Beine

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Jetzt gab es kein Entkommen. Runa hatte ihm auf seinem Weg zu ihr aufgelauert, ihn von hinten angesprungen und in die Kneipe geschleift. Dort hatte sie abgesperrt und ihn auf einen Sessel auf dem vordersten Tisch gezwungen. (Natürlich hatte sie die Kneipe schon weit genug vorbereitet, dass sie jederzeit öffnen könnte und das, nachdem die Sonne gerade erst aufgegangen war.) Was konnte er zu seiner Verteidigung sagen? Das Thekenmädchen war sehr furchteinflößend, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte und er war von ihr überrascht worden.

Nachdem er sich das letzte Mal, als sie ihm das Wort gezeigt hatte, noch davonstehlen konnte, wollte seine Schülerin dieses Mal keine Ausrede gelten lassen, weshalb er ihr „den Buchstaben mit den zwei Bögen", wie sie ihn nannte, nicht endlich zeigen sollte. Die Gründe, warum Kaleo sich weigerte, konnte er der jungen Frau, die breitbeinig und geweiteten Nasenlöchern vor ihm stand, genauso wenig verraten wie den Klang des Buchstaben.

Er schluckte und fuhr sich mit der Hand durch sein wieder einwandfrei frisiertes Haar, bis sie in seinem Nacken liegen blieb. Unter seinen Fingern spürte Kaleo die Wärme, die schon wieder in ihm aufstieg. Denn Runas Hemdbluse war von ihrer Schulter gerutscht und zeigte nun sehr viel mehr nackte Haut als er von dem Thekenmädchen gewohnt war. Der grasgrüne Stoff lag knapp über ihrer Brust, wölbte sich geschmeidig um die Ansätze ihres ...

Kaleo riss den Blick von Runas Gestalt und überschlug die Beine, da es ihm nicht nur im Gesicht und Nacken warm wurde.

In einer Bewegung drehte die blonde Frau den Stuhl und setzte sich darauf. Oh, bei Pylos! Ihr Hosenwickelrock rutschte hoch und gab ihren Beinen die sonst versteckten Konturen zurück. Nicht hinsehen, nicht hinsehen, redete sich Kaleo ein und stierte stattdessen auf die Tischplatte, auf der das Zettelchen zwischen ihnen lag.

„Bring es mir bei", klopfte Runa, da er sie immer noch nicht direkt anblickte. Das Atmen fiel ihm mit einem Mal schwer, als würde ein Gewicht auf seiner Brust liegen. Er schloss die Augen.

Reiß dich zusammen. Nur weil du gegen die ungeschriebene Regel des Majestätslochs verstoßen hast, braucht Runa das gleich zu wissen oder muss ihr Unterricht darunter leiden, schalt er sich selbst. Daraufhin öffnete er wieder die Augen, erblickte das Wort und fügte seinen Gedanken resigniert hinzu: „Wenn der Buchtstabe nur kein ‚B' wäre ..." Kaleo knurrte und stützte seine Stirn in die Hände. Runa tippte ihn zögerlich an und bedachte ihn mit einem so sorgenvoll fragenden Blick, dass Kaleo sich auf die Wangen klatschte und wieder eine aufrechte Haltung annahm. Sie sollte nicht die falschen Schlüsse ziehen und sich unnötig Sorgen um ihn machen.

Der Blauhaarige räusperte sich. Er konnte das!

„Bis auf den einen kannst du es lesen, oder?", fragte er um ruhige Hände und einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht. Innerlich brodelte es allerdings in ihm und er spürte ein seltsames Surren in seinen Fingern, der Brust und zwischen seinen Beinen, das ihn ganz hibbelig machte.

Runa nickte. Sie krümmte ihre Finger und legte sie an ihren Daumen, schloss danach die Hand ganz zur Faust und hob nur den kleinen Finger. Anschließend kippte sie ihren Handrücken mit ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger nach vorn. E-I-N. Ja, sie konnte es lesen. Ein stolzes Lächeln schlich sich auf Kaleos Lippen, das sich nur verbreiterte, als er den Eifer und die Freude wahrnahm, mit der das Thekenmädchen ihm ihr Wissen vorführte.

„Sehr gut", lobte er sie, „Das Wort als Ganzes heißt ‚Bein'." Er deutete auf ihre Entsprechung, die sie seitlich neben dem Tisch wegstreckte. Sie folgte seinem Finger und runzelte kurz die Stirn. Das gab ihm die Zeit wieder von ihren Formen in den Bann gezogen zu werden, obwohl er genau das verhindern wollte. Doch etwas in ihm war stärker. Vermutlich das Etwas, das seinen Blick zuerst ihre Füße, die in braunen Lederstiefeln steckten, über ihre Knöchel bis zu ihrem Knie hochwandern ließ, wo die Stiefel aufhörten. Ihr bunter Rock, der zugleich eine Hose war, raffte sich und betonte ihre wohlgeformten Schenkel. Seine Augen folgten den Falten, die sich an einem bestimmten Punkt sammelten und überlappten. Das meiste wurde von der Stuhllehne verdeckt, was wohl auch besser so war.

Plötzlich hatte Kaleo einen trockenen Mund und bewegte seine Zunge, um ihn wieder zu befeuchten. Er schüttelte den Kopf und zwang sich, wieder Runa anzublicken. Diese blickte ihn abwartend an, merkte aber nichts zu seinem offensichtlichen Starren an. Deshalb fuhr er fort, als wäre nichts gewesen. Der Blauhaarige hob die Hand mit der Innenfläche zu dem Thekenmädchen gedreht, knickte den Daumen ein.

„B klingt so-", setzte er dort an, wo er zuvor in seiner Erläuterung aufgehört hatte, streckte seine Hand aus und legte den Finger auf ihre Lippen. Dieses Mal streckte Runa ihm ihr Gesicht ein wenig entgegen, als würde sie seine Berührung erwarten. Schwachsinn, das bildest du dir ein, versuchte er auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Sanft strich er ihre Lippen entlang, konzentrierte sich ganz auf sie. Denn Kaleo hatte Angst davor, was er in Runas Augen sehen könnte. Was auch immer es wäre, mit seiner inneren Aufgewühltheit könnte er damit nicht umgehen.

Heute waren ihre Lippen trockener und einzelne Hautfetzen schabten gegen seine Fingerkuppen. Genau das klang für ihn wie ein „B". Als er die Konturen ihrer vollen, herzförmigen Lippen nachfuhr, blieben diese an seinem Finger hängen und er fühlte immer wieder ihren heißen, feuchten Atem auf seiner Haut.

Kaleo leckte sich über die eigenen Lippen und hoffte inständig, Runa sah nicht, wie sich etwas zwischen seinen Beinen regte.

Ruckartig zog er seine Hand zurück, rückte auch auf dem Stuhl ein Stück von ihr ab. Danach hielt er noch einmal die Hand mit dem eingeknickten Daumen hoch.

Unter halb geschlossenen Lidern und mit leicht geöffnetem Mund saß Runa da und Kaleo hätte sie zu gern geküsst. Warum musste das Thekenmädchen auch so verführerisch aussehen?

Sie blinzelte, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte ihn ein wenig zerstreut an.

„Also ‚B'. Und was war an dem jetzt so schwer, dass du ihn mir solange vorenthalten hast?", warf sie ihm lachend vor, aber ihre Hände zitterten und ihre Stirn zierte eine leichte Röte. Scheinbar hatte auch sie diese Berührung nicht ganz kalt gelassen. Kaleos Herz macht einen hoffnungsfrohen Hüpfer.

Das ist sicher nur Einbildung, tat er es ab, als Runa von ihrem Stuhl aufstand, ihn richtig herumdrehte und zur Tür ging, um aufzusperren. Sie kehrte zurück, gestikulierte ihm „Danke" und nahm ihren Platz hinter der Theke ein.


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Dieses Kapitel wurde erotischer als beabsichtigt xD, ich habe selbst nie gewusst, wie sexy so Buchstabenlehre sein kann ...

Anfangs wollte ich noch einen weiteren Teil hinzufügen, der schon geschrieben ist, aber , nachdem ich es getippt habe, passte das nicht mehr ganz zu diesem Kapitel. Darum bekommt ihr sozusagen nur "Teil eins" als eigenständiges Kapitel. 

eure drachenelfe

Der Klang der WorteWhere stories live. Discover now