Verdammte Regeln

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Die Sonne kitzelte meine Nase und ihre Strahlen stachen schmerzhaft in meine Augen, kaum hatte ich sie geöffnet. Die grellen Sonnenstrahlen drangen durchs Fenster in mein kleines Zimmer und erhellten den gesamten Raum, sodass ich die feinen Staubkörnchen durch die Luft schwirren sah. Wie ich den Morgen bloß hasste. Die Sonne hasste ich ebenso. Sie bedeutete nämlich, dass ich aufstehen und arbeiten musste. Sie schickte mich erneut in einen grausamen Tag und wenn sie mich genug gefoltert hatte, ging sie unter, um am nächsten Tag wieder von da weiterzumachen, wo sie aufgehört hatte.

Meine dünne Decke lag neben meinem Bett auf dem dreckigen Boden. Wann hatte ich das letzte Mal gesaugt? Viel zu lange her, um mich daran zu erinnern. Bei den langen Arbeitstagen bekam ich kaum Zeit dafür. Nachts war ich viel zu müde, um noch einen Finger zu krümmen.

Ich hatte das Gefühl, dass mir meine Finger bald allesamt absterben würden. Genauso gut konnte es meinen Augen ergehen. Wenn ich weiterhin stundenlang auf diesen Bildschirm starrte, um all die Abläufe meiner Träume zu protokollieren, dann würde ich irgendwann noch eine Brille tragen müssen.

Erschöpft stand ich auf und kniff mehrmals die Augen zusammen, bis sie sich ans Licht gewöhnten. Ein Blick aus dem Fenster reichte aus, um mir die gesamte Laune zu verderben. Ich wollte nichts lieber, als mich wieder unter meiner Decke zu vergraben. Draußen bewegte sich die Flut an Arbeitern durch die Straßen und schlug hohe Wellen.
Von oben sah ich auf das Meer aus grau herab. Die Angst, darin unterzugehen, ergriff mich. Ich hatte die Furcht, dass, wenn ich die vielen Stufen hinuntergehen würde und Fuß auf die Straße setzte, ich vom Strom mitgerissen werden würde bis in mein Verderben. Ich zählte nun zu einer von ihnen. Ich musste hinunter, ob ich wollte oder nicht.

Vollständig angezogen und bereit, in die Menge zu tauchen, öffnete ich die Tür und atmete ein letztes Mal tief ein, bevor ich hinaustrat. Der Lärm überflutete meine Ohren, sodass ich mich nicht mehr Denken hören konnte. Millionen an Fußschritten. Lautstarke Gespräche. Sich aneinander vorbeidrängende Schreiber. Aktenkoffer, die aneinander stießen. Lange Reihen vor den Bäckereien. Und zu guter Letzt die Soldaten, die verzweifelt versuchten, Ordnung zu schaffen und einen Überblick auf alle Schreiber zu halten. Sie standen in fast jeder Straße in voller Montur und bereit für alle Fälle. Man wusste nie, wann der nächste Angriff stattfinden könnte. Für gewöhnlich kamen sie Nachts, aber es gab auch Einzelfälle am Tag.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, in dieser Menge zu stehen. Normalerweise stand ich in meiner Ausrüstung an den Straßenrändern und beobachtete die Massen. Nun gehörte ich zu den Beobachteten. Ich war einst jemand, der diese Massen beschützt hatte. Nun wurde ich beschützt.
Es stellte sich als schwierig heraus, sich an diese Änderung zu gewöhnen.
,,Na, Zoran? Auf dem Weg zur Arbeit?"

Verwundert sah ich mich im Gedrängel um, um die Person zu identifizieren, die mich gerufen hatte. Da erblickte ich einen Soldaten am Ende der Straße. Er grinste verschmitzt und winkte mir zu. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es einer meiner alten Kollegen war, mit denen ich öfters auf Patrouille gewesen bin. Abwertend sah er an mir herauf und wieder ab.

Mit seinem Arm stieß er den Soldaten neben ihm und deutete lachend auf mich hin. Ich bekam nicht die Gelegenheit, stehenzubleiben oder ein Wort zu ihnen zu sagen. Die unaufhaltsame Menge riss mich mit in Richtung Fabrik. Ich hörte die Soldaten schäkern, bis ihre Stimmen erloschen und ich nichts mehr wahrnehmen konnte, außer dem üblichen Lärm des Industriegebietes. Hier unten schien nicht einmal mehr die verhasste Sonne.
Sie wurde bedeckt von den hohen Gebäuden und monumentalen Fabriken. Ich tauchte ein in eine Welt voll Schatten. Eine Welt ohne Farbe.
Der einzige Ort, an dem es Farben gab, waren die Träume der Menschen. Wie es wohl war, Nachts in andere Welten einzutauchen? Wie fühlte sich ein Traum an? Was war es überhaupt?

Antagona - LügentraumWhere stories live. Discover now