Nichts weiter als Feiglinge

278 35 4
                                    

Winter:

„Sie ... sie wollte mich verlassen?", fragte Madison und das erste Mal seit ich sie kannte, stotterte sie. Während Kai von ihren Plänen erzählt hatte, war sie immer blasser geworden und sie hatte ihre Hand langsam aus meiner befreit. Ich hatte wieder nach ihr greifen wollen, doch Madison hatte ihre Hände im Schoß gefaltet, unfähig etwas anderes zu tun, als Kais Worten zu lauschen.

„Sie hat es dort nicht mehr ausgehalten, diese Schule, diese Schüler, sie waren wie Gift für sie. Und der Gedanke machte sie krank, dass sie dich dort ebenfalls mit hineingezogen hat. Sie dachte, wenn sie erst einmal weg ist, wird es für dich wieder einfacher."

„Einfacher?", fragte Madison und in ihren Augen glitzerten Tränen. Doch sie schluckte sie herunter und wisperte: „Nur durch sie habe ich all das überhaupt ausgehalten."

„Es tut mir leid, Madison.", sagte Kai und schluckte, „So besonders Nika auch war, manchmal frage ich mich, ob sie nur mit uns gespielt hat. Ich meine, ich liebe sie noch immer, aber ... sie ist mit dem Wissen gesprungen, dass ich unten auf sie warte. Mit einem gläsernen Traum von einer Zukunft." Kai lachte freudlos. „An manchen Tagen bin ich so wütend auf sie. Sie hat ihn so genannt, einen gläsernen Traum, und ich habe ihr geglaubt, dass Glas der Realität standhalten kann. Sie hat mir Hoffnung gemacht, um sie dann zu zerschmettern."

Eine Stille senkte sich über den Raum und ich suchte krampfhaft nach den richtigen Worten. Ich war der einzige im Raum, der Nika nicht gekannt hatte und mittlerweile hatte ich mir verschiedene Bilder von ihr ausmalen können. Die beste Freundin, die immer zu Madison hielt, das faszinierende Mädchen, in das mein Bruder sich verliebt hatte, die kluge Schülerin, die in Peter and Wendy vernarrt gewesen war. Und die Selbstmörderin, die all das hinter sich gelassen hatte.

„Ich glaube nicht, dass sie dir wehtun wollte.", sagte Madison vorsichtig, „Und ich glaube nicht, dass sie geplant hatte zu springen. Es war eher eine ... spontane Entscheidung."

„Warst du dabei?", fragte ich, bevor ich mich zurückhalten konnte und Madison sah nun endlich zu mir. Sie zögerte.

„Nein.", sagte sie schließlich und ihre Miene wurde verschlossener, „Aber ich bin mir sicher, dass sie selbst als sie fiel noch an diesen Traum geglaubt hat. An eure Pläne, in denen sie mich allein lassen wollte."

Kai machte den Mund auf, als wollte er ihr widersprechen, doch dann schloss er ihn wieder. Denn Madison hatte recht. Nika war kein Engel gewesen, sie hatte viele Fehler gemacht.

‚Und sie musste ein Feigling gewesen sein, wenn sie sich nicht getraut hatte, Madison die Wahrheit zu sagen', dachte ich, als ich Madisons Schmerz sah.

Eine Weile schwiegen wir, denn es gab nichts mehr zu sagen. Das war die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Kai war kein Mörder, er war nur ein leibeskranker Junge, der auf gläserne Träume reingefallen war. Ich sah die Welt endlich wieder klarer und fasste schließlich einen Entschluss.

„Ich denke, wir sollten gehen.", sagte ich, auch wenn nicht ich derjenige war, der eine Pause brauchte, denn mich hatten Kais Wort in gewisser Weise erleichtert. Madison hatten sie erschüttert.

„Nein, geht nicht.", stieß Kai hervor und sprang auf, als wäre ihm erst jetzt klar geworden, was

überhaupt auf dem Spiel stand. „Du hast gesagt dort sterben Menschen, Tayo, du musst weg von dieser Schule. Versprich mir, dass du nie wieder einen Fuß hinein setzt."

Ich hob nur skeptisch die Augenbraue, denn auch wenn Kai nicht der Mörder war, so hatte er doch seine eigene Familie verlassen und sich vor lauter Liebeskummer und Trauer nicht nach den geplanten ‚paar Tagen' zurückgemeldet.

All girls, except one, grow upWhere stories live. Discover now