Ein holpriger Schritt ins Grab

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Träume waren nicht echt, sie waren die Kreation meines Genies. Sie waren der Grund meiner Existenz, Teil meines Daseins. Ich erschuf sie, ein Mensch träumte sie. Eigentlich hatte ich mit Träumen zuvor noch nie etwas am Hut gehabt. Ich selbst konnte nicht träumen. Menschen aber mussten es. Wir mussten ihnen diese ermöglichen.

Der Grund dafür war mir unbekannt. Zu den Besten in der Schule habe ich nämlich nie gezählt, wohl eher zu den Schlechtesten. So magisch es auch klingen mochte, Träume zu erschaffen und in den Verstand von Menschen einzudringen, wir hatten dennoch ein ganz eigenes, nicht so bequemes System, in dem ich mich besonders schwer tat. Und doch machte ich meine Arbeit sehr gut, besser als der Durchschnitt sogar. Nun gut, dies war mein erster Tag bei meiner neuen Arbeit. Dennoch fand ich meine Fähigkeiten bis jetzt äußerst bemerkenswert.

Von wegen, man bräuchte einen guten Abschluss und genügend Wissen über Menschen. Ich bekam das auch so hin.
Wenn man bedachte, dass ich ein Ex-Soldat war, dann schien es nur noch unglaubwürdiger, dass ich mich nun so gut als Schreiber - so nannten wir uns - machte. Ich wurde nämlich aus dem Militär geschmissen.

Klang das merkwürdig? Aus dem Militär geschmissen. Wahrscheinlich war ich der Erste, dem das in diesem Reich passierte. Jedoch möchte ich mich rechtfertigen. Hört mir erst einmal zu, bevor ihr mich für einen Deppen erklärt. Das Ereignis war tatsächlich gestern erst geschehen. Es kam mir jedoch so vor, als wäre es bereits Jahre her:

Der Sarg wog schwer auf meiner Schulter. Die Rückenschmerzen konnte ich bereits kommen sehen. Bemüht, nicht unter dem Gewicht einzuknicken, marschierte ich weiter. Der Trauergesang der Masse um uns herum wurde immer lauter. Vermutlich versuchten sie, die Schreie der Mutter der toten Frau, zu überspielen. Sie winselte, als würde die Welt untergehen. Jedoch war es nur ihre Tochter, die untergegangen war. Aber ich konnte so etwas nicht nachvollziehen. Schließlich hatte ich keine Kinder, keine Geschwister, Eltern, nichts.

Unsere schwarzen Harnische klapperten, während wir vorwärts marschierten, langsam und im Takt. Zusammen waren wir vier Soldaten, die den Sarg trugen. Die strengen Blicke meiner Kameraden waren nach vorn gerichtet, auf das Bild der verstorbenen Frau. Es war umrahmt in Gold und lauter bunte Blumen reihten sich schmuckvoll um das Bild herum auf. Je näher ich kam, desto mehr Details waren darauf zu erkennen. Die Frau war eine Schreiberin mittleren Alters gewesen. Auf dem Bild lächelte sie breit, sodass sich Grübchen auf ihrem rundlichen Gesicht bildeten. Ihre schmalen Augen waren nur leicht hinter den dicken Brillengläsern zu sehen. Sie wirkte wie eine nette Dame. Ob sie wirklich eine war, würde ich nie mehr herausfinden können.

Es war das erste Mal, dass ich auf einer Beerdigung einen Sarg trug. Normalerweise tat die königliche Garde dies nur bei gefallenen Kameraden, jedoch war dieses hier ein besonderer Fall. Alle Opfer der Attacke wurden von uns höchstpersönlich getragen und verabschiedet. So wollte es der König, denn es war unsere Aufgabe, das Volk zu beschützen bei jeder Attacke, die kommen mochte. Und jeder Mord war unsere Schuld, denn es war unser Versagen.

Wir konnten die Schreiberin nicht beschützen, so wie hunderte andere auch. Wir hatten versagt. Ein Stück ihres Blutes klebte auch an unseren Händen, vielleicht nur an unseren Fingerspitzen, aber das war genug, um die ganze Armee in eine Misere zu versetzen.

Geistesabwesend starrte ich auf das Bild der armen Frau, die schmerzhaften Schreie ihrer Mutter in meinen Ohren.
Das Gewicht auf meinem Herzen übertraf das, das auf meinen Armen lastete. Und doch war alles zusammen zu viel für mich. Ein ungeschickter Fehltritt und ich stolperte kläglich. Mein Gleichgewicht geriet ins Schwanken und mit einem lauten Knall fiel ich um wie ein abgesägter Baum. Diese unbequeme Rüstung hat mir das Laufen schon immer schwer gemacht und das Universum mich schon immer gehasst. Addierte man beides, konnte nur eine Katastrophe dabei herauskommen.
Auch meine Kameraden verloren ihr Gleichgewicht. Der Sarg kippte um. Die drei Soldaten versuchten vergebens den Sarg noch zu halten, doch sie scheiterten. Am Ende fielen sie um wie Dominosteine.
,,Meine Tochter!", rief die Mutter.

Antagona - LügentraumWhere stories live. Discover now