechte Gefühl, dass sie sich wieder anfangen würden zu streiten.
„Jakob! Hast du ihm denn nichts beigebracht?", meine Mutter klang aufgebracht.
Ich seufzte genervt auf. Warum sollte ich überhaupt versuchen die Stimmung zu lockern, wenn es sowieso gleich endete?
Das war voraussehbar. Natürlich würde es in einen Streit enden. Natürlich mussten sie sich gerade jetzt über jeweils den anderen aufregen. Jetzt beim Abendessen. Dann würden sie sich wieder anschweigen.

Ich hörte ihnen für eine Weile zu und konnte nicht anders als mich zu wundern.
War Liebe wirklich so kompliziert? Warum würde man die Person die man liebte, verletzen? Worin lag der Sinn und wenn man sich dann auch noch anschwieg, konnte man nichts ändern. Wie viele Arten von Liebe gab es überhaupt und konnte man die Beziehung von meinen Eltern ‚Liebe' nennen? Sie waren beide stur und hatten dem anderen seit den letzten zwei Tagen kein Kompliment gegeben. Oder sich auch nur angemessen verhalten. Konnte man das also Liebe nennen?
Früher wahrscheinlich, aber was wusste ich schon von Liebe?

Ich war nur einmal verliebt gewesen, kurz bevor ich Ash kennengelernt hatte. Das typisches Kribbeln im Bauch und Stottern, wenn sie in der Nähe war. Sie ging nicht mehr auf unserer Schule, aber ich erinnerte mich noch ziemlich gut an sie. Sie hatte schulterlange, schwarze Haare gehabt, die in der Sonne braun schimmerten, und strahlend grüne Augen, die sich mir so sehr ins Gedächtnis gebrannt hatten, dass ich sie immer noch klar vor mir sah. Ich würde sie nicht den Engel auf Erden nennen. Zwar verstand ich, warum ich sie gemocht hatte, aber das einzige was Gut and ihr war, war ihr Aussehen. Und es sollte nicht gemein klingen oder als würde ich sie im Nachhinein runter machen, aber sie war sehr extrovertiert gewesen.
Ich erinnerte mich nicht mehr an ihren Namen, aber ich erinnerte mich an das, was sie tat. Sie war wirklich nicht die sympathischste. Trotzdem hatte sie viele Freunde und einen festen Freund.
Meistens war sie wirklich unhöflich und sarkastisch. Ich nahm es ihr nicht übel, manche gingen eben durch eine rebellische Phase.

Ich schreckte aus meinen Gedanken, als meine Mutter mit ihrer Faust auf den Tisch schlug und das Geschirr klirrte.
„Ich hätte nie zurückkommen sollen!"
Beide standen augenblicklich auf und verließen den Raum, dabei ließen sie mich zurück. Verwirrt.
Warum konnten sie sich nicht einfach aussprechen? Wobei das Ash und Alexis auch nicht konnten. Sie warfen sich giftige Blicke zu, keiften sich an und zum Schluss sprachen sie trotzdem nicht miteinander. Und wenn ich fragte, warum sie sich nicht vertragten, hieß es, es sei unwichtig oder weil es der andere nicht wollte. Es könnte mir mehr als egal sein, was bei ihnen abging, aber das war es mir nicht. Immerhin waren sie meine Freunde und ich hasste es, dass sie sich nichtmal über Weihnachten die Hand geben konnten. Aber vielleicht sollte es so sein, unvollständig. Unsere Gruppe war unvollständig.

Langsam richtete mich auf und sah auf das übriggebliebene Essen. Ich nahm die Teller und stellte sie in die Spülmaschine und räumte so ziemlich die ganze Küche auf. Hinter mir hörte ich sowie die Haustür, als auch die Tür des Büros meines Vaters geschlossen wurde.
Warum konnten sie sich nicht über Weihnachten zusammenreißen? Da waren wir einmal alle zusammen und es eskalierte.

Man konnte es mit einem Kartenhaus vergleichen, welches in sich zusammenbrach. Davor war es zumindest ruhig und trotz dessen, dass es instabil war, hielt es. Und jetzt kam ein starker Windzug und brachte alles zum einstürzen. Während man versuchen würde es wieder aufzubauen, würde es andauernd einstürzen, bis man es endlich schafft. Und trotzdem würde es nicht dasselbe sein, die Karten würden an anderen Stellen sein und alles wäre durcheinander.

Ich stand vor dem Büro meines Vaters und hatte meine Hand gehoben, um anzuklopfen. Es war überraschend still in dem Raum. Ich hatte erwartet ein Weinen zu hören oder zumindest ein Zeichen von Leben, aber nichts?
Ich wusste nicht ob es mir Sorgen bereiten sollte oder ob ich ignorieren sollte. Wahrscheinlich würde ich sowieso keine Antwort kriegen, wenn ich jetzt anklopfen würde. Ich zögerte.
Sollte ich es lieber lassen?

Ich entfernte mich wieder von der Tür, obwohl mir das auch nicht so sehr gefiel. Aber was sollte ich in dieser Situation schon anrichten können?
Ich bin nicht dazu da, um die Beziehung zwischen ihnen zu retten oder aufrecht zu erhalten.

[...]

Es war der nächste Morgen. Ein Tag vor Weihnachten und es war Still.
Ich saß alleine am Küchentisch, aß ein Brötchen mit Nutella, trank Kaffee und schaute auf mein Handy. Normalerweise hätte ich mich längst in mein Zimmer verzogen, aber ich wollte wissen wie es meinen Eltern ging und ob sie sich wieder einigermaßen verstanden. Denn obwohl ich kaum etwas damit zutun hatte, hatte ich das Gefühl, dass es meine Schuld war, dass ihre Beziehung kaputt ging.
Als meine Mutter uns verlassen hat, war ich ein Kind. Warum sollte ich Schuld an der scheiternden Beziehung sein?

Als ich in mein Zimmer ging, hörte ich wie sich eine Tür öffnete. Ich wusste nicht welche und wollte nicht nach schauen, wenn es wichtig war, würde ich es schon früh genug herausfinden.

RunningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt