Der Tod und die Zurückgelassenen

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Als ich abends in meinem Bett an die Decke starrte, dachte ich erneut über Madisons Worte nach.

Natürlich habe ich Mitleid mit ihr - sie hat keine Ahnung, was mit ihr los ist-, aber das heißt noch lange nicht, dass sie mein Mitleid auch verdient hat.

Hatte Madison recht? Musste man sich Mitleid verdienen? Ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass Olivia nicht auf mich hören würde und ich sie erst gar nicht in die Bar, die Madison so am Herzen lag, hätte einladen sollen. Und als ich auch nach weiteren 10 Minuten nicht schlafen konnte und mein Gedanken immer wieder zu Madison wanderten, las ich ‚Peter and Wendy' weiter.

Als Peter und die Darling Geschwister auf Neatherland eintrafen, war Tinkerbell bereits vorgeflogen. Doch weil die Elfe so eifersüchtig auf Wendy war, erzählte sie den Lost Boys auf der Insel, Wendy sei ein Feind und einer der Jungs schoss sie an. Wendy überlebte nur, weil eine kleine Eichel, ein Geschenk von Peter, das sie um den Hals trug, den Pfeil abwehrte.

Und die nächsten Wochen auf Neatherland lebten sich die Darling Geschwister immer mehr ein. John und Michael gehörten von nun an zu den Lost Boys und Wendy war die Mutter für die kleinen Jungs. Sie las ihnen Geschichten vor und kochte Mahlzeiten und zusammen mit Peter erlebten sie viele Abenteuer.

Sie retteten Tiger Lilli, die Tochter des Häuptlings, vor dem Ertrinken und sie gerieten in einen Kampf mit Captain Hook. Und während sie auf Neatherland zwischen Meerjungfrauen, Piraten und Indianern lebten, vergaßen sie langsam und schleichend, wie Morgentau, der in der Sonne verdunstete, wie die Welt wirklich war. Sie vergaßen, wie sie vor Neatherland gelebt hatten, wie man erwachsen wurde, selbst der Name ihrer Mutter, dieser vollkommen überschätzten Persönlichkeit, war nichts mehr als ein einfaches Wort, das keine Bedeutung mehr für sie hatte.

Ich las bis meine Augen schmerzten und die Ersten sich bereits wieder auf den Weg zur Arbeit machten.

Ab diesem Tag sprach ich Olivia Madison gegenüber nicht noch einmal an. Und auch über Zac und den Chemiesaal redete ich nicht mehr, wenn sie zu mir in die Bar kam.

Stattdessen unterhielten wird uns über Peter Pan, über die Bar und manchmal auch über Nika. Mittlerweile freute ich mich sogar auf die Abende in der Bar, ich musste ständig an Madison denken.

„Und ich schwöre bei Madonna, dass Maike die Gefriertruhe aufgelassen hat und es mir in die Schuhe schieben will.", beschwerte sich Marco über seine Schwester, während wir auf dem Weg zur Kantine waren. Kurz sah ich zu Madison, die gerade aus der Eingangstür ging. Als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie, bevor sie unter den Schülern verschwand.

„Als wir letztens nachts in der Schule waren,", unterbrach ich Marco, der noch immer vom Gefriertruhen-Vorfall sprach – und das schon seit heute Morgen, „da hast du etwas über Madison gesagt. Dass sie auf mich stehen würde. Meintest du das ernst?"

Marco versuchte unschuldig auszusehen, während er antwortete: „Ja, natürlich. So wie ihr euch ständig anseht. Warum fragst du?"

Marco blieb stehen und grinste mich an. Kurz überlegte ich einfach weiterzugehen, um dem Gespräch aus dem Weg zu gehen, entschied mich dann aber doch anders.

„Vielleicht, aber auch nur vielleicht", gab ich zu, „habe ich darüber nachgedacht, sie nach einem Date zu fragen." Ich gab mir Mühe Marcos triumphierendes Grinsen zu übersehen.

„Dann mach das doch einfach jetzt, geh einfach zu ihr."

„Jetzt?"

„Ja, warum nicht?", fragte er und lachte, als er meinen Blick bemerkte.

All girls, except one, grow upWhere stories live. Discover now