Der erste Traum

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Heute fand meine erste Fahrstunde statt. Ein wenig aufgeregt war ich schon. So aufgeregt, dass ich nicht einmal einschlafen konnte. Meine Schwester neben mir war längst weg, verschwunden in andere Welten. Bestimmt träumte sie wieder von riesigen Schlössern, bunten Portalen und fliegenden Möbeln oder solch unsinnigem Kram. Sie hatte es gut. Meine kleine Schwester schlief innerhalb von Minuten ein und wenn sie schlief, dann wie ein Stein. Öfters fiel sie sogar vom Bett und bemerkte nichts. Ich wachte von dem Knall auf, aber sie nicht von den Schmerzen. Was würde ich geben, um ihren Schlaf zu bekommen.

Im Kopf ging ich nochmal alles Wichtige durch, was ich morgen wissen musste. Ich brauchte den Führerschein nämlich unbedingt, wenn ich studieren wollte. Schließlich musste ich zu meiner Uni fahren und öffentliche Verkehrsmittel hatte ich nach all den Jahren satt. Stellte sich nur noch die Frage, wer mir das Auto kaufen sollte. Meine Eltern ganz bestimmt nicht. Dass ich mir das winzige Zimmer mit meiner Schwester teilen musste, sagte genug aus.

Obwohl ich mich nicht beschweren konnte. Kira war nicht allzu nervig und lebte meist in ihrer eigenen Welt. Oft kam es mir so vor, als wäre sie gar nicht erst hier. Genau so war es auch gut.
,,Saylor?", flüsterte sie plötzlich.

Ich erschrak, als ich ihre Stimme hörte. ,,Schläfst du denn nicht? Wenn du Wasser willst, dann hol es dir selbst."
Auch wenn Kira nicht zu der nervigen Art Geschwister gehörte, hatte auch sie Seiten, die mir den Verstand raubten. Wie oft hat sie schon Dinge von mir verlangt, die unmittelbar in ihrer Nähe standen? Manchmal verhielt sie sich so, als besäße sie keine Beine und dann durfte ich den Diener spielen. Faules Stück.
,,Ich hatte gerade voll den komischen Traum. Willst du ihn hören?", fragte sie schlaftrunken.

,,Nein, ich versuche gerade, einzuschlafen. Halt den Rand."
Kira drehte sich auf die Seite, um mich ansehen zu können. Ich wusste, gleich würde sie loslegen wie ein Wasserfall. Vielleicht sollte ich meine Meinung darüber, dass sie nicht nervig war, ändern.

,,Es war der Weltuntergang", erzählte sie schwärmerisch.
Wie bitte? Seufzend nahm ich mir ein Kissen vom Bett und schleuderte es auf meine Schwester, damit sie den Mund hielt. Es half jedoch nicht.
,,Es war aber kein Alptraum. Der Weltuntergang war... Er war schön?"

Wie gesagt, alles unsinniger Kram. War ich froh, dass ich mich nie an meine Träume erinnerte. Ich dachte bereits genug über unnützes Zeug nach, das mich wach hielt.

,,Willst du, dass dir gleich meine Faust auch noch ins Gesicht fliegt?", knurrte ich und drehte mich zur Wand.
Meine Fahrstunde begann heute früh um sieben Uhr fünfundvierzig. Wie spät war es nun? Zwei Uhr Morgens? Wenn ich am Lenkrad einschlief, würde es mich nicht wundern.

,,Hör doch mal zu. Es war so friedlich, ich hatte kaum Angst. Und die Welt war so schön, das kannst du dir nicht vorstellen. Ich war auf..."
Ich hörte ihr nicht zu. Genervt stöhnte ich und zog die Decke über meinen Kopf. Manchmal verspürte ich das Verlangen, meinen Kopf so lange gegen die Wand zu hämmern, bis ich umfiel. Dann würde ich wenigstens ein bisschen Schlaf bekommen.

Kira sollte aufhören, ständig in ihren Fantasien zu leben und sich mit der Realität beschäftigen. Sie blieb schließlich nicht ewig in ihrer sicheren, heilen Kinderwelt.
,,Wir sahen alle hinauf in den von Sternen bestickten Himmel, doch einer unter ihnen fiel auf uns herab. Keiner wurde panisch, wir standen da und sahen zu. Es hat so echt ausgesehen", hörte ich sie lauter sprechen.

,,Ihr wurdet also alle von einem Meteoriden erschlagen wie die Dinosaurier? Ja, äußerst schöner Traum. Und jetzt sei still, bevor ich deinen Traum Wirklichkeit lassen werde."
Enttäuscht drehte und wendete Kira sich in ihrem Bett herum, bis sie ihre perfekte Position gefunden hatte. ,,Mann, bist du langweilig.", murmelte sie gähnend.
Nach bereits einer Minute hörte ich keinen Mucks mehr von ihr. Endlich. Ruhe.

Antagona - LügentraumDonde viven las historias. Descúbrelo ahora