Du und ich für immer

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Sommer:

Als Wendy mit Peter nach Neatherland ging, ließ sie vieles zurück. Ihre Familie, ihre Nana, ihre Chance erwachsen zu werden. Und doch war es die beste Entscheidung, die sie hätte treffen können.

Darüber musste Nika immer wieder nachdenken, während sie an Kai gelehnt die Vögel beobachtete, die weit über ihnen kreisten.

Sie wollte einen Schulabschluss, sie wollte weiter den Unterricht der Hemingway-High besuchen und mit Madison die Pausen verbringen. Doch dann waren da die Beleidigungen, die ihr zugeflüstert oder auch laut entgegengeschmettert wurden, all die Demütigungen, die sie Tag für Tag erlitt und die sie immer weiter zum Schweigen brachten. Das traurige Funkeln in Madisons Augen, das sie vor Nika zu verstecken versuchte.

Und auf der anderen Seite sah Nika einen weiten Strand, die Sonne von Malibu, Kai an ihrer Seite. Natürlich wusste sie, dass ein solches Leben nicht einfach war. Sowohl sie als auch Kai müssten sich Arbeit suchen, um dort leben zu können ohne Familie, Freunde oder Geld. Die Wohnungen waren teuer und Nika hatte noch lange nicht den Abschluss, den sie sich wünschte. Aber jedes Mal, wenn Courtney ihr ein hämischen Lächeln schenkte, wenn wieder eine Passage aus Peter and Wendy von ihren Mitschülern verunstaltet wurde, schien ihr der Preis kleiner, leichter zu bewältigen.

Nika versuchte noch immer das starke, unabhängige Mädchen zu sein, das das erste Mal durch die Tore der Hemingway-High gegangen war, aber diese Fassade bröckelte von Tag zu Tag. Im Unterricht zeigte sie kaum noch auf, in den Pausen saß sie mit Madison im Schatten auf einer kleinen Mauer am Rande der Schule, wo kaum jemand sie bemerkte.

„Alles okay bei dir?", fragte Kai, der merkte, wie Nika sich im Strudel ihrer Gedanken immer weiter verspannte. Sie saßen am Rande eines Flusses, der Fiat parkte ein paar Meter weiter, und blickten der Sonne entgegen. Miguel hatte versucht die schwarze Farbe abzubekommen, aber er hatte nur erreicht, dass die Beleidigungen nun verwischt und nicht mehr zu lesen waren. Wenigstens etwas.

Kai zeichnete träge Kreise auf ihren Arm, während er vor sich hindöste. Nika blickte Richtung Süden, Richtung Malibu.

„Ja, alles okay." Kai öffnete seine Augen und blickte zu Nika.

„Nicht lügen.", sagte er nur und Nika lachte.

„Ich lüge nicht.", sagte sie, denn es entsprach der Wahrheit. Wenn sie bei ihm war, ging es ihr gut.

„Wie war es in der Schule?", fragte Kai nun. Sie erzählte ihm nie genau, was in der Hemingway-High passierte, aber das brauchte sie auch gar nicht, denn Kai kannte sie. Hatte Stunden damit verbracht in der Bar mit ihr zu scherzen oder auch sie aus dem Augenwinkel zu beobachten. Er bemerkte die Veränderung, dass Nika immer stiller wurde.

„Du sagtest, dass du nur auf mich wartest, um den toten Winkel zu verlassen.", sagte Nika, statt Kai zu antworten. Er nickte nur und warf einen Stein ins Wasser. Er versank mit einem leisen Platsch.

Es war Samstag und wie jedes Wochenende waren sie weit rausgefahren aufs Land, umgeben nur von Feldern, bis sie einen Platz fanden, an dem sie den Tag verbrachten. Manchmal fuhren sie auch bis nach Malibu, aber der Weg war weit, das Spritgeld teuer und sowohl Nika als auch Kia mussten jeden Dollar sparen.

„Was ist", fing Nika erneut an, „wenn ich nicht weiter warten will, wenn ich jetzt gehen will?"

Kai richtete sich auf und blickte Nika an. Dann küsste er sie, langsam und innig und als er sich wieder von ihr löste, sagte er:

„Wenn es wirklich das ist, was du willst, dann werde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, nur um dich hier herauszuholen. Du musst nur mit dem Finger schnippen, Prinzessin."

Nika lachte und schlug Kai spielerisch auf seinen Arm. Er grinste.

„Willst du wirklich jetzt gehen?", fragte er schließlich und Nika zögerte.

„Ich weiß nicht.", gab Nika zu, „Ich würde gerne, aber ich traue mich einfach nicht. Wie kann ich meinem Vater oder Miguel in die Augen sehen und ihnen sagen, dass ich wegwill? Dass ich gescheitert bin, obwohl sie doch so stolz auf mich waren? Und ich weiß nicht, was ich Madison sagen soll. Sie leidet unter all dem, was ich uns eingebracht habe. Ich habe ihr geschworen immer für sie da zu sein, aber manchmal frage ich mich, ob es ihr in der Schule nicht ohne mich besser gehen würde. Und wir könnten immer noch Freunde bleiben, niemand kann uns trennen, doch ich traue mich nicht, ihr all das zu gestehen." Nika seufzte schwer.

„Ich habe ihr nicht mal von uns beiden erzählt.", gab sie zu. Insgeheim wusste sie, warum sie niemandem von Kai erzählte. Mit ihm fühlte es sich noch immer an wie in einer anderen, so viel besseren Welt und wenn sie es jemandem erzählte, wenn sie ihr Glück mit der realen Welt teilte, hatte sie Angst, dass sie vor den Scherben ihrer Träume stehen würde, unfähig sie wieder zusammenzusetzen. Denn ihre Zukunft mit Kai, dieser Traum, den sie sich wünschten, war aus Glas. Er funkelte und glitzerte, doch ein falsches Wort konnte ihn zerbrechen.

„Vielleicht musst du es ihr gar nicht sagen.", sagte Kai zögerlich und blickte zum Wasser. „."

Und dann erzählte er ihr von seinem Plan. Kein Traum, der nur Nachts geträumt werden konnte, weil er für den Tag zu naiv und zerbrechlich war. Und als er geendet hatte blickte Nika Richtung Süden, Richtung Malibu.

Bald, schwor sie sich.


Und da es ihre letzte Stunde auf der Insel sein sollte, sind wir alle froh, dass diese Stunde sechzig glückliche Minuten hatte.

~Peter and Wendy; J.M. Barrie


All girls, except one, grow upWhere stories live. Discover now