Kapitel 6

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Ganz vorsichtig tastet er von oben nach unten meinen Bauch ab. Dass ich, als bei meiner empfindlichen Stelle getastet wird, nicht wirklich Schmerzen spüre, liegt vermutlich einerseits an den Tabletten, andererseits aber auch sicher daran, dass er trotz meines Theaters vorhin wirklich sanft vorgeht, was ich ihm hoch anrechne. Ich weiß eh, dass es im Endeffekt nie wirklich schlimm ist, aber ganz ohne Widerstand geschlagen gebe ich mich einfach nicht gerne – dass ich es nicht mag, die Kontrolle abzugeben, liegt einfach in meiner Natur. Damit muss Felix klarkommen, aber er weiß ja eh, wie er seinen Willen durchsetzt – gut für ihn, schlecht für mich. „Ok, hier fühlt sich alles ganz gut an eigentlich – die Medikamente scheinen zu wirken.", sagt er und lächelt mir zu. „Ich werde dir jetzt jeden Abend den Bauch abtasten, um zu schauen, ob der Heilungsprozess so abläuft, wie er soll und..." „Nein, das wirst du sicher nicht. Ich bin kein kleines Kind mehr, dass man immer beobachten muss." „Du führst dich aber definitiv gerade wie eines auf. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder ich untersuche dich täglich, oder du kommst ins Krankenhaus und bleibst so lange dort, bis wieder alles in Ordnung ist." „Kein Krankenhaus der Welt würde mich wegen sowas aufnehmen." „Ich würde aufpassen – ich habe Kontakte und meine Wege um das durchzusetzen, was ich möchte. Es ist wichtig, dass das kontrolliert wird und das entweder von mir oder von Ärzten in einer Klinik."

„Warum wirst du immer so herrisch, wenn es um mich geht?" „Was heißt da bitte herrisch? Ich würde es mir nie verzeihen, wenn plötzlich Komplikationen auftreten würden, die sogar lebensbedrohlich sein könnten." „Warum bist du bei deinen PatientInnen immer so einfühlsam und bei mir so gemein?" „Schatz, komm schon – ich bin nicht gemein. Meinen PatientInnen kann ich nichts befehlen und möchte das auch gar nicht, da sie im Endeffekt selber entscheiden müssen. Ich kann ihnen etwas empfehlen und versuchen, sie zu überzeugen, aber im Endeffekt müssen sie und ihre Verwandten die Konsequenzen für ihre Entscheidungen tragen. Da ich keinen persönlichen Bezug zu ihnen habe, ist das für mich aber auch nicht so belastend. Du hingegen bist mir wichtig – ich liebe dich mehr als alles in der Welt und möchte, dass es dir gut geht. Wenn das heißt, dass ich dich manchmal dazu zwingen muss, dich um deine Gesundheit zu kümmern, dann ist das nun mal so. Ich kann es ertragen, wenn du sauer auf mich bist. Was ich aber nicht gut ertragen kann, ist zu sehen, dass es dir nicht gut geht. Ich werde dir jeden Tag den Bauch abtasten und wenn das heißt, dass du deswegen böse auf mich bist, dann ist das halt so – zumindest weiß ich, dass es dir bald wieder gut gehen wird."  Mit dieser Antwort habe ich nicht gerechnet – jetzt wo ich seine Ansicht der Dinge kenne, kann ich seine Art ein bisschen besser nachvollziehen und irgendwie tut es mir auch leid, dass ich immer so angepisst bin, sobald er mir irgendwie medizinisch helfen will. Klar muss ich ihm auch manchmal zeigen, dass er übertreibt, aber ich denke, für heute lass ich es einfach mal gut sein.

„Wenn du meinst, dass es notwendig ist, dann lasse ich es halt über mich ergehen. Aber gehe nicht davon aus, dass ich mich immer wegen allem widerstandslos von dir behandeln lassen werde." „Keine Sorge, davon würde ich nie ausgehen – ich kenn doch meine sture Kleine.", sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Also, wir sind uns einig, dass du dir jeden Tag von mir den Bauch abtasten lässt?" „Ja", sage ich und verdrehe die Augen. „Und wenn die Schmerzen schlimmer werden, oder du sonst irgendeine Veränderung wahrnimmst, kommst du damit auch zu mir, verstanden? Sonst kommst du schneller in die Klinik, als du schauen kannst." „Ich herrisch? Neeeein." „Hey, pass auf, was du sagst.", warnt er mich und zwickt mich spielerisch in die Seite. „Gut, dann probieren wir's zuhause. Ich möchte aber trotzdem, dass du zur Abschlussuntersuchung nochmal zu einem Gyn gehst. Ich kenne mich zwar gut auf dem Gebiet aus, bin aber trotzdem kein Fachmann und hätte gern, dass da nochmal wer drüber schaut – können wir uns darauf einigen?" „Meinetwegen" „Danke Schatz, ich weiß, das ist nicht selbstverständlich. Weißt du schon, zu welchem du gehen möchtest? Wie wär's mit dem, den Michi vorgeschlagen hat? Wie hieß er nochmal? Noah?" „Ja, ich glaube, so heißt er, aber ich weiß nicht, ob ich wirklich zu ihm gehen will...", sage ich und schaue zu Boden – wie ich dieses Thema hasse.

Warum ausgerechnet dominant? (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt