Lockvögel (Teil Zwei)

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Kaleo lehnte an der Außenwand und wartete auf Ilja. Die Abendsonne stand tief über Rhuyasetz und badete die Straßen in einem goldenen Licht. Er trommelte die Melodie von Runas Lied und versuchte die Kussgeräusche, die aus der offenen Tür drangen, auszublenden. Warum wartete er eigentlich auf den Halbnitaru? Hätten sie zuvor in der Taverne darüber gestikuliert, ob sie die Sache wirklich abbliesen oder einfach nur den Ort verlagerte, dann müsste er sich dieses Schmatzen und Seufzen nicht anhören. Aber in der Kneipe hatte Runa sie ständig im Blick gehabt und keiner von ihnen beiden wollte sie so kurz nach dem Streit wieder verärgern.

Ilja würde es ihr sowieso wieder verraten, wenn wir weiter machen, Kaleo verdrehte die Augen, aber bewunderte gleichzeitig, dass Ilja die Offenheit und Ehrlichkeit wirklich durchzog. Der Halbnitaru war wirklich überzeugt davon und es schien, sich bezahlt zu machen. Schließlich war Kaleo gerade derjenige, der an der Wand lehnte wie bestellt und nicht abgeholt, während Ilja mit Liebe überschüttet wurde. Er ist auch Runas Geliebter. Manchmal verfluchte Kaleo seine Gedanken. Immer, wenn er dachte, er könnte sich nicht miserabler fühlen, versetzten sie ihm noch einen Kinnhaken, der ihn endgültig zu Boden schickte.

Der Musiker schlug einmal kräftig gegen die Wand, etwas Staub bröselte ab und rieselte über seine geballte Hand. Die Kussgeräusche hörten nicht auf.

Na, wenn das so ist ... Kaleo hielt sich die Ohren zu und summte nun Runas Lied. Es war nur die Melodie, er hatte noch keine Worte oder Gesten dafür gefunden, mit denen er wirklich zufrieden war. Iljas Bewegungen waren schön gewesen, das musste Kaleo zugeben, aber sie waren Iljas Interpretationen, nicht seine eigene. Doch auch wenn das Lied noch unfertig war, verschaffte es Kaleo in dem Moment das, was er sich wünschte: Ruhe vor den Kussgeräuschen. Hätte Kaleo sich nicht aufs Summen konzentriert, hätte er über die Ironie gelacht, dass er Runa mit einem Lied über sie ausblendete. Aber das war einer der wenigen Teile, die er nicht an ihr mochte, die Geräusche, die sie machte, wenn sie in Iljas Armen lag, die verliebten Blicke, die ihn nicht wahrnahmen.

Reiß dich zusammen, schalt er sich gedanklich. Er wandte den Kopf nach links und ließ sofort die Hände an die Seite fallen. Auch das Summen stellte er ein und lächelte stattdessen Runa und Ilja an, die Arm in Arm vor ihm standen. Seine Mundwinkel zitterten und er musste seine Augen zwingen, mitzulächeln. Hoffentlich sah es nicht nach so einer Grimasse aus, wie es sich anfühlte. Iljas amüsiertes Zwinkern und Runas überraschtes Augenaufreißen bestätigten seine Angst und Kaleo ließ das übertriebene Lächeln fallen. Er vergrub die Hände in die Hosentaschen und holte sie gleich wieder hervor, als ihm klar wurde, ohne Hände könnte er schwer gestikulieren. „Verabschiedung ausgiebig genug?"

Ilja verzog einen Mundwinkel nach oben, sein abgebrochener Zahn blitzte hervor und er brummte uneindeutig. Meinte er damit „Ja, es war ausgiebig genug" oder „Nein, er hätte gern noch weiter gemacht" ? Warum musste Ilja selbst in anderen Sprachen oder einfachen Lauten so viel Raum zur Deutung lassen?

„Ich hatte das Gefühl, es fehlte ein Teil, ein blauhaariger mit begabten Fingern, um es abzurunden." Iljas wölfisches Grinsen flackerte einen Moment mit so etwas wie Verlangen und Kaleo spürte, wie sein Nacken unangenehm heiß wurde und ihm der Schweiß über die Schläfe lief. Runas Wangen glühten ebenfalls rot und ihr Blick huschte nur für einen kurzen Moment zu Kaleos Lippen. Die sie fixierte danach sofort wieder Ilja, sodass sich der Musiker sicher war, sich das nur eingebildet zu haben.

„Das ist nicht lustig", protestierte Kaleo.

„Ich meine das sehr ernst", entgegnete Ilja.

Runa schnaubte und verdrehte die Augen. Sie gestikulierte: „Ich dachte, ihr vertragt euch. Es ist spät und ich bin zu müde für eure Streitereien." Das Thekenmädchen gähnte ausgiebig, als wollte sie ihre Gesten unterstreichen. Doch das musste sie eigentlich nicht. Die Dämmerung war endgültig über Rhuyasetz eingebrochen und das Gold des Tageslichts war schon fast verschwunden und die bläuliche Dunkelheit mit dem rosaroten Sterben des Tages wurde nur spärlich von Straßenlaternen erhellt, in denen Lichtlöckchen schwirrten. Kaleo konnte Ilja und Runa auch nur so gut sehen, weil gegenüber des Majestätsloch eine Laterne stand, die sie in ihrem warmen, hellen Schein badete.

Der Klang der WorteWhere stories live. Discover now