Das Verschwinden des illegalen Mädchens

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,,Wo ist sie?", wollte der Aufseher wissen.
Seine Stimme war innerhalb von wenigen Minuten heiser geworden. In diesen paar Minuten meines Lebens habe ich die größte Standpauke erhalten, die möglich war. So lange bin ich noch nie zuvor angeschrien worden und ich bin in der Armee gewesen. Die Kraft in der Stimme des alten Aufsehers überraschte mich. Nun war sie verklungen, seine ganze Energie aufgebraucht.
,,Weg", gab ich kleinlaut bei.
,,Was heißt hier ,weg'?"

Der Aufseher erhob seine Stimme wieder, sie brach jedoch am Ende des Satzes ab und ging in ein Quieken über. Er räusperte sich verlegen, sein steinharter Blick veränderte sich aber kein Stück.
Er hob die Hände und quetschte demonstrativ mit seinen Fingern die Luft, um mir zu verdeutlichen, dass er kurz davor war, mich zu erwürgen. Der Alte wollte mir an den Kragen. Die Adern an seinem Hals zeichneten sich deutlich ab. Ich hatte das Gefühl, sie wurden immer dicker. Würden sie gleich platzen? Dann wäre ich letztendlich auch für den Tod des Aufsehers verantwortlich.

,,Ich habe einen Traum entworfen, in dem sie wieder in ihrer eigenen Welt war. Sie ist fort, alles geregelt. Machen Sie sich keinen Kopf drum, Sir", versicherte ich.
Der Aufseher lief rot an. Er griff nach dem Telefon, ohne den Blick von mir abzuwenden. Sein Tomatenkopf starrte mich bedrohlich an, als wäre er kurz davor, mich zu verschlingen.
,,Rufen Sie die Wachen in mein Büro!", sprach er ins Gerät.

,,Was? Wieso die Wachen? Ich sagte doch, es ist geregelt. Sie ist fort, wirklich."
Wirklich? Das wusste ich nicht. Ich hatte mich nicht vergewissert. Ich wollte glauben, dass sie fort war. Es musste einfach funktioniert haben.
,,So funktionieren die Dinge aber nicht", zischte der Aufseher mir giftig zu, ,,Landet ein Mensch einmal in dieser Welt, kommt er nicht so leicht wieder hinaus. Also, wo ist sie?"

Der Aufseher knallte das Telefon auf den Tisch und bohrte Löcher in meine Seele mit diesen gereizten Blicken. Noch nervöser machte mich der Gedanke, dass jede Sekunde Soldaten auftauchen würden. Ich war zu jung, um in das Gefängnis zu wandern. Es wäre viel zu schade.
,,Aber wozu haben Sie jetzt die Wachen gerufen? Wir hätten das auch ruhig unter uns klären können, nicht?"

Der Aufseher nahm sich ein weißes Tuch aus seiner Tasche und wischte sich damit den Stressschweiß von der Stirn. Schlaff ließ er sich auf seinem Stuhl einsinken, als hätten all seine Kräfte ihn verlassen. Er seufzte und hielt sich den Kopf. Erlitt er einen Schlaganfall? Einen Herzinfarkt?
,,Das ist nichts, was ich mit dir klären kann. Der König muss davon wissen. Nur er wird wissen, was zu tun ist."

Die Tür schwang auf. Schwere Schritte waren zu hören. Sie näherten sich. Es waren zwei. Mein Herz rutschte mir in die Hose, als sie mit ihren eisernen Stimmen fragten: ,,Gibt es ein Problem?"
,,Haltet ihn!", rief der Aufseher, obwohl ich mich nicht von der Stelle rührte.

Die Absicht, wegzulaufen, hatte ich nicht. Wohin denn? Was dann? Die Sekretärin stürmte hinein und sah nach dem Aufseher. Aufgebracht rief sie: ,,Ist alles in Ordnung mit Ihnen?"
Sie nahm sich ein Glas und füllte Wasser ein, um es dem Aufseher zu reichen. Währenddessen packten mich die Soldaten von beiden Seiten am Arm. Ich fühlte mich miserabel.

Innerhalb von einigen Wochen vom Soldaten zum Verbrecher degradiert.
,,Letzte Chance", röchelte der cholerische Aufseher, nachdem er sein Wasser getrunken hatte, ,,Wo ist sie?"
,,Ich habe sie in meiner Wohnung zurückgelassen", gestand ich endlich.

Der Aufseher stützte sich an seinem Stuhl ab und richtete sich mühevoll auf. Die Sekretärin stand ihm zur Seite und griff ihm unter den Arm. Der Alte sammelte sich kurz und sagte dann: ,,Durchsucht seine Wohnung nach einer jungen Frau. Dann bringt beide zum König. Es ist eilig. Den Grund werde ich der Majestät so schnell wie möglich ausrichten lassen."

Er reichte den Soldaten ein Bild von Saylor. Diese betrachteten es, als würden sie ihr Aussehen einscannen.
Unter anderen Umständen wäre es mir die größte Ehre gewesen, dem König unseres Reiches zu begegnen. In diesem Fall war es lediglich eine Schande. Ich wollte ihm nicht vor die Füße treten. Nicht so.

Antagona - LügentraumWhere stories live. Discover now