Ich beichte

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Winter:

29 Stunden, 45 Minuten und 38 Sekunden noch. 37 ... 36 ... 35....

Das Klicken der Uhr hallte durch den Kursraum, doch ich konnte mich kaum auf die Aufgaben von Mrs. Johnson konzentrieren. Denn es waren nur noch 29 Stunden, 45 Minuten und 22 Sekunden bis zu meinem Date mit Madison. Hoffentlich würde es ihr gefallen.

Rechts neben mir saß ein Mädchen mit dunkelblondem, gelocktem Haar, links blieb ein Platz frei. Dort hatte Olivia die letzten Wochen gesessen, zumindest bevor sie dem Mörder zum Opfer gefallen war.

Schnell konzentrierte ich mich wieder auf das Date mit Madison, denn an die Morde – oder auch an Kai – wollte ich nicht mal mehr denken.

Nur noch 29 Stunden, 42 Minuten und 11 Sekunden. 10 ... 9 ... 8 ... Ein Knacken drang aus dem Lautsprecher, der für die Durchsage an jedem Morgen genutzt wurde. Manche Schüler hoben ihre Köpfe, doch die meisten arbeiteten nur schweigend weiter. Nur eine weitere Durchsage, dass der Hausmeister doch bitte zu Raum 415 kommen sollte.

Doch es gab keine Durchsage. Es rauschte und ein ungleichmäßiger, abgehackter Atem hallte durch die Räume der Hemingway-High. Ein leises Schluchzen, immer mehr Schüler hoben ihren Blick.

Auch ich runzelte die Stirn und wartete auf eine Erklärung. Ein mulmiges Gefühl nistet sich in meinem Bauch ein.

„Ich habe zu beichten." Die Stimme klang durch den Lautsprecher blechern und doch war der unverkennbare Unterton in der Stimme zu hören. Courtney. Jede Zelle in meinem Körper spannte sich an. „Ich habe zu beichten, denn ich habe viele verletzt. Nicht körperlich, aber seelisch. Ich beichte, dass ich mich besser fühle, wenn es anderen schlecht geht."

Eine dunkle Vorahnung machte sich in mir breit.

Ich beichte, dass ich in der sechsten Klasse das Gerücht verbreitet habe, dass Jenna Eschen schwanger sei. Als selbst ihre Eltern es abstritten, behauptete ich, sie habe abgetrieben. Es sollte nur ein Spaß sein, aber ihre Eltern haben Jenna jetzt auf ein katholisches Mädcheninternat geschickt."

Und so fing Courtney an. Begleitet von leisem Rauschen, unterbrochen von kleinen Schluchzern, beichtete sie jede ihrer Taten. Angefangen in der sechsten Klasse mit Jenna Eschen über kleine Streiche, wie sie es nannte, mit großer Wirkung bis hin zu systematischer Ausgrenzung.

Es fielen viele Namen, das Mädchen neben mir begann zu weinen, als auch ihr Name aus den Lautsprechern schepperte. Courtney hatte Bilder von ihr in der Umkleide geschossen und sie anschließend in der Schule aufgehängt. Auch Madison wurde erwähnt. Mehrmals. Und jedes Mal musste ich meine Hände zu Fäusten ballen und Wut setzte meine Adern in Brand.

Mrs. Brooks, vollkommen überfordert, befahl uns sitzen zu bleiben, bevor sie aus dem Raum eilte, doch es hatte sowieso niemand vor, seinen Platz zu verlassen. Courtney hatte mit ihrer Durchsage die Stopptaste gedrückt, kein Schüler bewegte sich, alle lauschten nur schweigend ihren Erzählungen.

Ich beichte, dass ich meine Mitschüler überzeugt habe Marco Laybourne ‚Moptop' zu nennen. Über Jahre hinweg hat ihn niemand anders genannt."

Ich sah Marco förmlich vor mir, wie er errötete, weil er sich noch immer für den Namen schämte. Doch nicht mal der Gedanke an Marco konnte die Stimme aus meinem Kopf übertönen, die immer wieder flüsterte ‚Sie ist ein Narzisst'.

Narzissmus war eine Persönlichkeitsstörung von der 0,4 Prozent der Bevölkerung weltweit betroffen waren. Ein hohes Selbstwertgefühl, das regelmäßig durch die Erniedrigung der Mitmenschen gestärkt werden musste.

All girls, except one, grow upWhere stories live. Discover now