Running

20

Silvester. Der Tag an dem sich Menschen selbst anlügen und Sachen versprechen die sie wahrscheinlich nicht einhalten werden.

Ich war einer davon.

Nächstes Jahr werde ich mehr lächeln.
Nächstes Jahr werde ich sozialer.
Nächstes Jahr werde ich mehr draußen sein, mehr lesen, mehr lernen und dieses Zeug.

Hatte ich es je eingehalten? Nein, natürlich nicht.
Denn wenn man sich verändern wollte, brauchte man nicht ein neues Jahr sondern Motivation. Ein neues Jahr war meistens nur eine dumme Ausrede. Selbst wenn es Leute gab die es durchzogen, wie viele waren es denn zum Schluss?

Ich sah wie sowohl Viktor und Sebastian, als auch Ian, Ash und Alexis auf mich zu kamen. Zum Schluss hatte ich es wirklich geschafft Alexis zu überzeugen mitzukommen. Sogar Ash war einverstanden gewesen, das mit Viktor hat sich ergeben und Sebastian wurde gezwungen zu kommen.

Die ersten Minuten war es ziemlich komisch and ziemlich still. Doch dann lockerte sich die Stimmung und sie alle verstanden sich sogar recht gut. Ich hatte nicht erwartet, dass sie sich sofort so gut verstehen würden. Ich war erleichtert.
Am besten verstanden sich wohl Alexis und Viktor.
Ich hatte mir schon gedacht, dass sie miteinander auskommen würden, da sie ähnliche Persönlichkeiten und Interessen hatten.

Sebastian schien sich aufgeregt über etwas mit Ash und Ian zu unterhalten.

„Elias!" Ich drehte mich zu Ash um und sah ihn fragend an. „Du musst mir nur kurz versichern, dass man Ananas nicht auf eine Pizza tut."

„Ich würd's nicht tun, aber was interessiert mich schon was einer auf seiner Pizza hat."
„Okay, jaja, ich weiß. Hunde oder Katzen?"
„Hä? Warum fragst du mich jetzt das?", fragte ich sichtlich verwirrt, „Katzen?"
Er schüttelte seinen Kopf.
„Sag einfach und stell nicht so viele Fragen. Bevorzugst du Kaffee oder Kakao?"
„Ja, keine Ahnung. Kaffee?"
Ash nickte nur und drehte sich zu Sebastian um.

„Siehst du?", sagte er triumphierend an ihn gewandt, „Ich hab's dir gesagt!"
Dann richtete sich Sebastian an mich.
„Du vergisst jeden oder jeder vergiss dich?"

Es vergingen einige Sekunden in denen ich überlegte. Es war ja nicht so schwer, beides hatte Vorteile und Nachteile.
Wenn ich jeden vergessen würde, würde ich die Anderen verletzten und ich wäre manipulierbar. Wiederum könnte ich frisch mit ihnen anfangen und die Beziehung ganz neu aufbauen.
Andererseits wäre es besser wenn jeder mich vergessen würde, dann wären weniger Menschen geschädigt und es wäre als hätte ich nie existiert. Dann könnte ich wieder eine neue Verbindung zu den selben Leuten aufbauen oder ganz neu Anfangen. Wie ein neues Leben.
Jeder Fehler den ich je gemacht hätte, wäre ausgelöscht. Wenn meine Freunde mich vergessen hätten, könnte ich dann trotzdem neu mit ihnen Anfangen? Wenn sie jeden ihrer Fehler vergessen hätten, könnte ich es nochmal versuchen?

Wenn wir jede einzelne Erinnerung verlieren würden, aber dafür einen Neustart bekommen, wäre es das wert? Ist es wert alles aufzugeben um nochmal zu starten? Wer sagt überhaupt, dass es danach besser läuft? An sich hat sich nichts geändert, es könnte alles gleich laufen wie vorher- wenn nicht sogar schlimmer.

Ich vergesse sie oder sie vergessen mich.
Sie bekommen einen Neustart oder ich bekomme einen.
Das eine ist stressiger als das andere. Wenn ich sie vergesse, werden sie dann versuchen mich ‚zurückzuholen'? Kann ich meine Erinnerungen dann überhaupt zurückbekommen?
Ist es besser wenn sie mich vergessen?

Ich zuckte mit meinen Schultern.
„Keines von beiden?"
„Aber du musst dich entscheiden!", Sebastian bestehte auf eine Antwort und starrte mir tief in die Augen. Es vergingen wieder einige Sekunden.

„Dann vergisst mich jeder.", antwortete ich ohne nochmal einen Gedanken daran zu verlieren.

„Was?", fragte Viktor verwundert. Er und Alexis hatten ihr Gespräch unterbrochen und sahen sich verwirrt an bevor sie mich wieder ansahen.
„Warum?", fragte Ash.

„Wie ‚warum'? Es ist weniger stressig für alle.", erklärte ich, „Stell dir vor ich würde vergessen was wir alles erlebt haben, jeden Streit, jeden Ausflug... einfach alles, inklusive dir. Was würdest du tun?"
„Versuchen dich dazu zu bringen, dich zu erinnern?", meinte Ash etwas kleinlaut.
„Genau! Und jetzt stell dir vor du kennst mich nicht. Eigentlich das gleiche Problem, nur weiß ich, dass du nicht nachlassen würdest.", erzählte ich weiter, „Ich tippe Mal darauf, dass ich die Erinnerungen nicht zurück bekommen kann?"

Sebastian nickte.
„Und selbst dann würdest du nicht aufhören, Ash. Ich mein, danke, dass du an mich glaubst. Aber das ist es wirklich nicht wert. Es macht dir selbst sehr viel Stress und mir."
Es war für einige Sekunden still.

„Ich dachte nicht, dass du so tiefgründig sein kannst!", lachte Viktor um die Stimmung wieder zu lockern.
„Ich dachte du würdest dich selbst vergessen lassen.", gab mein bester Freund leise zu.
Die anderen stimmten ihm zu.
Ich zuckte wieder nur mit meinen Schultern.

Ash wollte noch etwas sagen, aber er wurde von einem Feuerwerk unterbrochen.
Wir alle sahen gleichzeitig auf und dann auf unsere Handys, um auf die Uhr zu schauen.
Es war Viertel vor zwölf.

„Jedes Jahr dasselbe!", regte sich Viktor leise auf.
„So wie deine Vorsätze.",murmelte Sebastian.
„Hey! Was soll das heißen?!"
„Seit drei Jahren versuchst du kochen zu lernen!"
„W-was?! Nein! Ich kann mittlerweile ein Omelett machen!"
„Jaja, schon klar.", lachte Sebastian.

„Leute, nichts streiten!", unterbrach Alexis die beiden, „Als ich jung war, hat meine Mutter gesagt, dass du das neue Jahr so wirst, wie du dich an Silvester verhältst."

Ein leises Lachen entwich mir.
Erklärt warum meine Mutter bis dieses Jahr nie zurückgekommen ist.

Ash klatschte sich erschrocken seine Hand auf den Mund. Er fing auch an zu lachen.
„Oh Elias! Wenn das stimmt, dann wird das nächste Jahr grandios!"

„Grandios? Seit wann kennst du das Wort?", fragte ich ihn belustigt während ich ein Lächeln unterdrückte.
„Seitdem ich dich an Silvester lächeln gesehen habe!"
„Hast du dir eingebildet!"

„Ich hab's auch gesehen!",meldete sich Viktor zu Wort und Sebastian stimmte zu.

„Ich mein, meine Mutter hatte meistens recht."