Eine zermatschte Orange und Liam

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Winter:

Mein Zimmer war klein. Es passte gerade mal ein Bett und ein Schreibtisch hinein, aber mehr brauchte ich auch nicht. Meine Kleidung hing geordnet nach Kleidungsart, Größe und Farbe an einer offenen Kleiderstange, die mein Vater vor Jahren eingebaut hatte.

Auch auf meinem Schreibtisch waren Stifte und Bücher akribisch geordnet, in der Mitte der Schreibtischplatte stand mein alter Computer. Es dauerte immer Ewigkeiten, bis er eine Seite lud, doch er lieferte mir die Informationen, die ich brauchte und deswegen war er das Wertvollste in dem gesamten Zimmer.

Ich saß auf meiner Schreibtischstuhl und starrte schon seit mehreren Minuten an die Wand. Aber es wollte einfach keinen Sinn ergeben.

All meine Notizen mit meinen Gedanken über die Morde der Hemingway-High hatte ich an die Wand über dem Schreibtisch geklebt, ich stellte sie immer wieder um, spielte jede Möglichkeit durch, doch irgendetwas musste mir entgangen sein.

Wer war der Mörder und wer das nächste Opfer?

Es waren bereits drei Wochen vergangen, seit Olivia gefunden wurde. Seit ich in ihre leeren Augen gestarrt hatte, die mich noch bis in den Schlaf verfolgten. Und doch war ich keinen Schritt weitergekommen. Währenddessen wurden die Stimmen der besorgten Eltern immer lauter, die forderten, dass die Schule geschlossen werden sollte, wenn der Mörder nicht bald gefunden wurde und die Presse steckte noch immer ihre Nase in lauter Dinge, die sie nichts angingen. Vor allem auf Marcos Hemingway High digital together hatten sie sich gestürzt, als auch sein Artikel über Olivias Tod ein voller Erfolg gewesen wurde.

Letzten Samstag war die Beerdigung von Olivia gewesen. Im kleinen Kreis, nur Familie und ein paar Freunde (und die Presse, die wie Aasgeier von weitem die weinende Familie filmte). Ich selber hatte gestern ihr Grab besucht, hatte die frische Erde angestarrt und schließlich eine blutrote Rose, die denen vor Nikas Kreuz glich, neben ihrem Grabstein hinterlassen. Niemand schien zu bemerken, dass die Rosen an Nikas Kreuz verwelkten, ohne dass jemand neue hinzulegt.

Nika selber war nicht am Arlington Friedhof in Stuckburn begraben worden, sondern am Nelson Friedhof in Los Angeles. Sogar das hatte ich herausgefunden, auf einen kleinen Notizzettel geschrieben und am Rande der Zettelfront geklebt.

Aber diese Wand war nicht das einzige, an dem ich die letzte Woche gearbeitet hatte. Auf einem weiteren Notizblock stand auf der ersten Seite in ordentlicher Handschrift nur ein Name: Madison.

Ich hatte begriffen, dass es einfach nicht in meiner Natur lag, spontan zu einem Mädchen zu gehen und sie nach einem Date zu fragen. Nicht, wenn ich nicht wusste, wie das Date überhaupt aussehen musste, damit es gut verlief.

Also hatte ich in den letzten Tagen, auch wenn Marco mich dafür ausgelacht hatte, Informationen über Madison gesammelt, alles, was ich über sie wusste, aufgeschrieben und mehrere Szenarien in Gedanken durchgespielt. Wie ich sie fragen wollte, wann und wo das Date stattfinden sollte.

Selbst Dr. Google hatte ich gefragt, was die besten „erstes Date" Ideen waren, doch da die ersten fünf Ideen zu kostspielig für mein Portmonee waren, hatte ich mich lieber auf meine eigenen Gedanken verlassen.

Für Marco mochte mein Verhalten ungewöhnlich wirken, doch für mich war dies der beste Weg mit meinen Gefühlen umzugehen. Denn seit dem Kuss, ging Madison mir nicht mehr aus dem Kopf. Weder sie noch ich hatten den Kuss erwähnt, doch immer, wenn wir uns in der Schule begegneten, lächelte sie mich mit diesem einem Lächeln an, bei dem Marco seinen Ellbogen in meine Rippen stieß und vielsagend mit den Augenbrauen wackelte.

Und mittlerweile war ich fast schon enttäuscht, wenn ich einen freien Abend in der Bar hatte und Madison nicht sehen konnte.

Seufzend erhob ich mich von meinem Schreibtischstuhl, schnappte mir meinen Rucksack und machte mich auf den Weg zur Bar. Auch Peter and Wendy hatte ich eingesteckt, denn wenn wir uns nicht über die Morde unterhielten, sprachen wir über den Klassiker von J.M. Barrie.

All girls, except one, grow upWhere stories live. Discover now