Prolog: Wenn er tanzt

202 25 195
                                    

                       „Hab ich dir erzählt, wie die ersten Worte zurückkamen?"

                                                        „Nein, hast du nicht?"

 „Es spielte sich alles in einer Kneipe ab und inmitten der Geschichte waren ein antriebsloser  Musiker, eine trauerlose Kneipenbesitzerin und ein erkenntnisloser                     Instrumentenbauer."

                      - Auszug aus der Geschichtensammlung der ersten Buchhändlerin Pangeas


Trotz des Namens fand Ilja den Ort seiner heutigen Arbeit charmant. Majestätsloch gab aber auch kein schönes Bild ab. Von seinem Tisch in der Ecke aus hatte er eine gute Sicht aus dem Fenster und auf das Schild dieser Kneipe: ein gusseiserner, schwarzer Kreis, in dessen Mitte eine Krone balancierte. Hässlich, aber humorvoll.

Die Tür ging auf, ein Glöckchen klingelte und er schaute sich den Neuzugang genau an. Das hatte ihm seine Tante aufgetragen. Er sollte nach Verdächtigen Ausschau halten. Nach Geschichtenerzählern oder jenen, die wirkten, als würden sie Worte missbrauchen. Er kniff die Augen zusammen und scharrte mit dem Fuß. Sah dieser junge Mann nach einem Wortmissbraucher aus? Kleingewachsen, aufrechte Haltung, weiß, ordentliches, aber dreckiges Hemd. Vielleicht ein – zwei Jahre jünger als Ilja. Ungewöhnlich waren seine blauen Haare, die wohl einmal gescheitelt gewesen, jetzt aber durcheinander waren und Ascheflecken auf seiner hellen Wange. Mit ihm wallte der erstickende Duft von Rauch und Feuer herein. Ilja atmete flach, dennoch bekam er Kopfweh davon. Seltsam, aber auch verdächtig? Heute fanden, seines Wissens nach, keine Bücherverbrennungen statt.

Der Fremde stolzierte, anders konnte Ilja es nicht nennen, zu dem Tresen. Dieser war eine Holzgewalt, die die gesamte rechte Seite der Kneipe einnahm. Drei Hocker standen davor und der Fremde ließ sich auf dem mittleren nieder. Kaum, dass er saß, stand die Kneipenbesitzerin vor ihm. Eine wahre Erscheinung und Dorn in den Augen der Fanatiker mit muskulösen Armen und breiter Brust. Vermutlich von den vielen Kisten, die sie hieven musste oder von den vielen Wortmissetätern, die sie eigenhändig hochhob und in einem Kellerloch versteckte.

Seine Theorien gingen mal wieder mit ihm durch und Ilja konzentrierte sich auf die Realität. Vielleicht fände er endlich einen Beweis für ihre gottheitslosen Machenschaften. Ihre Haare trug sie immer noch kurz geschoren und ihre Finger waren ausdruckslos, als sie dem Neuankömmling einen Krug hinschob. Dieser hob seinen Arm.

Ilja stand auf.

Der Fremde führte die Hand an sein Kinn.

Ilja schob sich hinterm Tisch hervor.

Der Fremde kratzte sich.

Falscher Alarm! Er dachte schon der Fremde würde „Danke" gestikulieren. Seine Hand war auf dem besten Weg zu seinem Kinn gewesen, da wäre ein kurzes Antippen nur zu schnell passiert.

Dem Glauben der Göttin Fyhg nach, der strengsten aller fünf Gottheiten, galt selbst Gestikulieren als Frevel an der Sprache. Der Wortmagier damals hatte nicht vorausahnen können, dass Bewohner und Bewohnerinnen Pangeas zu Gesten greifen würden, nachdem sein Zauber sie vom gesprochenen und geschriebenen Wort befreit hatte.

Ilja hätte die Dankesgeste einen Grund gegeben, zum Tresen vorzugehen, sich neben den jungen Mann zu setzen und ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Egal, er würde es dennoch tun! Die beiden waren immer noch verdächtig, entschied Ilja.

Er schlenderte durch die Kneipe, schob sich an abgenutzten Tischen und Sesseln vorbei, bis er am Tresen stand und auf den Hocker neben dem Neuankömmling glitt. Der Geruch nach Rauch raubte ihm so nah fast den Atem. War der Fremde in ein Feuer gerannt oder warum roch er wie verbranntes Holz?

Der Klang der WorteUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum